cash.ch: Die Immobilienpreise steigen seit 25 Jahren kontinuierlich an. Gibt es überhaupt noch Risiken am Schweizer Markt?

Robert Weinert: Nun, kein Markt ist eine Einbahnstrasse. Das gilt auch für den hiesigen Immobiliensektor, selbst wenn derzeit vieles für weiter steigende Preise spricht. Generell stellen wir einen leichten Anstieg bei den Risiken fest - insbesondere auf der regulatorischen Ebene. Hier geht es um neue Marktregulierungen, sei es die Wohnschutzinitiative oder die Mietpreisbremsen in Städten sowie ganzen Kantonen. Diese werden einen Einfluss auf den Immobilienmarkt haben und könnten den Wert von vermieteten Objekten beeinflussen. Wir werden diesbezüglich auch die Neubauaktivitäten genau im Auge behalten.

Inwiefern hat dies einen Einfluss auf die Wohneigentumspreise?

Wer ein Eigenheim für die nächsten 30 Jahre erwirbt, könnte davon in unterschiedlicher Form betroffen sein - obwohl wir noch nicht sagen können, in welche Richtung es gehen wird. Beispielsweise durch sinkende Preise, wenn bestehende Mietwohnungen in Wohneigentum umgewandelt werden und damit das Angebot vergrössert wird. Oder auch durch steigende Preise, weil die neuen Marktregulierungen im Mietwohnungssegment die Neubautätigkeit weiter bremsen. Dadurch müsste ein grösserer Teil der Bevölkerung auf Wohneigentum ausweichen, was die Preise stärker steigen lässt. Auf alle Fälle dürfte das Wohneigentum von möglichen schärferen Regulierungen auf dem Mietwohnungsmarkt indirekt beeinflusst werden.

Seit den US-Zollankündigungen spielen die Zinsmärkte verrückt. Hat das einen Einfluss?

Die geopolitischen Risiken dürfen nicht vernachlässigt werden, auch wenn die Schweizer Wirtschaft von den geopolitischen Verwerfungen der letzten 20 Jahren kaum negativ betroffen war. Die US-Zölle sind ein Problem, ebenso führt der starke Schweizer Franken zu geringerem Wirtschaftswachstum. Das könnte die Nachfrage nach Wohneigentum bremsen und somit das Preiswachstum verlangsamen. 

Ist ein Immobiliencrash wie Anfang der 90er-Jahre möglich, als die Immobilienpreise zum Teil um 30 oder mehr Prozent korrigiert haben?

Die heutige Situation ist nur teilweise mit damals vergleichbar. Der Schock ging vor allem vom kommerziellen Bereich aus, der mit viel zu viel Fremdkapital finanziert wurde. Dort gab es starke Verwerfungen, zum Teil auch bei den Mietwohnungen an schlechten Lagen, die weniger attraktiv eingestuft wurden. Auf der anderen Seite haben wir beim Wohneigentum mit den analysierten Transaktionspreise von damals einen weniger starken Preisrückgang beobachtet. Dieser fiel mit durchschnittlich rund 10 Prozent relativ moderat aus. Ein gutes Preis-/Leistungsverhältnis hat sich damals ausbezahlt und tut es immer noch. Eine Preiskorrektur von 10 Prozent kann aber nie ausgeschlossen werden.

Preiskorrekturen in dieser Grössenordnung treten eher selten auf.

Das ist richtig, aber gerade deshalb sollten Eigenheimbesitzer ein Szenario mit einer Wertkorrektur von 10 bis 15 Prozent im Hinterkopf behalten. In Panik sollte deswegen niemand verfallen, auch wenn dies gerade für Neukäufer eine schmerzhafte Erfahrung sein würde. In der Gesamtperspektive sind 10 Prozent nicht viel, wenn man bedenkt, dass die Immobilienpreise pro Jahr im Schnitt zwischen 2 bis 3 Prozent ansteigen. Eine 10-prozentige Korrektur wäre im Normalfall nach vier Jahren wieder egalisiert. Wichtig ist einfach, auch mit einem solchen Szenario zu kalkulieren. 

Als die SNB 2022 und 2023 die Zinsen stark anhob, gab es keine Preiskorrektur am Markt. Weshalb?

Es gab tatsächlich keine grossen Wertverminderungen, so wie man sie im Ausland gesehen hat. Aus realer Perspektive könnte es vielleicht je nach Objekt ein kleines Minus gewesen sein, weil wir höhere Inflationsraten hatten. Aber nominal betrachtet sind die Preise für Wohneigentum einfach langsamer respektive weniger stark als in der Nullzinsphase gestiegen.

Früher hiess es bei Immobilien «Lage, Lage, Lage». Heute wird selbst in einem Autobahndreieck eine Wohnsiedlung hochgezogen. Ist das sinnvoll?

Man kann durchaus sagen, dass sich die Lagequalität im Wohnsegment etwas verändert hat. Dies vor allem aus zwei Gründen: Erstens ist die Welt digitaler geworden und Arbeiten ist dank Home-Office wesentlich ortsunabhängiger geworden. Das hat dazu beigetragen, dass gewisse B-Lagen oder C-Lagen begehrter geworden sind. Zweitens wurde das Ganze durch die grosse Lücke zwischen Angebot und Nachfrage befeuert. Entsprechend wird dort gebaut, wo es möglich ist - also möglichst zentrumsnah und auch nicht immer an erstklassigen Standorten. 

Was passiert, wenn die Bevölkerungszahl in der Schweiz stagniert oder gar abnimmt?

Zuerst dürfte sich dann langsam die Lücke zwischen Wohnungsangebot und Nachfrage schliessen. Ab einem Moment könnten die schlechteren Lagen negativ betroffen sein. Entscheidend ist jedoch auch, in welchem Gesamtkontext diese Entwicklung stattfindet, zum Beispiel wie sich die Wirtschaft in diesem Umfeld entwickelt. Die Frage ist aber nicht nur, ob es demografisch zu einem Bevölkerungsrückgang kommt. Für den Immobilienmarkt ist die Anzahl der Haushalte mindestens so wichtig wie die Bevölkerungszahl. Der Anteil der älteren Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung wird immer grösser, womit wir immer mehr kleinere Haushalte haben. Dazu trägt auch der allgemeine Individualisierungstrend in unserer Gesellschaft bei.

Was bedeutet das konkret?

In einigen Gemeinden kann die Bevölkerungsanzahl rückläufig sein, aber die Anzahl der Haushalte steigt weiter an. Dies zum Beispiel, wenn erwachsene Kinder wegziehen, die älteren Personen dort wohnen bleiben und wenn sich die wenigen Zuzüger auf mehrere kleine Haushalte verteilen. Es wird in Zukunft noch mehr kleinere Personenhaushalte geben und deshalb dürften die Haushaltszahlen länger ansteigen als die Bevölkerungszahl.

Dr. Robert Weinert ist Partner und Head Research bei Wüest Partner in Zürich. Seinen Doktortitel erwarb er an der Universität St. Gallen, mit einem Forschungsaufenthalt an der University of New South Wales in Sydney. Weinert gilt heute als Experte für datengetriebene Markt- und Risikoanalysen und publiziert regelmässig zu Entwicklungen des Schweizer und des internationalen Immobilienmarkts.
 

Thomas Daniel Marti
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