Israel hat in der Nacht einen grossangelegten Angriff auf den Gazastreifen gestartet. Dieser habe sich gegen Ziele einer Eliteeinheit der radikal-islamischen Hamas gerichtet, teilte das Militär am Donnerstagmorgen mit. Die Nuchba-Einheit stecke hinter dem Angriff der Hamas auf Israel von Samstag. Ob Israel auch eine Bodenoffensive in das abgeriegelte Küstengebiet starte, sei noch nicht entschieden. «Aber wir bereiten sie vor», sagte der Militärsprecher, Oberstleutnant Richard Hecht.

Augenzeugen zufolge wurde Gaza-Stadt aus der Luft bombardiert. Hamas-Behörden meldeten zudem einen Luftangriff auf das Flüchtlingslager Dschabalija im Norden des Gazastreifens. Von der Hamas kontrollierte Medien berichteten, 15 Palästinenser seien getötet worden. «Das menschliche Elend, das durch diese Eskalation verursacht wird, ist abscheulich, und ich fordere beide Seiten auf, das Leiden der Zivilbevölkerung zu verringern», erklärte der für die Region zuständige Direktor des Internationalen Roten Kreuzes, Fabrizio Carboni. «Mit dem Stromausfall in Gaza verlieren auch die Krankenhäuser ihren Strom, wodurch Neugeborene in Brutkästen und ältere Patienten, die Sauerstoff benötigen, gefährdet sind. Die Nierendialyse wird unterbrochen, und Röntgenaufnahmen können nicht gemacht werden. Ohne Strom laufen die Krankenhäuser Gefahr, sich in Leichenhallen zu verwandeln.» Laut Hamas nahestehender Medien gibt es im Gazastreifen seit Mittwochnachmittag keinen Strom mehr. Das einzige Kraftwerk musste seinen Betrieb einstellen, nachdem Israel die Stromversorgung für den Gazastreifen unterbrochen hatte.

Israels Energieminister Israel Katz knüpfte ein Ende der Belagerung des Gazastreifens an die Freilassung israelischer Geiseln. «Humanitäre Hilfe für Gaza? Solange die israelischen Geiseln nicht nach Hause zurückkehren, wird kein Stromschalter umgelegt, kein Wasserhydrant geöffnet und kein Treibstofftransporter eingelassen. Humanitär für humanitär. Und niemand sollte uns Moral predigen», schrieb Katz auf der Plattform X (früher Twitter).

Details zu den Angriffen in der Nacht nannte das israelische Militär nicht. Palästinensische Kämpfer versuchten immer noch über das Meer auf israelisches Territorium vorzudringen, sagte Militärsprecher Hecht. Wie viele vom Gazastreifen aus abgeschossene Raketen von Israel abgefangen wurden, wollte er anders als in vorangegangenen Konflikten nicht sagen. Das lasse er den Feind nicht wissen. Das israelische Militär sichere den Grenzzaun zum Gazastreifen.

Internationale Bemühungen um Deeskalation

Es sind die schwersten militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und Israel in dem seit 75 Jahren andauernden Konflikt. Der Einsatz gegen die Hamas ist eine Reaktion auf einen massiven Überraschungsangriff auf Israel am vergangenen Samstag. Insgesamt wurden seit dem Wochenende nach palästinensischen Angaben mittlerweile etwa 1200 Menschen im dicht besiedelten Gazastreifen getötet und rund 5600 verletzt. Nach Angaben des israelischen Militärs töteten Hamas-Extremisten 1200 Menschen, darunter 220 Soldaten. 2700 wurden verletzt. Zudem wurden zahlreiche Geiseln genommen. Dem Sender Kan zufolge ist die Zahl der Toten auf israelischer Seite inzwischen auf 1300 gestiegen. Der Gazastreifen ist mit 2,3 Millionen Einwohnern dicht besiedelt. Rund 340.000 davon sind nach Angaben der Vereinten Nationen durch den Krieg vertrieben worden.

Der Konflikt war am Morgen auch Thema im Deutschen Bundestag. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte in einer Regierungserklärung ein Betätigungsverbot der Hamas in Deutschland und ein Verbot des pro-palästinensichen Vereins Samidoun an. «Wer die Verbrechen der Hamas verherrlicht oder ihre Symbole verwendet, macht sich in Deutschland strafbar.» Er sicherte Israel die volle Solidarität zu. Unterstützungsbitten würden geprüft. Nach Angaben von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat Israel Munition für Kriegsschiffe angefragt. Er bestätigte, dass Deutschland auf Bitten Israels zwei Drohnen zur Verfügung stelle.

International laufen Bemühungen um eine Deeskalation des Konflikts. US-Aussenminister Antony Blinken traf am Donnerstag in Tel Aviv ein. Er will sich auch für die Freilassung der von der Hamas genommenen Geiseln einsetzen. Am Freitag ist auch ein Treffen mit Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas geplant. Er hat zwar im Westjordanland das Sagen, die Kontrolle über den Gazastreifen verlor er jedoch 2007 an die Hamas.

(Reuters)