Schweizer Pensionskassen investieren zu konservativ. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Beratungsunternehmens WTW im Auftrag des Verbandes der Schweizer Asset Managers (AMAS). Konkret hat die Studie eine durchschnittliche Minderrendite bei gleichbleibenden Risiken von bis zu 0,5 Prozent pro Jahr festgestellt. Je nach Vorsorgeeinrichtung wird zudem die volle Risikofähigkeit nicht ausgeschöpft. Die Minderrendite fällt in diesem Fall noch höher aus.
0,5 Prozent scheinen auf den ersten Blick viel. Über eine Erwerbstätigkeit von mehr als 30 Jahren macht diese Differenz jedoch schnell bis zu 20 Prozent auf das bei der Pension vorhandene Vorsorgevermögen aus. Je höher die Verzinsung der Altersguthaben, desto grösser dieser Effekt.
Was sind die Gründe für diese Minderrendite und was können Arbeitnehmende dagegen unternehmen?
Verschwendetes Renditepotenzial
WTW hat 150 Pensionskassen mit einem Vermögen von 680 Milliarden Franken untersucht. Das sind 61 Prozent aller Vermögenswerte in der zweiten Säule. Für die Studie wurden firmeneigene Vorsorgeeinrichtungen, Sammelstiftungen sowie öffentliche Pensionskassen berücksichtigt.
Die Studie hat bei nicht wenigen Pensionskassen ein Optimierungspotenzial festgestellt, die grössten Unterschiede liegen zwischen firmeneigenen und öffentlichen Pensionskassen: Erstere könnten durch einen effizienteren Einsatz des Risikos den Ertrag im Durchschnitt um 0,5 Prozent pro Jahr steigern. Öffentlich-rechtliche Pensionskassen weisen dagegen die geringsten Verbesserungsmöglichkeiten auf.
Das weitaus grössere Potenzial bietet jedoch die ungenutzte Risikofähigkeit. Ein Viertel der Pensionskassen könnte mit einem «einfachen Risikobudget» die Rendite um bis zu 0,95 Prozent pro Jahr erhöhen. Dieses einfache Risikobudget entspricht einer geringen Unterdeckung mit einem Deckungsgrad von mindestens 91,1 Prozent.
Bei einem «mittleren Risikobudget» - im schlimmsten Fall ein Deckungsgrad zwischen 86,5 und 91,1 Prozent - könnte die Rendite um bis zu 1,48 Prozent pro Jahr gesteigert werden. Arbeitnehmende hätten in diesem Fall einen Zuwachs des Vorsorgevermögens von 60 Prozent über drei Jahrzehnte gegenüber dem Status quo.
Achtung, alternativen Anlagen
Doch ganz so einfach ist es nicht. Zu den Ansätzen, das Risiko optimaler einzusetzen, empfehlen die Verfasser der Studie die Reduktion von Anleihen und der Ausbau alternativer Anlagen – also alle Anlageklassen ausser Anleihen und Aktien - und die Reduktion des «Home Bias». Also die Neigung, in heimische Vermögenswerte zu investieren.
Hier liegt das Problem. Auf Anfrage von cash.ch weist Lukas Riesen, Partner beim Beratungsunternehmen PPCmetrics, auf die Datenverfügbarkeit und Liquidität bei den weitgehend illiquiden alternativen Anlageklassen wie Private Equity, Infrastruktur oder Hedgefonds hin. «Je höher ihr Anteil im Portfolio, desto grösser sind die Unterschiede in der Rendite- und Risikoermittlung - und damit das scheinbare Optimierungspotenzial», sagt Riesen.
«Wie geht man mit dieser Illiquidität um?», fragt Riesen gleich selber - und ergänzt: «Je nach Datenquelle unterscheiden sich die Renditeberechnungen erheblich.» Deshalb sei auch ein hohes Verbesserungspotenzial aufgrund einer Höhergewichtung von alternativen Anlagen vorsichtig zu interpretieren.
Der «Home Bias» sei hingegen tatsächlich problematisch, findet Riesen - zumindest bei Aktien. Bei Anleihen indessen gibt es gute Gründe für die Übergewichtung des Heimmarktes, da die Rentenverpflichtungen der Vorsorgeeinrichtungen ebenfalls in Franken bestehen.
Dabei weist er noch auf einen weiteren wichtigen Punkt hin: Immobilien. Auch sie leiden unter ähnlichen Herausforderungen wie die übrigen alternativen Anlagen - wenn auch etwas weniger, da hier eine längere Preishistorie vorliegt. Je höher also die Gewichtung der alternativen Anlageklassen inklusive Immobilien, umso grösser die Unterschiede der jeweiligen Portfolioallokationsmodelle und dem theoretischen Optimierungspotenzial.
Das Gesetz fördert die Risikoaversion
Minderrenditen und Verbesserungspotenzial sind jedoch nicht ausschliesslich mit Modellen und Datenqualität zu erklären. Im Gespräch mit cash.ch verweist Michel Bossong, Senior Experte Vorsorge bei AMAS, auf zwei wegweisende Bundesgerichtsentscheide: 2016 im Fall «Sicherheitsfonds BVG gegen Pensionskasse der medizinisch-sozialen Dienste des Saanebezirks» und 2024 im Fall «Sicherheitsfonds BVG gegen Sammelstiftung Provitas».
