Volatil: So könnte man den bisherigen Kursverlauf von Amrize beschreiben. Seit dem 23. Juni dieses Jahres ist das ehemalige Nordamerikageschäft von Holcim abgespalten und an der Schweizer Börse SIX sowie in den USA an der NYSE kotiert. In diesen knapp zwei Monaten haben die Aktien scheinbar noch keine klare Richtung gefunden.
Allein in der ersten Handelswoche legte Amrize zwischenzeitlich 6 Prozent zu, büsste danach jedoch 15 Prozent ein. Mit einem aktuellen Kurs von rund 40 Franken notieren die Titel nach wie vor um den Schlusskurs vom ersten Handelstag Ende Juni bei 39,31 Franken. Und das, obwohl Amrize vorgänglich von diversen Analysten als Wachstumsstory angepriesen wurde.
Eine gewisse Volatilität wurde allerdings bereits vor der Abspaltung vorhergesagt. «Es gibt viele Schweizer Aktionäre, die vielleicht keine US-Firma im Depot wollen und sich deshalb von Amrize trennen werden», liess sich Vontobel-Experte Mark Diethelm damals zitieren. Viele Schweizer fürchten vor allem aus steuerlichen Gründen, ihre bisherigen Vergünstigungen zu verlieren.
Der Optimismus der Analysten ist jedoch auch leicht zurückgegangen. Während anfangs noch mehrheitlich positive Äusserungen für Amrize vorlagen, fahren die Experten hier spürbar zurück. Die Kaufempfehlungen für die Aktien überwiegen die Halteempfehlungen dennoch mit 10 zu 6. Das durchschnittliche Kursziel für zwölf Monate beträgt von 46,20 Franken.
Bei Holcim entspricht das durchschnittliche Kursziel bei 67,25 Franken etwa dem aktuellen Kursniveau. 13 Experten empfehlen die Titel zum Kauf, zehn sprechen Halten aus, zwei würden die Aktien verkaufen.
Den Ursachen auf der Spur
Die Deutsche Bank (DB) führt den «schleppenden Start» von Amrize ebenfalls auf Umschichtungen auf Investoreseite zurück. «Unserer Meinung nach gab es Verkaufsaktivitäten seitens europäischer passiver Fonds, die US-börsennotierte Aktien nicht als zulässig ansehen und/oder Bedenken hinsichtlich der anhaltenden Liquidität an der Schweizer Börse haben.»
Dies bestätigt auch Eugen Perger, Head of Equity Strategy bei Research Partners, für den es im Nachhinein gut verständlich ist, dass es Holcim so stark gelaufen ist und Amrize eher zurückgeblieben ist. Als Grund führt er auf: «Holcim hat spannende und sehr dynamischen Märkte, wie der Mittlere Osten, Nordafrika oder Osteuropa. In Lateinamerika hat Holcim eine fast monopolartige Stellung.» Bei Amrize hingegen sei das Wachstum eher schwach. Ihre Produkte hätten kein dynamisches Wachstum, sondern wachsen einfach mit dem Bevölkerungswachstum der USA mit.
Generell scheint ein wenig das Vertrauen in das Unternehmen zu fehlen. Der sehr hohe und verfehlte Referenzpreis von 46,08 Franken dürfte hier eine entscheidende Rolle spielen sowie Fragezeichen rund um die Unternehmensziele. Vieles basiere bei Amrize im Moment darauf, dass es CEO Jan Jenisch einmal mehr richten werde, bringt es ein Marktteilnehmer auf den Punkt. Den Beweis müsse er nun antreten.
Auch makroökonomisch sieht es eher durchzogen aus. Wie die Deutsche Bank schreibt, ist das Unternehmen anfällig für negative Trends in der Weltwirtschaft, speziell solche, die sich auf das Bauwesen auswirken. Zollverhandlungen erhöhen die Handelsrisiken zusätzlich.
Weitere Störfaktoren sind ungünstige Wechselkursentwicklungen, Steuererhöhungen und Änderungen der Regierungspolitik, die die Infrastrukturausgaben einschränken. Das herausfordernde Marktumfeld belastet jedoch auch Holcim. Dennoch ist hier eine Nachfrageerholung spürbar und staatliche Konjunkturpakete dürften zusätzliche Impulse liefern.
Perger und auch Alexander Koller, Senior Equity Analyst bei Vontobel, betonen zudem das hohe Zinsniveau: Die für Amrize wichtige amerikanische Baukonjunktur hänge stark vom Zinsniveau im Markt ab. Aktuell seien die Unsicherheiten diesbezüglich hoch. Einige Makroindikationen wie die Arbeitslosenzahlen würden eine Absenkung der Zinsen wohl erlauben, andererseits bestünden Bedenken, ob die Zollpolitik der Regierung mittelfristig einen Inflationsschub auslösen könnte. Hinzukommen mit dem Spin-Off zusammenhängende Sonderkosten. Dadurch dürfte sich die Lage bei Amrize erst im Jahr 2026 merklich aufhellen.
