Hochsteuerländer in ganz Europa versuchen derzeit, die Abwanderung wohlhabender Bürger zu bremsen, indem sie ihre Vermögenswerte bei der Ausreise besteuern. Mit dieser sogenannten «Wegzugsteuer» sollen sie dazu gebracht werden, sich ihren Wohnortwechsel gut zu überlegen — oder im Falle einer Auswanderung zu zahlen. 

Deutschland, Norwegen und Belgien haben ihre Wegzugsbesteuerung zuletzt ausgeweitet oder entsprechende Massnahmen in Erwägung gezogen. In den Niederlanden forderte das Parlament die Regierung im Oktober auf, die Einführung einer solchen Steuer zur Bekämpfung von Steuervermeidung zu prüfen. Auch in Grossbritannien gibt es Forderungen, dem Exodus wohlhabender Bürger mit einem ähnlichen Modell entgegenzuwirken. 

Mit Wegzugsteuern sollen Kapitalgewinne oder Gewinne, die eine Person mit Vermögenswerten erzielt hat, besteuert werden — mit der Begründung, dass dies eine faire Gegenleistung für die Nutzung der Ressourcen des Landes sei. Immer mehr Länder sehen darin eine Möglichkeit, Einnahmen zu erzielen und vermögende Personen zur Kasse zu bitten. Die Steuern sind jedoch auch umstritten, da Investoren dadurch gezwungen sind, Steuern — möglicherweise in Millionen- oder sogar Milliardenhöhe — auf noch nicht verkaufte Vermögenswerte zu zahlen. 

Haushaltsdefizite als Ursprung

«Viele Länder führen Wegzugsteuern ein», sagte David Lesperance, Gründer der Vermögensberatung Lesperance & Associates in Polen. «Kunden, die illiquide Vermögenswerte und Hypotheken haben, zögern dann, diese auszulösen, weil sie einfach nicht das Geld haben, um die Rechnung zu bezahlen.» 

Angesichts steigender Haushaltsdefizite — unter anderem infolge der Corona-Pandemie und des stagnierenden Wachstums — gewinnen diese Abgaben für die europäischen Regierungen an Bedeutung. 

Für viele bedeutet das jedoch eine harte Realität: Entweder sie bleiben und finden sich mit den Steuern vor Ort ab, oder sie nehmen die Kosten beim Wegzug in Kauf. Einige Experten bezweifeln allerdings, dass die Regierungen in der Lage sind, von Personen, die ihren Wohnsitz verlegt haben, Geld eintreiben zu können. 

Beispiele gibt es zuhauf — wie etwa eines aus Deutschland: Ein Medizinstudent, der ein Startup gegründet hatte, besass Unternehmensanteile im Wert von 800.000 Euro. Als er das Land verliess, um in Harvard zu studieren, musste er eine Wegzugsteuer in Höhe von 200.000 Euro zahlen. In diesem speziellen Fall habe der Student die Zahlung bis zu seiner Rückkehr aufschieben und so die Abgabe vermeiden können, sagte Tobias Stöhr, Steuerberater bei der Kanzlei Rose & Partner. 

Norwegen und Deutschland gehören zu den stärksten Befürwortern der Wegzugsbesteuerung

Norwegen besteuert nicht realisierte Kapitalgewinne mit bis zu 38 Prozent und Deutschland mit rund 27 Prozent — entsprechend den regulären Steuersätzen im Land. Norwegen hat zudem kürzlich verschiedene Schlupflöcher beseitigt — wie etwa die Möglichkeit, sich durch Auslandsaufenthalte von mehr als fünf Jahren der Besteuerung zu entziehen. 

Zudem hat das Land in den letzten Jahren die Vermögensteuer verdoppelt: Die Abgabe für Personen mit einem Nettovermögen von über 20 Millionen Norwegischen Kronen (umgerechnet 1,7 Millionen Euro) wurde auf 1,1 Prozent erhöht und die Dividendensteuern wurden angehoben.

Das deutsche Steuersystem greift für Personen, die mindestens 1 Prozent der Anteile eines Unternehmens besitzen oder mindestens 500'000 Euro in Aktien eines einzelnen Fonds oder Unternehmens halten. Diese Regeln wurden eingeführt, nachdem der Kaufhausbesitzer Helmut Horten Ende der 1960er Jahre in die Schweiz gezogen war, seine Anteile mit einem enormen Gewinn verkaufte, keine Steuern darauf zahlte und anschliessend nach Deutschland zurückkehrte. 

