Für die Europäische Zentralbank besteht die beste Möglichkeit, Inflationstrends einzuschätzen, immer noch in umfassenden Prognosen, erklärte ihr Chefökonom Philip Lane. Dies gelte trotz der jüngsten Misserfolge bei der Erfassung der zermürbenden Krise bei den Lebenshaltungskosten.

In einem Blog-Beitrag vom Freitag erläuterte Lane verschiedene Preisindikatoren und Entwicklungen, die die EZB bei der Festlegung ihrer Geldpolitik berücksichtigt. Er sprach sich dagegen aus, sich übermässig auf monatliche Daten zu verlassen. Einige EZB-Räte sehen diese Zahlen als besseres Signal dafür, wohin sich die Zinsen auf kurze Sicht entwickeln. Lane äusserte die Erwartung, dass steigende Löhne die Inflation noch über Jahre hinaus schüren würden. 

Jüngste Inflationswerte und die ihnen zugrunde liegenden Preismessungen seien zwar nützlich, eine angemessene Bewertung der wahrscheinlichen künftigen Inflationsentwicklung erfolge indessen “am besten im Rahmen einer umfassenden makroökonomischen Prognose”, erläuterte Lane in seinem mehr als 17.000 Wörter umfassenden Beitrag. Der “bedingte Charakter von Inflationsprognosen sollte immer in vollem Umfang gewürdigt werden”, mahnte er.

Zinsertempo könnte nachlassen

Die EZB hat die Zinsen seit Juli um insgesamt 200 Basispunkte angehoben. Ratsmitglieder haben signalisiert, dass weitere Erhöhungen geplant sind, um die Inflation von aktuell über 10 Prozent in den Griff zu bekommen. Dennoch könnte die Dynamik für einen dritten 75-Basispunkte-Schritt nachlassen, da mittlerweile selbst einige im Falkenlager verortete Notenbanker einen moderateren Schritt von einem halben Prozentpunkt in Betracht ziehen.

Das Verständnis der Inflationstrends wird laut Lane davon abhängen, die Entwicklung von Löhnen und Gehältern zu analysieren. Bis sich die Einkommen vollständig an die jüngsten Preisschocks angepasst haben, werde es wahrscheinlich mehrere Jahre dauern, erklärte der EZB-Chefökonom, der im Notenbankrat eher zu den vorsichtigen Stimmen zählt.  “Auf diese Weise könnte der Lohnanpassungsprozess in den nächsten zwei oder drei Jahren einen Aufwärtsdruck auf die Preisinflation ausüben”, führte er aus.

Die langfristigen Inflationserwartungen “scheinen derzeit gut am 2-Prozent-Ziel der EZB verankert zu sein”, so Lane. Er verteidigte den EZB-Ansatz, bei der Festlegung der Geldpolitik von Sitzung zu Sitzung vorzugehen.

Gleichzeitig warnte er davor, dass die Bemühungen der Regierungen zur Linderung der Energiekrise die Inflation auf lange Sicht anheizen werden - ein Trend, der sich als volkswirtschaftlich kostspielig erweisen könnte.

(Bloomberg)