cash.ch: Sie haben in ihrem Mid-Cap-Portfolio mit Logitech und Sonova zwei Schweizer Aktien. Wieso nicht mehr Schweizer Aktien? 

Sébastien Maillard: Im europäischen Vergleich ist der Schweizer Markt verhältnismässig teuer bewertet. Schweizer Firmen haben eine sehr hohe Qualität - sowohl im Gesundheitswesen als auch im Industriebereich. 

Bei Sonova sind Sie schon längere Zeit investiert? 

Ja, Sonova halten wir schon seit vielen Jahren. Vielleicht ist Sonova nach diesen Kurssteigerungen in den letzten Jahren kein klassischer Mid Cap mehr, da die Firma in der Schweiz im Swiss Market Index (SMI) zu den Large Caps gehört. Aber wir sehen bei der Firma weiterhin Potenzial. Sonova ist in einem konzentrierten Markt tätig mit einigen grossen Herstellern, die alle sehr innovativ sind.

Die Kursentwicklung von Sonova konnte in den letzten 18 Monaten nicht überzeugen. Beunruhigt Sie das?

Sonova hat über die Jahre regelmässig eine starke Performance hingelegt mit zwischenzeitlich heftigen Tauchern, so wie dies auch jetzt der Fall ist. Wir investieren langfristig, und die zuweilen heftigen Kursschwankungen machen uns keine Sorgen. 

Was spricht für Logitech?

Logitech hatte jüngst eine harte Zeit nach dem Boom während der Corona-Pandemie, aber die Lausanner haben eine sehr innovative, starke Innovationsplattform. Wenn dieser Angebotsüberhang abgearbeitet ist, dürfte das Unternehmen wahrscheinlich auf seinen langfristig erfolgreichen Wachstumspfad zurückkehren.

Welche Märkte in Europa haben Ihrer Meinung nach noch Potenzial?

Wir haben eine hohe Gewichtung bei französischen und deutschen Unternehmen und bevorzugen Investitionen dort, wo die Firmen einen Wettbewerbsvorteil haben.

Wieso sind sie nicht stärker in der Peripherie in Europa investiert?

Der eine Faktor ist die Wertschöpfung, auf die wir fokussieren. Und die ist im Moment in Frankreich und Deutschland höher als in der Peripherie. Ein zweiter Punkt ist, dass wir primär in Firmen investieren, die weltweit tätig sind. Wenn wir in Firmen investiert sind, die nur lokal tätig sind, gehen wir ein grösseres Risiko ein. Insofern spielt es für uns eine weniger wichtige Rolle, ob eine Firma Deutsch, Französisch oder Schweizerisch ist. Betrachten wir unsere Portfolio-Gesellschaften, so erzielen diese im Schnitt 20 Prozent des Umsatzes lokal und 80 Prozent international. Die Sensitivität gegenüber dem Konjunkturverlauf weltweit ist damit wesentlich grösser.

Gibt es nicht auch in Italien und anderen Ländern der Eurozone interessante, international tätige Unternehmen?

Durchaus. Gerade Italien ist dabei ein gutes Beispiel, hat das Land doch sehr viele starke Industrieunternehmen, die wir interessant finden. Allerdings ist ein Grossteil davon in privater Hand und wird nicht am Aktienmarkt gehandelt. Eine Firma, in die wir in Italien investiert sind, ist der Kaffeemaschinen-Produzent Delonghi. Das Unternehmen will nun neben dem Markt für den Privathaushalt auch im Bereich der kommerziellen Kaffeemaschinen wachsen. Aber grundsätzlich ist die Anzahl der Firmen, in welche wir investieren können, im südlichen Europa begrenzt.

Welches sind Ihre Top-Unternehmen in Frankreich?

In Frankreich finden wir Biomerieux im Moment sehr spannend. Das Unternehmen ist auf dem Gebiet der Diagnostik tätig und hat einen syndromischen Testansatz entwickelt, mit dem unter allen möglichen bakteriellen oder viralen Ursachen die Krankheit eines Patienten identifiziert werden kann. Das Resultat aus dieser Untersuchung von bis zu 30 Parametern liegt dann innert ein bis zwei Stunden vor, was über Leben und Tod entscheiden kann. Darüber hinaus hilft diese Technologie, die Kosten im Gesundheitssystem zu senken, indem die Patienten von Anfang an mit den richtigen Medikamenten behandelt werden können.

Wachstum und Innovation sind bei Ihnen zwei wichtige Stichworte. Weshalb sind die zwei Faktoren so wichtig?

Nehmen Sie zum Beispiel den in Europa bekannten Hersteller von Anlagen für die Chipproduktion ASML. Die Aktie hat zwar nicht wie Nvidia derart herausragend performt, aber die niederländische Firma ist im Bereich Lithographiesystemen für die Halbleiterindustrie Weltmarktführer und sehr innovativ. In die gleiche Kategorie gehört das ebenfalls niederländische Unternehmen ASM International, das Produktionsanlagen für die Halbleiterindustrie und Anlagen zur Atomlagenabscheidung entwickelt und baut. ASM hat dieses Jahr 40 Prozent zugelegt und wir glauben an das langfristige Potenzial dank dem starken Wachstum und der innovativen Technologieplattform bei beiden Firmen. Ohne diese würde es keine Halbleiter für KI-Anwendungen geben.