Dynamische Märkte und Störfaktoren
Ein weiterer Dämpfer waren zudem die ersten Amrize-Zahlen, welche die Erwartungen der Analysten nicht erfüllt hatten. Der operative Gewinn und die Jahresprognose fielen schlechter aus als erhofft. Hohe Zinsen und Unsicherheiten hätten die Baukonjunktur gebremst, hiess es seitens Vontobel. Zudem hätten Eigenkosten nach der Abspaltung das bereinigte Betriebsergebnis belastet. Die Aktien brachen ein, was im Nachhinein von Börsianern als «im Ausmass übertrieben» bewertet wurde.
Holcim hingegen hat in den letzten sechs Monaten zwar weniger umgesetzt, dafür aber mehr verdient. Unter dem Strich erzielte ein 35 Prozent höherer Konzerngewinn gegenüber dem Vorjahressemester. Analysten hatten ihre Einschätzungen und Kursziele nach oben revidiert.
So oder so: Auf die Frage, ob die Abspaltung geglückt ist, sind sich Experten einig. «Ja, diese erachten wir als gelungen. Gerade im Hinblick auf die global zu beobachtenden Protektionismus Bestrebungen ist eine Konzentration auf die jeweiligen Heimmärkte sinnvoll», sagt Vontobel-Experte Koller. Hier scheine das Management einen Trend frühzeitig antizipiert, und beide Unternehmen gut darauf eingestellt zu haben.
Ausserdem notiere der zusammengerechnete Kurs beider Unternehmen rund 16 Prozent höher gegenüber den 94 Franken vor der Abspaltung. Dies betont auch Eugen Perger. Es sei sicherlich nicht der erwartete Boom gewesen, aber im Grossen und Ganzen sei die Abspaltung geglückt.
Koller spricht sich klar für das Schweizer Geschäft aus: «Nach dem erfolgreichen Spin-Off profitiere Holcim noch immer von einem Discount gegenüber den europäischen Vergleichsunternehmen. Zusammen mit einem weiterhin positiven Newsflow, dürfte dies dem Holcim-Titel weiter Auftrieb geben.» Für ihn ist Holcim der klare Favorit. «Bewertungsüberlegungen spielen diesbezüglich eine entscheidende Rolle, aber auch die Dynamik in den Endmärkten sprechen aktuell für Holcim.»
Ausserdem ist Amrize mit vielen Risiken konfrontiert. Laut der Deutschen Bank erhöht einerseits die 100-prozentige Ausrichtung auf Nordamerika das Konzentrationsrisiko. Insbesondere da die Schwäche am Markt für den Neubau von Wohnimmobilien und eine mögliche Rezession oder Korrektur auf dem Immobilienmarkt in den USA anhalten.
Dennoch bevorzugt Perger aktuell die Aktien von Amrize: «Für Amrize gibt es klar noch Potenzial nach oben. Wir sehen den fairen Wert der Aktie bei 50 Franken.» Man dürfte nicht den Fehler machen und Amrize wie Geberit oder Sika bewerten, die über ein viel höheres Bewertungsmultiple verfügen. «Wir müssen die gleichen Multiples anwenden wie bei Holcim, oder Heidelberg, die in einer ähnlichen Branche und mit ähnlichen Bewertungsmassstäben arbeiten.» Für Holcim sieht er aktuell kein weiteres Potenzial nach oben.
Verbleib im SMI noch offen
Für weitere Bewegung dürfte die SMI-Neusortierung im September sorgen. Bei der regulären Indexüberprüfung am 3. Freitag im September 2025 wird entschieden, welcher Titel aus dem Index fällt. Der Verbleib im Schweizer Leitindex kann viel auslösen in Bezug auf das Anlegervertrauen. Experten scheinen sich jedoch einig, dass Amrize sicher positioniert ist und somit weiterhin im SMI vertreten bleiben wird.
Die Index-Kriterien seien voraussichtlich erfüllt, womit die «harten Fakten» für einen Verbleib im SMI sprechen, so ein nicht genannt sein wollender Experte einer Kantonalbank gegenüber cash.ch Ende Juli. «Das Unternehmen hat ausserdem dank des Handelsregistereintrags und der hohen Anzahl an Schweizer Investoren einen Bezug zum hiesigen Markt», führte der Experte aus. Zudem sei das Geschäft etabliert und solide. Julius Bär bestätigte, dass das Handelsvolumen vergleichbar oder gar besser sei als bei anderen Kandidaten.