An den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus haben am Wochenende in deutschen Städten nach Angaben der Polizei insgesamt rund 910'000 Menschen teilgenommen. Diese Zahl gab ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Montag in Berlin bekannt. Die Debatte über den Umgang mit der AfD erhielt durch Äusserungen von Bundessprecherin Alice Weidel neuen Auftrieb, die den britischen EU-Austritt (Brexit) als «vollkommen richtig» bezeichnete und über einen «Dexit» spekulierte. Mit Spannung wird mit Blick auf die AfD am Dienstag eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwartet, ob die staatlichen Finanzen für die rechtsextreme Partei NPD gekappt werden dürfen.
Am Wochenende hatte in zahlreichen Städten Demonstrationen stattgefunden. Die Veranstalter hatten wesentlich höhere Zahlen als die Polizei genannt. Bundeskanzler Olaf Scholz sieht diese Zahlen nach Angaben eines Sprechers als «sehr, sehr positives Zeichen», dass sich die Zivilgesellschaft hörbar zu Wort gemeldet habe. Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang verwies darauf, dass es sich nicht um Grossstadt-Proteste gehandelt habe. «Sondern es geht in die Fläche», sagte sie mit Hinweis auf Demonstrationen auch in kleineren Städten in Ostdeutschland. Der Sprecher des Innenministeriums sagte, die Demonstrationen seien ein Signal an all diejenigen, die ausgegrenzt werden sollten und denen Angst gemacht werde mit Ideologien, wie sie bei dem Potsdamer Treffen gehegt wurden. Dort soll es um Pläne für Massendeportationen von Migranten gegangen seien. Teilnehmer und auch AfD-Bundessprecherin Weidel bestreiten allerdings entsprechende Berichte.
Weidel löste mit einem «Financial Times»-Interview Kritik aus. Falls eine EU-Reform im Sinne der AfD nicht möglich sei, sollte man über einen Austritt Deutschlands nachdenken, hatte sie gesagt. «Wir könnten ein Referendum über den 'Dexit' abhalten - einen deutschen Austritt aus der EU», sagte die AfD-Bundessprecherin. «Putin, Xi und Trump wünschen sich nichts mehr als einen Dexit», schrieb die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, daraufhin auf der Plattform X. Der Brexit koste jährlich 160 Milliarden Euro.
Debatte über Kappung der Finanzen
Unterdessen wird weiter darüber diskutiert, ob der Staat auch rechtlich gegen die rechtspopulistische Partei vorgehen sollte. Der Regierungssprecher äusserte sich zurückhaltend zu Forderungen, der Rechtspartei AfD die Finanzierung zu entziehen. Man warte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ab. Er verwies aber darauf, dass für einen solchen Ausschluss aus der Parteienfinanzierung ähnlich hohe verfassungsrechtliche Hürden wie bei einem Parteienverbot bestehen würden. Der Sprecher des Innenministeriums sagte, dass das Verfassungsgericht aber selbst bei der Ablehnung eines NPD-Verbots auf die Möglichkeit verwiesen habe, die Finanzierung zu entziehen. «Das ist auf jeden Fall eine mögliche Option», sagte Grünen-Chefin Lang.
Grundlage für das am Dienstag erwartete Urteil ist eine 2017 beschlossene Ergänzung des Grundgesetzes, wonach Parteien von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen werden, wenn sie «nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet» sind, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.
(Reuters)