Sie kennen sicher die Sage von Ikarus aus der griechischen Mythologie. Ikarus kam mit seinen gebastelten Flügeln auf seinem Himmelsflug der Sonne derart nahe, dass das Wachs an seinen Flugfedern zu schmelzen begann. Ikarus stürzte ins Meer ab und starb. Er hatte die Warnungen seines Vaters ignoriert, der Sonne nicht zu nahe zu kommen. Die Sage steht seit jeher für fehlende Demut und für Überheblichkeit.

Die Ikarus-Symbolhaftigkeit ist bei der Credit Suisse offensichtlich und zieht sich durch die letzten 30 Jahre der Geschichte der Bank. Der Übermut der Bank-Manager überbordete in den 1990er Jahren mit dem Vorstoss ins Investmentbanking. Man wollte den grossen Wall-Street-Banken mächtig Konkurrenz machen. Das Ego wurde in der Finanzkrise gestärkt mit dem Verzicht auf Staatshilfe. In den letzten 15 Jahren nahm die Credit Suisse auch keine wesentliche Änderung an der Strategie vor – trotz verändertem Umfeld, trotz erodierenden Aktienkurses, trotz zahlreicher Warnungen. 

Der Absturz der Credit Suisse folgt somit einer gewissen Logik: Es ist die Logik unternehmerischen Scheiterns wegen Übermuts, fehlender Realitätsnähe und Beratungsresistenz der Top-Manager und Verwaltungsräte. Gefördert durch ein Aktionariat, das über die Jahre immer mehr an Qualität einbüsste.

Die Credit Suisse steht aber auch symbolhaft für den schleichenden Bedeutungsverlust der Finanz- und speziell der Bankenbranche in der Schweiz. Man hatte subjektiv den Eindruck, das Schicksal der Bank bewegte die Leute in der Schweiz bei weitem nicht in dem Ausmass wie die UBS 2008. Ja, der Ausgang des Falls CS schien vielen Menschen egal - ausser, man war Kunde, Geschäftspartner oder Aktionär der Bank.

Die schwindende Signifikanz der Bankenbranche lässt sich auch mit Zahlen belegen. In den letzten zehn Jahren ist das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz laufend gestiegen. Der Wertschöpfungsbeitrag der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen am BIP war un der letzten Dekade hingegen leicht rückläufig. Er beträgt rund 9 Prozent. 

Wachstum gibt es anderswo. Unter den sechs grössten Unternehmen der Schweiz punkto Umsatz befinden sich fünf Rohstoffunternehmen. Das ist nicht unbedingt ein Leistungsausweis für die Schweiz, und die Rohstoffgiganten tragen auch wenig zum BIP bei. Aber es zeigt die Verschiebungen auf.

Wichtiger sind aber die Entwicklungen anderswo: Rund die Hälfte der Schweizer Exporte stammt mittlerweile aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Roche aus Basel alleine ist für mehr als 10 Prozent aller Schweizer Exporte verantwortlich. Ganz zu schweigen von vielen hochinnovativen KMU in allen Branchen, welche die Schweiz in den letzten 20 Jahren hervorgebracht hat.

Am Bankenplatz Zürich sind solche Entwicklungen und Verschiebungen vielerorts noch nicht angekommen. Da und dort werden ungläubig die Augenbrauen hochgezogen, wenn solche Fakten aufgezählt werden. Dabei würde auch ein Blick auf die Aktienkursentwicklungen der letzten 15 Jahre von Roche und Novartis einerseits und Credit Suisse und UBS andererseits genügen, um die Trends zu erkennen.

Der Fall der Credit Suisse wird die schwindende Bedeutung der Schweizer Bankenbranche beschleunigen. Schadenfreude der Konkurrenz ist fehl am Platz. Im Ausland wird der Reputationsschaden für den Brand "Swiss Banking" erheblich sein. Unabhängig davon, ob die Credit Suisse wie Lehman oder Silicon Valley Bank einmal im gleichen Atemzug für Auslöser oder Beschleuniger einer Finanzkrise genannt wird.

Und darüber hinaus? Da wären wir wieder bei der Sage von Ikarus. Besserung fängt oft beim kleinen Denken an als beim grossen. Bei mehr Demut. 

Daniel Hügli
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