Dabei erleichtern ihnen üppige Staatshilfen die Entscheidung. Ob damit das mit dem "Chips Act" der Europäischen Union angestrebte Ziel einer grösseren Unabhängigkeit von ausländischen Lieferanten und einer Verdoppelung des weltweiten Marktanteils erreicht werden kann, ist aber fraglich.

"Der Chips Act bringt zwar Hersteller nach Europa, aber dennoch werden noch viele Produkte von ausserhalb zugekauft", sagt Analyst Alan Priestley von der Beratungsfirma Gartner. "Ausserdem müssen die Prozessoren zur Weiterverarbeitung und zum Einbau in die fertigen Produkte wieder verschifft werden." Auch Oliver Blank, Bereichsleiter Global Affairs beim Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI, weist auf diesen Aspekt hin. "Bevor ein Chip irgendwo eingebaut wird, ist er rechnerisch zweieinhalb Mal um die Welt gereist."

Am Bedarf vorbeigeplant?

In der Magdeburger "Mega-Fab" von Intel könnten Überlegungen zufolge hypermoderne Halbleiter mit Strukturgrössen von einigen wenigen Nanometern produziert werden, die noch nicht serienreif sind. Derartige Hochleistungschips werden vor allem in Unterhaltungselektronik oder Rechnern eingebaut, die hauptsächlich aus Asien kommen. Europäische Fahrzeug-Hersteller nutzten dagegen Prozessoren älterer Bauart mit Strukturgrössen von 28 Nanometern oder mehr, erläutert Zhou Xing, Autoexperte der Beratungsfirma AlixPartners. Daran werde sich so schnell auch nichts ändern.

Frank Börsenberg, Geschäftsführer des Verbandes Silicon Saxony, in dem sich die Branche in der Halbleiter-Hochburg Sachsen organisiert hat, sagt, ein Bedarf für derartige Chips sei auch in Europa vorhanden, wenn man etwa an Autonomes Fahren oder den modernen Mobilfunkstandard 5G denke - "aber nicht in den Stückgrössen, dass damit eine ganze Fab gefüllt wird". Zugleich zeigt er sich zuversichtlich, dass das noch wird: Die neue Intel-Fabrik soll 2027 den Betrieb aufnehmen, bis dahin werde die Nachfrage europäischer Hersteller sicher steigen.

Fabriken ohne Mitarbeiter?

Die größte Herausforderung für die Chip-Industrie sei aber der Fachkräftemangel, erläutert Gartner-Experte Priestley. Jede Fabrik benötige 3000 bis 5000 Hochqualifizierte. Da es fraglich sei, ob an deutschen Fakultäten genügend Menschen ausgebildet werden könnten, müssten Spezialisten aus dem Ausland angeworben werden. Stefan Kooths, Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), hatte unlängst zudem gewarnt, dass Konzerne wie Intel kleineren deutschen Unternehmen die Mitarbeiter abjagen könnten.

Laut einer im Frühjahr veröffentlichten Studie des ZVEI und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) fehlen in der Chip-Industrie im Jahresdurchschnitt 62'000 Beschäftigte. Jede zweite offene Stelle könne daher nicht besetzt werden.

Zu ehrgeizige Ziele?

Zweifel hegen Fachleute auch bei der Frage, ob die von der EU angestrebte Verdoppelung des Marktanteils an der weltweiten Halbleiter-Produktion bis 2030 gelingen kann. Da sich bis dahin wohl auch der Bedarf verdoppeln wird, müssten sich die europäischen Kapazitäten in diesem Zeitraum vervierfachen. "Das ist sehr ambitioniert", wirft ZVEI-Experte Blank ein. "Bis dahin ist nicht mehr viel Zeit. Ausserdem müssen Unternehmen gefunden werden, die investieren wollen. Das ist kein Selbstläufer."

Gartner-Analyst Priestley stellt auch das EU-Ziel des Schutzes vor Lieferketten-Störungen in Frage. "Es macht Europa nicht unabhängig, nur weil man so viele Chips herstellt." Schliesslich müssten viele Rohstoffe und Vorprodukte importiert werden. Ähnlich wie beim "Chips Act" der USA sei die EU-Entscheidung politisch motiviert. Bislang produziert die Halbleiter-Industrie hauptsächlich in Ostasien, wo die Spannungen zwischen China und dem Westen zunehmen.

ZVEI-Experte Blank rät daher, bis zu den Wahlen zum Europaparlament im kommenden Jahr mit Bedacht vorzugehen. "Die neue Kommission sollte dann zunächst einmal prüfen, ob die jetzt auf den Weg gebrachten Initiativen den gewünschten Effekt haben."

(Reuters)