cash: Marc Faber, Sie haben lange Zeit in Hongkong gearbeitet und haben immer noch das Büro dort. Weshalb demonstrieren die Bürger in Hongkong gegen die Pekinger Regierung?

Marc Faber: Die Proteste sind ausgebrochen, weil die Chinesen ihr Versprechen gebrochen haben, dass es 2017 in Hongkong zu freien Wahlen kommen solle. Aber man sollte schon beachten: Hongkong war schon unter den Engländern keine direkte Demokratie. Starke Kritik an der Führung war schon damals nicht möglich und ist übrigens auch in Singapur heikel. Nach der chinesischen Übernahme 1997 wurde Hongkong grosse Autonomie gewährt. Aber Hongkong ist ein Teil von China und es ist undenkbar, dass an der Spitze Hongkongs jemand stünde, der China feindlich gesinnt ist.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?

Auch wenn Zehntausende Hongkonger auf die Strasse gehen, ist das in dieser Millionenstadt immer noch eine kleine Minderheit. Das heisst nicht, dass ich sie nicht unterstütze. Aber die Proteste bewegen sich auf dünnem Eis. Denn ein grosser Teil der Bevölkerung Hongkongs konnte ihren Lebensstandard unter der Führung Chinas wesentlich verbessern.

Wird die chinesische Führung hart durchgreifen?

Ich denke nicht. Die Demonstrationen werden sich mit der Zeit wieder legen, weil der Grossteil der lokalen Bevölkerung gar nicht so stark an Demokratie interessiert ist.

Wieso nicht?

Die Demokratie in Asien bringt gewisse Probleme mit sich. Der Durchschnittsbürger ist zwar interessiert daran, Geld zu verdienen oder ein Haus zu kaufen, also den Lebensstandard zu erhöhen. Abstimmen und wählen zu können, hat aber keine Priorität. Das sieht man auch in Thailand. Dort ist eine Militärregierung an der Macht, die eine relativ gute Militärdiktatur ist. Es ist zu einfach zu sagen, jedes nicht demokratische System sei schlecht. Aber Singapur war vor 40 Jahren eine arme Stadt und ist heute das reichste Land der Welt. Und diese Entwicklung war in keiner Beziehung demokratisch.

Was sind die Anliegen der Demonstranten?

Wer die Demonstrationen unterstützt, hat grundsätzlich Sympathien für den demokratischen Prozess und eine Abneigung gegen die Festlandchinesen und ihre Politik. Kommt hinzu, dass der aktuelle CEO Hongkongs sehr unbeliebt ist. Das hat vor allem damit zu tun, dass in den letzten fünf bis zehn Jahren die Lebenskosten viel stärker gestiegen sind als die Löhne. Und das Realeinkommen der Mittelschicht ist gefallen, wie übrigens auch in Europa und den USA. Zusätzlich ist es zu grossen Einkommensunterschieden gekommen. Weiter hat Hongkong in wirtschaftlicher Hinsicht chinesische Konkurrenz bekommen und ist nicht mehr die bedeutendste Stadt. Hongkongs Hafen beispielsweise ist nur noch die Nummer drei oder vier im Land. Diese und andere Faktoren haben zu einer Enttäuschung in der Bevölkerung geführt.

Es kommen immer wieder Vergleiche mit derjenigen vom Tiananmen 1989 auf – ist das legitim?

So weit würde ich nicht gehen. In Asien herrscht ein starker Ahnenkult, die Älteren haben das Wort. Jetzt kommt aber eine neue Generation, die Mühe hat, Geld zu verdienen und Eigentum zu erwerben, weil die Vermögenswerte stark angestiegen sind. Das liegt aber auch an der Geldpolitik der Notenbanken.

Könnten die Ereignisse in Hongkong so etwas wie ein Black Swan für die Börsen sein?

Die Börse in Hongkong ist im September ja bereits um 7 Prozent gefallen. Ich nehme an, dass sich die Proteste legen werden und es zu Kompromissen kommen wird, weil viele Leute davon wirtschaftlich nicht profitieren. Die Asiaten verstehen auch, wozu Demokratie in westlichen Staaten geführt hat: überschuldete Staaten und nicht fundierte Sozialwerke. Man kann also nicht einmal argumentieren, dass Demokratie unbedingt das beste System ist.

Werden die Spannungen in Hongkong Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben?

Nicht auf die globale Wirtschaft, aber auf die konjunkturellen Entwicklungen in Hongkong.

Wie wichtig wären politische Reformen für Hongkongs und Chinas wirtschaftliche Zukunft?

Man kann an China ja vieles kritisieren, gerade auch in Bezug auf die Menschenrechte. Aber die chinesische Führung hat ihre Arbeit bis jetzt relativ gut gemacht. Das Land ist stark gewachsen, das reale Einkommen pro Kopf hat sich seit 1980 um den Faktor 13 vervielfacht. Man kann den Chinesen also wenig vorwerfen.

Könnte der Schweizer Finanzplatz von dieser unsicheren Lage in Hongkong profitieren?

Das glaube ich kaum. Der Schweizer Finanzplatz wird weiterhin an relativer Bedeutung verlieren gegenüber anderen Standorten. Aber Singapur könnte möglicherweise profitieren.

Marc Faber wurde 1946 in Zürich geboren und schloss sein Studium der Wirtschaftswissenschaften mit dem Doktorat ab. Nach Stationen bei White Wheld und Drexel Burnham Lambert in New York, Zürich und Hongkong gründete er 1990 die Investmentfirma Marc Faber Ltd. mit Sitz in Hongkong. Faber erschuf sich den Ruf eines Crash-Propheten, weil er das Platzen verschiedener Börsenblasen vorhersagte. Faber wohnt in Chiang Mai im Norden Thailands.