In beiden Fällen lautete die Botschaft: Stiftungsräte müssen zwingend eine saubere, transparente Führung sicherstellen - und haften indirekt, weil mangelnde Compliance den Anspruch auf den Sicherheitsfonds vernichten kann. In der Folge wurden Stiftungsräte bei Anlageentscheiden «wesentlich konservativer», so Bossong.
Dies überrascht nicht. Das Gesetz verlangt zwar von ihnen, am Kapitalmarkt Erträge zu erwirtschaften - die Höhe ist jedoch nicht konkret definiert. Die Haftungsrisiken sind hingegen viel klarer geregelt: Stiftungsräte oder die Geschäftsführung haften persönlich und unbeschränkt für Schäden, die sie absichtlich oder fahrlässig verursachen.
Bei der Verwaltung von Milliardenvermögen ist Vorsicht somit die finanziell bessere Variante - zumindest für die mit der Verwaltung betrauten Personen. Zwar dürfte dies bei vielen Stiftungsräten kein bewusster Entscheid sein, doch ein im Unterbewusstsein mitwirkender Einfluss kann nicht ausgeschlossen werden.
Staatsgarantie vs. börsenkotierte Unternehmen
Ein Indiz offenbart der Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und firmeneigenen Vorsorgeeinrichtungen. Öffentlich-rechtliche Pensionskassen stellen die Vorsorge oft für Städte und Gemeinden oder für Kantone sicher. Mit dem Steuerzahler als Garant können weder sie noch die öffentlichen Einrichtungen plötzlich zahlungsunfähig werden - eine implizite Staatsgarantie also. Laut Studie gehen sie häufiger Anlagerisiken ein, unabhängig von der Sanierungsfähigkeit. Das erhöht die langfristigen Erträge.
Firmeneigene Vorsorgeeinrichtungen hingegen haben einen grossen Anreiz zur Risikovermeidung: Bei der Sanierung muss sich das Unternehmen beteiligen. Besonders bei börsenkotierten Unternehmen überwiegt daher das Ziel, die Unterdeckungsrisiken möglichst klein zu halten. Unerwartete potenzielle Zusatzaufwände im Zusammenhang mit der Vorsorge werden an den Kapitalmärkten abgestraft. Die Optimierung des Vorsorgevermögens ist zweitrangig.
Öffentliche Pensionskassen weisen laut Studie im Durchschnitt ein Verbesserungspotenzial bei gleichem Risiko von nur 0,35 Prozent auf, während firmeneigene Pensionskassen die Erträge um 0,5 Prozent erhöhen könnten. Wird das nicht vollständig ausgenutzte Risikobudget mitberücksichtigt, fällt die Differenz noch höher aus.
Lukas Riesen sieht die Ursache hierbei weniger in der Trägerschaft als in den fundamentalen Faktoren. Die staatlichen Institute unterliegen weitaus geringen Unsicherheiten und sind stabiler als private Unternehmen: «Welches Unternehmen hat sich in den vergangenen 30 Jahren nicht massiv verändert?», so Riesen. Dieser Umstand beeinflusse Anlageentscheide und die Portfoliogestaltung.
Michel Bossong sieht die Unterschiede wiederum in der Herangehensweise bei der Portfoliokonstruktion: Pensionskassen mit höheren Sollrenditen erzielen auch höhere Ist-Renditen. Wer die Anlagestrategie von der Risikofähigkeit ausgehend entwickelt (und diese auch ausnutzt), statt primär auf die Sollrendite zu fokussieren, schöpft das Ertragspotenzial besser aus.
Was können nun Arbeitnehmer tun?
Dem Vorsorgebereich fehlt es überdies an Personal. «Wer möchte schon seine Freizeit unentgeltlich opfern, um erhebliche finanzielle Risiken zu tragen», sagt Bossong. Stiftungsräte sind daher Mangelware.
Dabei können gerade jüngere Leute in Stiftungsräten etwas bewirken, indem sie als Stiftungsräte für Höherverzinsungen plädieren. Das führt allerdings oft zu Diskussionen, denn Stiftungsräte sind in der Regel paritätisch aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern zusammengesetzt. Die beiden Gruppen haben unterschiedliche Interessenlagen.
Nicht jede Pensionskasse hat allerdings Optimierungspotenzial. So einzigartig die Aktiv- und Passivseite jeder Kasse, so unterschiedlich die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Darauf wird auch in der Studie hingewiesen.
Doch eines ist klar: Ohne Risiko kein Ertrag - besonders im Niedrigzinsumfeld. Da die Vorsorgeplanung eine immer wichtigere Rolle bei der Jobsuche spielt, dürfte der Druck auf Unternehmen und Pensionskassen steigen, den Fokus von Verlustvermeidung auf Ertragserhöhung zu lenken, um so attraktive Leistungspakete anbieten zu können.