Seit Anfang 2015 hat der breit gefasste S&P-500-Index aus den USA knapp 190 Prozent zugelegt. Im gleichen Zeitraum hat sein Schweizer «Bruder», der Swiss Performance Index (SPI), bloss 92 Prozent hinzugewonnen. Ergo: Während sich der amerikanische Markt fast verdreifachte, hat sich der Schweizer Aktienmarkt nicht einmal verdoppelt. Der SPI konnte auch nicht mit dem MSCI All Country Index mithalten, der sich seit Januar 2015 um über 110 Prozent verbessert hat. Dieser Index enthält über 2500 Unternehmen aus 47 Ländern und deckt zirka 85 Prozent der global investierbaren Aktien ab - eine Weltauswahl also.
So gesehen ist es evident: Wer schwergewichtig auf Schweizer Aktien setzt, lässt Rendite liegen. Er vernachlässigt den - gerade in den letzten Jahren gut laufenden - Technologiesektor und setzt auf den Lebensmittelsektor, die Pharmaindustrie und das Finanzwesen. Zur vergebenen Rendite kommt also eine mangelnde Diversifikation nach Sektoren hinzu.
Dabei bringt - zumindest theoretisch - ein breit aufgestelltes, effizient gestaltetes Portfolio bei möglichst tiefem Risiko eine möglichst hohe Rendite. Daher ist der sogenannte «Home Bias», die Bevorzugung des Heimmarktes gegenüber ausländischen Märkten, nicht optimal. Und ein voll ausgeprägter Home Bias wäre nur dann vertretbar, wenn man davon ausgehen könne, dass der Schweizer Aktienmarkt systematisch höhere Renditen abwerfen wird, sagt Felix Niederer, CEO des Vermögensverwalters True Wealth.
Dass der Bezug zum Heimmarkt typischerweise nicht alle sich Chancen ausschöpft, die sich grundsätzlich bieten, gilt freilich nicht nur für die Schweiz. Laut einem «Handelsblatt»-Bericht vom April 2024 haben deutsche Anleger wegen der Bevorzugung des deutschen Aktienmarktes seit der Jahrtausendwende mehr als 200 Milliarden Euro Rendite verpasst. Das Bonmot «Diversification is the only free lunch» (sinngemäss übersetzt: «Nur Diversifikation ist ein kostenloses Plus») wird offenbar bestätigt.
Tatsache ist derweil: «Vermögensverwalter übergewichten Schweizer Aktien weiterhin konsequent, und dieser Trend hat sich seit 2023 verstärkt.» So steht es in einer Mitte Mai veröffentlichten Studie des Vermögensverwalters Vanguard und der Universität Luzern. Die Profi-Anleger weichen also zugunsten des Schweizer Marktes von ihrer strategischen Vermögensaufteilung ab, und das nicht erst seit der Zollstreit eskaliert ist.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Vorsorgeeinrichtungen. 2023 habe die Aktienquote der Schweizer Pensionskassen 30,2 Prozent betragen, wobei 9,8 Prozent in Schweizer Aktien investiert waren, schreibt Alexandra Tischendorf, Leiterin Investment Switzerland des Beratungsunternehmens WTW, in einem Aufsatz vom April. Dieser Home Bias zeige sich besonders deutlich im globalen Kontext: Die Schweiz hat einen Anteil von nur 2,5 Prozent am MSCI All Country World Index, während Pensionskassen heimische Aktien innerhalb aller Aktienanlagen mit rund 30 Prozent gewichten.
Tischendorf führt aus: «Neben einer gewissen Vertrautheit mit dem heimischen Markt und einem besseren Verständnis der Geschäftstätigkeiten können Steuervorteile, höherer Marktzugang und regulatorische Sicherheit sowie Vermeidung von Währungsrisiken den Entscheid beeinflusst haben.»
Der Franken spricht für die Schweiz
Ein starkes Motiv für die Heimmarktneigung, das wohl auch viele Privatanleger bewegt, ist die Vertrautheit mit den Unternehmen des eigenen Landes. Oft kennt man diese Firmen aus persönlicher Erfahrung. Man ist UBS-Kunde, hat eine Hausratversicherung bei Zurich Insurance, trinkt Nespresso-Kaffee, und das Lavabo im Badezimmer ist von Geberit. Doch allein damit das Vertrautsein mit den einheimischen Firmen zu erklären, wäre zu einfach.