Eine im November beschlossene Gesetzesänderung weitete die Wegzugsbesteuerung auf Investmentfonds aus, wobei die Steuersätze bis zu 45 Prozent erreichen. Ausnahmen führen jedoch oft zu einem niedrigeren effektiven Steuersatz. In Belgien hat die Regierung im vergangenen Monat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine im Juli in Kraft tretende Wegzugsteuer vorsieht. Diese würde Privatpersonen mit 10 Prozent auf im Land erzielte Kapitalgewinne besteuern. 

Die USA, Kanada, Australien und andere europäische Länder nutzen ebenfalls unterschiedliche Methoden zur Besteuerung von auswandernden Einwohnern. In den USA beispielsweise wird die Abgabe nur für Inhaber einer Green Card erhoben, die ihre Aufenthaltserlaubnis verlieren, oder für US-Bürger, die ihre Staatsbürgerschaft aufgeben. Sie gilt für Personen mit einem Vermögen von mehr als zwei Millionen Dollar, kann jedoch oft durch Schenkungen an Familienangehörige vermieden oder gemildert werden. 

Das Institute of Fiscal Studies und Ökonomen haben vorgeschlagen, dass auch Grossbritannien eine Wegzugsbesteuerung in Betracht ziehen sollte, um die Abwanderung wohlhabender Briten und der sogenannten Non-Dom-Bevölkerung (Nichtansässige) einzudämmen. Einige Experten sagen, dies sei wirksamer als höhere Kapitalertragssteuern, die das Land bei der Bekanntgabe des Jahreshaushalts im Oktober eingeführt hat. Wie die Financial Times im Oktober unter Berufung auf Finanzministerin Rachel Reeves berichtete, schliesst die Regierung diese Option jedoch bislang aus. 

Die Schweiz unter Druck - Italien sehr attraktiv

Die Besteuerung von Reichen gewinnt in Europa zunehmend an politischem Rückhalt, da mehrere Länder versuchen, die finanzielle Last stärker auf wohlhabende Bürger zu verlagern. Von dieser Entwicklung profitieren Länder wie die Schweiz, Italien, Monaco und die Vereinigten Arabischen Emirate, die immer mehr Auswanderer anziehen. 

Doch auch sie bleiben nicht gänzlich von Reformdruck verschont – in manchen dieser Staaten wird inzwischen über höhere Abgaben für die Reichsten nachgedacht.  «Es ist eine Art perfekter Sturm», sagte Lesperance. «Die Mandanten überlegen sich, welche Gerichtsbarkeit für sie am besten geeignet ist, um alle Bedürfnisse ihrer Familie zu erfüllen.» 

Philipp Zünd, Steuerberater bei KPMG in der Schweiz, beobachtet diese Dynamik ebenfalls: In den vergangenen Jahren hat er mit zahlreichen vermögenden Norwegern zusammengearbeitet, die in die Schweiz übergesiedelt waren, und fast zeitgleich auch mit spanischen Mandanten, die angesichts einer temporären Vermögensteuer ihr Land verlassen wollten. Aufgrund der jüngsten Änderungen — wie etwa strengeren Erbschaftsteuern — ziehen nun auch immer mehr Briten in die Schweiz. 

Die Schweiz bietet Nichtansässigen mit Vermögen im Ausland ein Pauschalbesteuerungssystem, das eine jährliche Steuer zwischen 100'000 und 400'000 Franken vorsieht. Zudem sei das Land für seinen attraktiven Lebensstil und politische Stabilität bekannt, so Zünd. 

Doch selbst diese Pfeiler geraten ins Wanken: Mit ihrer Positionierung im Ukraine-Konflikt hat sich die Schweiz von ihrer traditionellen Neutralität verabschiedet. Gleichzeitig steht im November die Erbschaftsteuer-Initiative von 50 Prozent für die Reichsten an. 

Italien – wo es weder eine Vermögensteuer oder eine individuelle Wegzugsteuer gibt und eine Pauschalsteuer von 200'000 Euro erhoben wird (vor einem Jahr waren es noch 100'000 Euro) — ziehe seit Jahren Franzosen, Briten und Amerikaner an, die Vermögen schützen und ein komfortables Leben führen wollen, sagte Marco Cerrato, Steueranwalt und Partner bei Maisto e Associati in Mailand. 

«Es ist ein recht einfaches System», sagte er. In den vergangenen acht Jahren seien rund 4.500 Personen nach Italien gezogen – mit starkem Anstieg in den letzten zwei Jahren. «Die Menschen ziehen nach Mailand. Die Stadt ist lebendig, international, und das Geschäftsumfeld ähnelt in Bezug auf die Menschen und die Energie dem in London.»

(Bloomberg)