Das vergangene Jahr war für die meisten Privatanlegerinnen und -anleger scheusslich. Sowohl Aktien als auch Anleihen machten Verluste, und das nicht zu knapp. Allerdings hat dieses negative Jahr auch sein Gutes. Denn immer nach einem Kursrückgang verbessern sich die Aussichten für die Anlegerinnen und Anleger.
Der Grund: Aktien und Anleihen, aber auch andere an Börsen gehandelte Vermögenswerte haben die Tendenz, zu ihren langjährigen Durchschnittswerten zurückzukehren. Daraus ergibt sich eine einfache Faustregel: Je höher die Renditen der jüngeren Vergangenheit, desto niedriger die zukünftigen Renditen und umgekehrt.
2000 war ein goldenes Börsenjahr
Ein Beispiel: Im Jahr 2000 blickten die US-Börsenanleger auf enorme Kursgewinne zurück. Das Niveau des Leitindexes S&P 500 etwa hatte sich in nur drei Jahren verdoppelt. Nach einem so gewaltigen Boom war zu erwarten, dass die nächsten Jahre um einiges weniger gewinnbringend ausfallen werden. Und so kam es auch. Von Februar 2000 bis Februar 2010 machten die S&P-500-Anleger einen jährlichen Verlust von 0,6 Prozent, selbst wenn sie die Dividenden reinvestiert haben.
Ganz anders im Jahr 2003. Im Februar jenes Jahres blickten die Anlegerinnen und Anleger auf gleich drei vorangegangene Minus-Jahre zurück. Daher war zu erwarten, dass die Zukunft deutlich besser ausfällt als die jüngere Vergangenheit. Auch hier kam es dann tatsächlich so. Von Februar 2003 bis Februar 2013 erzielten Anleger mit dem S&P 500 durchschnittliche Jahresrenditen von 8,2 Prozent, sofern sie die Dividenden reinvestierten. Und das trotz der Finanzkrise und dem Börsencrash von 2008.
Positiv- oder Negativ-Szenario?
Die Frage ist, ob sich die Börsen eher in einer Situation wie im Jahr 2000 befinden oder eher in einer wie 2003. Eine wichtige Hintergrundinformation: Die langjährigen Aktienrenditen in den USA liegen bei knapp 10 Prozent pro Jahr, die Obligationenrenditen bei etwa der Hälfte. Die Zahlen für europäische Aktien und Anleihen sind etwas tiefer, um jeweils rund 1 Prozentpunkt.
Welche Renditen werden die Anlagen über die nächsten zehn Jahre abwerfen? Die Bank Schroders wagt einen Blick in die Kristallkugel. Ihre Einschätzung ist, dass wir uns eher in einem Szenario wie 2003 befinden. Die Kursverluste im letzten Jahr haben nach dieser Sichtweise genügt, um etwaige Übertreibungen insbesondere bei Aktien und Anleihen so weit zu korrigieren, dass über die nächsten zehn Jahre ungefähr die langjährige Durchschnittsrendite herausschaut.
Allerdings sind die Meinungen über die zukünftigen Renditen der verschiedenen Assetklassen so unterschiedlich wie kaum je zuvor. Einige namhafte Finanzmarktakteure sind der Ansicht, beispielsweise der Hedgefonds AQR oder der Investor John Hussman, dass die Jahre seit der Finanzkrise mit den Kaufprogrammen der Zentralbanken und den Nullzinsen in fast allen Assetklassen zu einer Blase geführt hätten.
Zwar seien die Aussichten für Anlegerinnen und Anleger besser als vor zwölf Monaten, aber auch nach dem schlechten Jahr 2022 lägen die Kurse der meisten Assets auf einem so hohen Niveau, dass es die langfristigen Renditeaussichten belaste. Deswegen müssten Anleger in den nächsten zehn Jahren vor allem bei Aktien mit Renditen rechnen, die tiefer sind als der langjährige Durchschnitt. AQR etwa sieht 6 Prozent pro Jahr, John Hussman sogar nur 1 Prozent.
Es gilt, sich ein eigenes Urteil zu bilden
Falls Schroders mit seiner Einschätzung richtig liegt, wäre es für die Anlegerinnen und Anleger vorteilhaft, mit einem grossen Teil des Vermögens auf Aktien zu setzen, da diese dann die höchsten Renditen haben. Falls sich jedoch eher das Szenario von John Hussman realisiert, ist ein grosser Aktienanteil nicht die profitabelste Wahl. In diesem Fall wäre es besser, einen relativ hohen Anteil des Portfolios in Cash und Anleihen zu halten, gepaart mit alternativen Anlagen wie Rohstoffinvestments oder Hedgefonds.
Aus dem Gesagten folgt eine beinahe banale Erkenntnis: Es führt auch hinsichtlich der langfristigen Renditeprognosen kein Weg daran vorbei, dass sich die Anlegerinnen und Anleger ein eigenes Urteil bilden.
Dieser Artikel erschien zuerst in der "Handelszeitung" unter dem Titel: "Wie sich innert zehn Jahren am meisten Geld verdienen lässt."