Eine Studie aus dem Jahr 2023 ging von einer Informationsasymmetrie zwischen inländischen und ausländischen Vermögenswerten aus - es ist unterschiedlich viel Wissen vorhanden. Nun aber der Befund: Bei Sektoren, in denen das eigene Land gegenüber dem Ausland einen Wettbewerbsvorsprung hat, verschärft sich die Informationsasymmetrie. Und entsprechend werden die Unternehmen favorisiert.
Beispielsweise: Korea ist in der Elektronikindustrie stark. Und umso besser kennen sich Koreanerinnen und Koreaner mit Unternehmen wie Samsung und LG aus. Sie werden zudem nochmals weniger über Xiaomi aus China oder HTC aus Taiwan wissen, als sie es ohnehin schon tun. Übertragen auf die Schweiz: Nestlé ist weltweit führend in der Lebensmittelindustrie, und Swiss Re gehört zur Spitze der Rückversicherer. Der entsprechend erhöhte Informationsstand über diese Unternehmen erklärt vermehrte Käufe durch Schweizerinnen und Schweizer.
Im Weiteren habe die Vorliebe für Unternehmen aus dem eigenen Lande ökonomisch nachvollziehbare Gründe, sagt David Kunz, COO der Berner Börse BX Swiss. Viele führende Schweizer Unternehmen - von ABB über Novartis bis Ypsomed und Zehnder - erwirtschaften den grössten Teil ihres Umsatzes ausserhalb der Schweiz. «Anleger, die in diese Unternehmen investieren, profitieren somit indirekt von der Entwicklung der internationalen Märkte, auch ohne gezielt ausländische Aktien zu kaufen. Dies führt zu einer impliziten Diversifikation, die den ‹Home Bias› der Schweiz weniger problematisch erscheinen lässt», sagt Kunz.
Die - indirekte - geografische Diversifikation durch Aktien weltweit aktiver Schweizer Unternehmen hat zwar einen Haken. Der Wechselkurs kann die in Franken ausgewiesenen Geschäftszahlen drücken.
Doch die Währung bringt für Anleger Vorteile: «Bei Anlagen im Ausland können Wechselkursverluste entstehen, die die Rendite schmälern. Anleger, die vorwiegend in Schweizer Titel investieren, minimieren dieses Risiko, insbesondere wenn auch die Ausgaben in Franken anfallen», erklärt David Kunz. Zur Veranschaulichung: Seit 2015 hat der Franken zum Dollar 18 Prozent aufgewertet, entsprechend tiefer sind die in Franken ausgewiesenen Erträge von US-Investments ausgefallen.
Der COO von BX Swiss hat beobachtet, dass der Home Bias der Schweizer Anlegerinnen und Anleger im ETF-Segment (ETF: Exchange Traded Funds) weniger stark ausgeprägt ist. Eine Analyse der besten 50 ETF-Produkte des Jahres 2024 habe gezeigt, dass lediglich fünf dieser Produkte ausschliesslich in Schweizer Basiswerte investieren. Die Top-3 der Produkte bezögen sich auf globale Indizes, deren Zusammensetzung in der Regel einen Nordamerika-Anteil von über 50 Prozent aufweist. «Dies deutet darauf hin, dass Schweizer Anleger im ETF-Bereich vermehrt auf globale Diversifikation setzen», sagt Kunz. Dazu ist aufschlussreich: Es gibt ETF, die beispielsweise voll auf US-Werte setzen, aber in Franken gehandelt werden und währungsgesichert sind.
Allzu viel Heimatliebe ist beim Anlegen also suboptimal - was für eine Ausrichtung auf Märkte weltweit spricht. Schweizerinnen und Schweizer haben aber gute Gründe für eine Übergewichtung von Unternehmen des eigenen Landes. Eine Strategie, welche die Stärken des hiesigen Aktienmarktes nutzt und Chancen im internationalen Umfeld wahrnimmt, scheint aussichtsreich.
«Etwas Home Bias ist sinnvoll, solange das Portfolio global diversifiziert bleibt», resümiert Felix Niederer, CEO des Vermögensverwalters True Wealth. So könne ein global diversifiziertes Portfolio mit einer gewissen Untergewichtung von US-Anlagen und einer Übergewichtung von Schweizer Wertschriften für Schweizer Investoren sinnvoll sein. Denn für sie ergeben sich bei hiesigen Aktien und Obligationen auch weniger politische Risiken.
1 Kommentar
Steuern auf US Dividenden und Wechselkursrisiken verursachen bei mir einen starken CH Bias. CHF hedged ETF‘s sind nicht immer wirklich überzeugend und kommen mit einem Preis.