Dem Siemens-Top-Manager Matthias Rebellius schweben etwa Übernahmen bei Software oder Lade-Infrastruktur für Elektrofahrzeuge vor, wie er der Nachrichtenagentur Reuters in einem Interview in Zug sagte. Für die Steuerung und Überwachung von Bürogebäuden und Wohnhäusern werde Software immer wichtiger. "Wir haben schon eine riesige Softwarebasis und viele Software-Entwickler. Wir können sie mit Investitionen in Start-ups oder Übernahmen noch ausbauen", sagte Rebellius, der vor zehn Monaten die Führung der Sparte "Smart Infrastructure" übernommen hat und damit in die Konzernleitung aufgerückt ist.

Bisher hinkt Smart Infrastructure mit einem Umsatz von rund 700 Millionen Euro mit Software und digitalen Diensten - das sind rund fünf Prozent ihres Gesamtumsatzes von 14,3 Milliarden - den anderen Siemens-Sparten hinterher. "Wir werden das bis 2025 verdoppeln", versprach Rebellius. Der Anspruch der Kunden sei gestiegen: Sie wollten selbst bei Großprojekten mit einem Knopfdruck alles überblicken können, "nicht nur ein Gebäude oder eine Anlage, zum Beispiel auch jedes einzelne Haus einer Kette von Tausenden Hotels, um die Infrastruktur vergleichen zu können". Siemens Smart Infrastructure ist auf die Ausrüstung und Steuerung von Gebäuden und Netzen spezialisiert.

Ein breites Portfolio ist ein Segen

Deshalb verwahrt sich Rebellius auch gegen den Vorwurf, Smart Infrastructure sei ein "Gemischtwarenladen". "Ein breites Portfolio ist ein Segen", sagte er. "Wenn ich mit unseren Kunden spreche, wollen sie keine Anbieter, die sich nur auf ein Produkt konzentrieren." Sie suchten jemanden, der sie in einem immer komplexeren Umfeld unterstütze. "Daran glaube ich fest." Dennoch hatte Siemens 2019 Firmenteile mit einem Umsatzvolumen von zwei Milliarden Euro ausgemacht, die nicht mehr so recht dazupassten. 700 Millionen davon seien bereits abgehakt, sagte Rebellius.

Die Sparte, die mit 70'000 Mitarbeitern rund ein Viertel der Siemens-Belegschaft stellt, hat ihren Sitz in Zug, nachdem der Münchner Technologiekonzern vor 25 Jahren den dortigen Elektro-Industrieausrüster Elektrowatt übernommen und den Nukleus von Smart Infrastructure geschaffen hat. Der gebürtige Wuppertaler Rebellius hat seit zwei Jahren die Schweizer Staatsbürgerschaft.

In den Sparten Digital Industries (Industrieautomatisierung) und Mobility (Verkehrstechnik) hat Siemens schon Softwarefirmen für mittlere dreistellige Millionenbeträge gekauft. Rebellius will sich bei Übernahmen auf keine Größenordnung festlegen: "Es geht weniger darum, wie viel man bezahlen will, sondern darum, wie viel Wachstum man damit schaffen und welchen Wert man daraus erzeugen kann." Ein Budget für Akquisitionen gebe es bei Siemens nicht. "Wenn sich Gelegenheiten ergeben, sind wir bereit."

ABB Marktanteile abnehmen

Siemens Smart Infrastructure wolle mittelfristig um vier bis sechs Prozent wachsen, sagte Rebellius. Weil der Gebäudetechnik-Markt nur um drei Prozent pro Jahr zulegt, muss Siemens dafür Rivalen wie Schneider, ABB, Honeywell und Johnson Controls Marktanteile abnehmen - etwa durch den Ausbau des Geschäfts mit E-Ladesäulen, das Wachstumsraten von 30 Prozent hat.

Im laufenden Geschäftsjahr 2020/21 (per Ende September) soll das Geschäft der Siemens-Sparte nach der Corona-Krise sogar um neun Prozent zulegen. Das hält Rebellius auf Dauer für schwer haltbar, auch wenn der Markt für Bürogebäude 2023 wieder auf dem Niveau von 2019 sein werde.

Neubauten dürften zwar aufgrund des Trends zum Home-Office langsamer zunehmen. In Gebäuden werde aber viel mehr Elektronik verbaut. "Wir verkaufen kein Glas und keinen Beton. Die Gebäude werden künftig viel digitaler, viel technischer - und das ist gut für uns", sagte der Spartenchef. 

(Reuters)