Die überraschende Aufhebung der US-Sanktionen gegen Syrien versetzt Investoren in Goldgräber-Stimmung. Wohlhabende Exil-Syrer, aber auch Unternehmen aus den umliegenden Staaten erwarten einen Boom beim Wiederaufbau des durch den jahrelangen Bürgerkrieg verwüsteten Landes. «Syrien ist ein Land der Möglichkeiten», betont der syrische Finanzminister Yisr Barnieh in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters. «Wir rufen alle Investoren auf, diese Chance zu nutzen.»

Der syrische Unternehmer und Milliardär Ghassan Aboud steht bereits in den Startlöchern und nennt dafür zwei Gründe: «Erstens möchte ich dem Land auf jede erdenkliche Weise dabei helfen, sich zu erholen, und zweitens ist der Boden fruchtbar. Jede heute gepflanzte Saat kann zu guten Gewinnen führen.» Er gehe davon aus, dass auch andere syrische Geschäftsleute mit Verbindungen ins Ausland seinem Beispiel folgen werden, da sie nun nicht mehr befürchten müssten, mit US-Sanktionen belegt zu werden.

Der libanesische Geschäftsmann Imad al-Khatib treibt seit der Kehrtwende von US-Präsident Donald Trump seine Investitionspläne für Syrien energischer voran. Er habe vor wenigen Tagen Spezialisten in die Hauptstadt Damaskus geschickt, um den Bau einer 200 Millionen Dollar schweren Abfall-Sortieranlage vorzubereiten. «Das ist nur der erste Schritt, weitere werden folgen», betont er. «Wir werden sicher weitere Investoren anlocken, da Syrien deutlich grösser ist als der Libanon.» Finanzminister Barnieh zufolge haben Interessenten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait und Saudi-Arabien bei ihm bereits vorgefühlt.

Zahlt sich Unterstützung der Opposition aus?

Auch türkische Unternehmen können auf milliardenschwere Aufträge hoffen, betont Onur Genc, der Chef der Bank BBVA, zu der die zweitgrösste türkische Geschäftsbank, Garanti BBVA, gehört. Sie stünden bereit, um beim Wiederaufbau zu helfen. «Durch die Aufhebung der Sanktionen können sie dort besser agieren und die türkischen Banken können die Geschäfte finanzieren.» Die türkische Regierung hat die syrische Opposition in den vergangenen Jahren in deren Kampf gegen den früheren Machthaber Baschar al-Assad unterstützt.

Nach mehr als einem Jahrzehnt Bürgerkrieg liegt die syrische Wirtschaft am Boden. Das Bruttoinlandsprodukt habe sich zwischen 2010 und 2021 mehr als halbiert, sagt die Weltbank unter Verweis auf offizielle syrische Daten. In der Realität sei der Einbruch aber wohl noch dramatischer.

Im vergangenen Dezember war die Assad-Regierung nach Angriffen der Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) kollabiert. Deren Anführer Ahmed al-Scharaa ist inzwischen Staatspräsident und hat eine Übergangsregierung ernannt. Er setzt auf den freien Markt statt auf Planwirtschaft wie Assad. Als Reaktion auf den Machtwechsel in Damaskus hat die Europäische Union (EU) einen Teil ihres Embargos gegen Syrien ausgesetzt.

Internationale Anerkennung - fragiler Frieden

Die Aufhebung der US-Sanktionen ist nach Einschätzung von Jihad Yazigi, Herausgeber einer führenden syrischen Wirtschaftspublikation, richtungsweisend und ein «starkes politisches Signal». Sie ebne den Weg für die Wiedereingliederung des Landes in die Golfstaaten, internationale Finanzorganisationen und die Rückkehr der syrischen Diaspora.

Karam Bechara, Geschäftsführer der syrischen Shahba Bank, beschreibt die Begeisterung, die die TV-Bilder vom jüngsten Treffen Trumps mit Scharaa bei syrischen Wirtschaftsvertretern ausgelöst haben. «Es ist zu gut um wahr zu sein. Wir sind auf einem guten Weg, sofern nichts passiert, das Syrien aus der Bahn wirft.»

Die politische Lage in dem Land bleibt angespannt. Einige der früheren Oppositionsgruppen haben ihre Waffen der neuen Regierung bislang nicht übergeben. Die Autonomiebestrebungen der Kurden im Nordosten sorgen immer wieder für Reibungspunkte. Ausserdem gab es in den vergangenen Monaten Zusammenstösse mit Assad-Anhängern, die wie der gestürzte Machthaber der Religionsgemeinschaft der Alawiten angehören. Auch andere Minderheiten befürchten, drangsaliert zu werden, obwohl Scharaa ihren Schutz und Regierungsbeteiligung versprochen hat. Parallel dazu greift Israel immer wieder syrische Ziele an. Das Nachbarland sieht im neuen syrischen Präsidenten weiterhin einen Kämpfer der Al-Qaida. Von dieser islamistischen Gruppe hatte sich Scharaa vor einigen Jahren losgesagt.

(Reuters/cash)