Dies löste vor Ort die Sorge aus, dass die israelischen Streitkräfte ihre bislang auf Gaza-Stadt im Norden des palästinensischen Küstenstreifens konzentrierte Bodenoffensive auf den Süden ausweiten könnte. Die Luftwaffe warf in der Nacht zum Donnerstag Flugblätter in dem Gebiet um Chan Junis ab, in denen die Bewohner dazu aufgerufen werden, sich und ihre Familien zu ihrem eigenen Schutz in Sicherheit zu bringen und Schutzräume aufzusuchen. In Chan Junis haben bereits Zehntausende Palästinenser, die den Norden des Gazastreifens verlassen haben, Zuflucht gesucht.

Die Taten der «terroristischen Gruppe Hamas» erfordert von den Verteidigungskräften, im dem Gebiet zu agieren, hiess es in dem Flugblatt. «Zu Ihrer eigenen Sicherheit, Sie müssen Ihren Wohnsitz umgehend räumen und sich in die bekannten Schutzräume begeben.» Nach Angaben von Anwohnern kam es bereits in der Nacht zu Bombardierungen. Israel hatte zunächst Ende Oktober die Bevölkerung im Norden des Gazastreifens zur Evakuierung aufgefordert. Seitdem haben sich Zehntausende auf den Weg in den vermeintlich sicheren Süden gemacht. Die Hamas hat Berichten zufolge allerdings immer wieder versucht, die Menschen von einer Flucht abzuhalten.

Bei den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen als Vergeltung für das Hamas-Massaker vom 07. Oktober sind nach palästinensischen Angaben bislang mehr als 11.000 Menschen getötet worden, darunter etwa 40 Prozent Kinder. Etwa zwei Drittel der 2,3 Millionen Einwohner des Küstenstreifens sind obdachlos und können das Gebiet nicht verlassen, in dem Lebensmittel, Treibstoff, Trinkwasser und medizinische Versorgung knapp werden. Bei dem Angriff von Hamas-Kämpfern waren israelischen Angaben zufolge im Oktober bis zu 1200 Menschen getötet worden, die meisten davon Zivilisten, und etwa 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden. Deren Schicksal ist nach wie vor unklar.

Die Lage am Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt, das seit Tagen im Visier der israelischen Truppen ist, war am Donnerstag zunächst unklar. Die Nachrichtenagentur Reuters konnte seit Mittwoch keinen Kontakt mehr herstellen zu Ärzten vor Ort. Die amtliche palästinensische Nachrichtenagentur Wafa meldete, israelische Soldaten hätten «zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden» das Krankenhaus gestürmt. Bulldozer und Militärfahrzeuge seien im Einsatz. Die Hamas-nahe Nachrichtenagentur Schehab meldete, israelische Panzer griffen von der Südseite des Komplexes aus an.

Tunnelsystem unter dem Krankenhaus

In dem Tunnelsystem unter dem Krankenhaus vermutet Israel eine Kommandozentrale der Hamas, weshalb die Klinik für die Streitkräfte nicht mehr als rein zivile Einrichtung gilt.

Nach Einschätzung von Präsident Isaac Herzog muss Israel auch nach einem Ende des Kriegs vorerst im Gazastreifen eine starke Präsenz zeigen, um ein Wiedererstarken der Hamas zu verhindern. «Wenn wir uns zurückziehen, wer wird dann übernehmen? Wir können kein Vakuum hinterlassen. Wir müssen darüber nachdenken, wie der Mechanismus aussehen wird», sagte Herzog der «Financial Times».

US-Präsident Joe Biden bekräftigte, dass er eine dauerhafte Besetzung für den falschen Weg halte. Die Zwei-Staaten-Lösung sei der einzige gangbare Weg. Dies betonte auch Bundesaussenministerin Annalena Baerbock. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die von der Fatah-Bewegung von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas gestellt wird, regiert in Teilen des Westjordanlands und hat bereits Ansprüche auf den Gazastreifen formuliert. Wie es nach Ende des Krieges in dem Küstenstreifen weitergeht, ist völlig offen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat bereits durchblicken lassen, dass er eine Präsenz von Truppen in dem Gebiet für einige Zeit als alternativlos sieht.

Biden warf der Hamas Kriegsverbrechen vor, weil die Organisation unter dem Krankenhaus ein Hauptquartier errichtet habe. Israel gehe bei dem Einsatz angesichts der dort verbliebenen Patienten und anderen Zivilisten aber möglichst behutsam vor. Die Hamas wies die Darstellungen zurück. Die israelischen Truppen hätten die Waffen und andere angebliche Beweise konstruiert, sagte der Hamas-Vertreter Essat El Raschk in Katar.

(Reuters)