Halbleiter-Aktien gelten eher als unberechenbar und volatil...

Das war in der Vergangenheit so und ich schliesse nicht aus, dass die Volatilität zurückkommt. Aber diese Branche ist in einem langfristigen Wachstumstrend, der nach unserer Analyse deutlich weniger von Wirtschaftsabschwüngen betroffen sein wird. Dies, weil die Digitalisierung rasant weitergeht und die Nachfrage nach leistungsstarken und weniger Energieintensiven Halbleitern weiter zunehmen wird. Deshalb haben wir auch in die belgische BE Semiconductor Industries (Besi) investiert. Die Firma entwickelt hochmoderne Montageprozesse und Ausrüstungen für Leadframe-, Substrat- und Wafer-Level-Packaging-Anwendungen für Kunden wie Apple, Samsung oder Intel. Sowohl ASML, ASM International und Besi befinden sich in einem säkularen Wachstumstrend. Das ist für uns wichtig.

Verschiedene Marktkommentatoren sind der Meinung, dass das Gewinnwachstum in Europa bald rückläufig sein wird. Stimmen Sie dem zu?

In den von uns bevorzugten Sektoren Gesundheit, Industrie, Konsum und Technologie sind die Resultate für das erste Quartal gut ausgefallen. Wir schliessen für den Moment aber nicht aus, dass es härter wird für die Firmen, auf dem zuletzt sehr erfolgreichen Wachstumspfad zu bleiben. Deshalb gilt es, weiterhin sehr selektiv zu bleiben. Unser Ziel ist es daher, wie in den vergangenen zehn Jahren erfolgreich unter rund 2000 Mid Caps in Europa 40 bis 60 vielversprechende Firmen auszuwählen - egal in welchem Umfeld. Diesbezüglich sind wir sehr zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft eine bessere Rendite als die Benchmark abwerfen, wenn wir in die richtigen Firmen investieren. 

Nach welchen Bewertungskriterien selektieren Sie diese Unternehmen?

Zentral ist der Ansatz des diskontierten Cashflows. Dabei nutzen wir zwei Szenarien. Auf der einen Seite nehmen wir das Best-Case-Szenario in Bezug auf Margenentwicklung und Wachstum, um das Aufwärtspotenzial bei einer Firma einzuschätzen. Auf der anderen Seite steht Worst-Case-Szenario, mit welchem wir versuchen, das Abwärtspotenzial zu beziffern. Auf eine gewisse Art ist es eine Chancen-/Risiko-Abwägung, wo wir verschiedene Unternehmen mit einem einheitlichen Ansatz vergleichen können. Dabei schauen wir uns auch die Gewinnentwicklung vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA) an sowie das Kurs-/Gewinnverhältnis. Dabei zählt aber nicht nur das Wachstum als wichtige Grösse, sondern der Ertrag auf dem investierten Kapital (ROIC).

Kommt es oft vor, dass das Worst-Case-Szenario eintritt? Und wenn ja, warum?

Ein Grund dafür ist, dass das Management nicht die Leistung bringt, die wir uns oder auch das Management einer Firma selbst erhofften. Ebenso kann es zu einer technischen Disruption kommen, die den Geschäftsplan auf den Kopf stellt. Das ist das Risiko. Deshalb ist es so wichtig, ein gutes Management zu haben. Wir haben zum Beispiel während der Corona-Pandemie gesehen, wie sich gewisse Gesellschaften wesentlich schneller als andere angepasst und letzten Endes dann auch profitiert haben. Das heisst, dass wir da jederzeit wachsam sein müssen.

Haben Sie keine Bedenken wegen den steigenden Refinanzierungskosten bei den Unternehmen?

Wir investieren primär in Unternehmen, welche eine sehr tiefe Verschuldung haben. Insofern hat das nur einen beschränkten Einfluss. Der andere Effekt ist aber bei der Bewertung der Aktien an der Börse, weil die Risikoprämien steigen. Da stellen wir fest, dass die Schwankungen bei den Mid Caps grösser sind als bei den Large Caps. Deshalb hatten wir letztes Jahr auch entsprechend ein schwaches Jahr. Immerhin sehen wir jetzt, wo der Zinspeak in etwa liegen wird. Das macht es einfacher, ein Unternehmen durch die Analyse des zukünftigen freien Cashflows zu bewerten.

Sébastien Maillard ist seit 2003 Portfoliomanager und Analyst für Small & Mid Cap Aktien bei ODDO BHF Asset Management in Paris. Er ist Absolvent der Ecole Supérieure de Commerce Audencia in Nantes. 

Thomas Daniel Marti
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