Für die Industrie ist Deutschlands längster Fluss ein wichtiger Transportweg für Güter wie Getreide, Kohle, Benzin und Heizöl. Immer häufiger haben aber in den vergangenen Jahren niedrige Wasserstände wegen der Trockenheit die Frachtschifffahrt auf dem Rhein eingeschränkt. Viele Firmen suchen deshalb nach neuen Wegen, um ihre Versorgung auch in Zeiten niedriger Pegelstände zu sichern.

Nach den langen Niedrigwasserperioden 2018 und 2022 ist der Wasserstand des Rheins an manchen Stellen auch in diesem Sommer wieder zu niedrig, um Frachtschiffe voll beladen fahren zu lassen. Bei der kritischen Engstelle Kaub fiel der Pegelstand am Montag auf ein Jahrestief. Mitte August 2022 wurden dort nur 32 Zentimeter gemessen, was zu erheblichen Einschränkungen der Binnenschifffahrt führte. Im vergangenen Jahr wurden 182 Millionen Tonnen Güter über die deutschen Wasserstrassen transportiert, ein Minus von 6,4 Prozent und der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. Angesichts der schweren Hitzewellen in Südeuropa erwartet die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, dass sich dieser Abwärtstrend fortsetzt.

"Der Klimawandel und zunehmendes Niedrigwasser stellen Covestro wie auch andere Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen", sagt Uwe Arndt, Leiter der Rhein-Taskforce beim Kunststoffkonzern Covestro. Das Leverkusener Unternehmen transportiert mehr als 30 Prozent seiner Fertigprodukte und erhält den Grossteil der Rohstoffe für deren Herstellung über den Rhein. Covestro hat deshalb zwei Niedrigwasserschiffe gechartert, die auch bei einem Rheinpegel von 40 Zentimetern in Köln die Kunden mit Salzsäure versorgen können. Rund 260 Kilometer flussabwärts hat BASF ebenfalls damit begonnen, Niedrigwasserschiffe zur Versorgung seines Stammwerks Ludwigshafen einzusetzen, das rund 40 Prozent seiner Rohstoffe über den Rhein bezieht.

Bei brennbaren und giftigen Chemikalien ist der Fluss oft die einzige Möglichkeit für den Transport. Bei Kaub-Pegelständen unter einem Meter müssen traditionelle Binnenschiffe ihre Ladung allerdings um mehr als die Hälfte auf unter 1'500 Tonnen reduzieren. Das neue Niedrigwasser-Tankschiff der BASF - die Stolt Ludwigshafen - kann jedoch immer noch eine Ladung von 2'300 Tonnen befördern und die Engstelle Kaub auch bei extrem niedrigen Pegelständen von 30 Zentimetern durchfahren. Laut BASF-Managerin Barbara Hoyer ist der Konzern auf den Rhein angewiesen, da die meisten flüssigen Rohstoffe, einschliesslich Naphtha, über den Fluss transportiert werden. Der Konzern brauche "sehr viel, um die Produktion am Laufen zu halten, und es ist sehr schwierig, diese Volumina umzustellen, selbst auf Züge."

Der Industriekonzern Thyssenkrupp, der 2018 seine Kunden zeitweise nicht mehr beliefern konnte, da er wegen der niedrigen Rheinpegel nicht mehr genügend Rohstoffe erhielt, hat danach eigens einen Zug gechartert. Dieser kann täglich rund 3.000 Tonnen Kohle liefern, die für die Stahlherstellung benötigt werden.

Lebensader der Wirtschaft

Die Auswirkungen des Niedrigwassers sind nicht nur auf die Industrie beschränkt. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt schrumpfte 2018 um 0,4 Prozent, weil der Rheinverkehr zurückging. Als Faustregel gilt nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft: Fällt der Wasserstand in Kaub 30 Tage in Folge unter 78 Zentimeter, wie es 2022 und 2018 der Fall war, so sinkt die Industrieproduktion um ein Prozent. Die Deutsche Bank warnte bereits vor kurzem, dass eine längere Periode niedriger Wasserstände die Konjunkturerholung beeinträchtigen könnte. Laut Roberto Spranzi, Vorstand der Schifffahrtsgenossenschaft DTG, sorgt die schwache Konjunktur jedoch dafür, dass dieses Mal alle Kunden auch bei niedrigen Wasserständen bedient werden können. "Die Nachfrage nach Schiffsraum geht wegen der Rezession derzeit eher zurück."

Gewinner und Verlierer

Die Gewinnspannen der Industrie werden durch höhere Schifffahrtsraten und die Kosten für das Chartern von Niedrigwasserschiffen geschmälert. Logistikunternehmen hingegen profitieren von der steigenden Nachfrage nach Schiffen, die an niedrigere Flusspegel angepasst sind. "Aufgrund des Klimawandels erwarten wir, dass die extremen Wasserstände auf dem Rhein häufiger auftreten werden", sagt Maickel Uijtewaal, Manager bei Stolt-Nielsen. Das Unternehmen sei mit mehreren Kunden mit Standorten am oder in der Nähe des Rheins in Gesprächen über Niedrigwasserschiffe. Die deutsche HGK Shipping, eine Einheit der Kölner Stadtwerke, baut drei solcher Schiffe für Kunden, darunter der Getreidehändler Archer-Daniels-Midland. Nach Einschätzung von HGK-Chef Steffen Bauer haben Energie-, Chemie- und Stahlunternehmen nur begrenzte Alternativen für den Transport grosser Rohstoffmengen. "Für die 1:1-Verlagerung auf Schiene und Strasse fehlen auf beiden Verkehrsträgern sowohl kurz- als auch mittelfristig Kapazitäten, infrastrukturelle Voraussetzungen und Personal."

(Reuters)