In Chan Junis im Süden des dicht besiedelten Küstengebiets forderten die israelischen Streitkräfte nach Angaben von Bewohnern zum Verlassen eines weiteren Stadtbereichs auf, der westlich von Vierteln liegt, die das Militär erst kürzlich gestürmt hat. Krankenhäuser in der Region meldeten die Einlieferung von immer mehr Toten und Verletzten.

Im Norden waren von der israelischen Seite aus über den Grenzzaun hinweg grosse Explosionen zu sehen. Familien riefen im Internet Rettungsdienste und das Rote Kreuz dazu auf, Angehörige aus Gaza-Stadt zu holen, die in der seit Beginn des Kriegs vor zwei Monaten lange heftig umkämpften Grossstadt immer noch festsassen.

In Chan Junis wurden die ganze Nacht über weitere Tote und Verletzte in das ohnehin bereits überfüllte Nasser-Krankenhaus eingeliefert. Ein Sanitäter rannte aus einem Krankenwagen, auf dem Arm den schlaffen Körper eines kleinen Mädchens in einen rosa Trainingsanzug. In der Klinik weinten und krümmten sich verwundete Kinder auf dem Fliesenboden, während Pflegekräfte herbeieilten, um sie zu trösten versuchten. Draussen lagen Tote unter weissen Leichentüchern auf dem Boden aneinandergereiht.

Nasser und eine weitere Klinik im südlicheren Teil des Gazastreifens, das Aksa-Krankenhaus in Deir al-Ballah, teilten mit, allein in den vergangenen 24 Stunden habe man 133 Tote und 259 Verletzte gezählt. Aus anderen Gegenden des Gazastreifens lagen noch keine neuen Totenzahlen vor. Insgesamt wurden in dem schmalen Küstengebiet nach palästinensischen Angaben mittlerweile etwa 17.500 Menschen getötet, Tausende weitere werden vermisst.

«Wir schlafen nachts nicht, wir bleiben wach, wir versuchen, die Kinder zum Schlafen zu bringen, und wir bleiben auf, weil wir Angst haben, dass das Haus bombardiert wird und wir schnell die Kinder hinaustragen müssen», schilderte die 57-jährige Sainab Chalil die Lage in Chan Junis. «Tagsüber beginnt dann eine weitere Tragödie, nämlich: Wie ernährt man die Kinder?»

Israel hatte Anfang Dezember seine Militäroffensive auf den südlichen Teil des Gazastreifens ausgeweitet, nachdem eine einwöchige Waffenruhe nicht verlängert worden war. Auslöser des Kriegs war ein überfallartiger Überraschungsangriff von Hamas-Kämpfern im Süden Israels, bei dem 1200 Menschen getötet wurden. Ausserdem nahm die Hamas etwa 240 Geiseln, von denen ein Teil während der einwöchigen Feuerpause gegen palästinensische Insassen israelischer Gefängnisse ausgetauscht wurde.

Ganze Stadtviertel und grosse Teile der Infrastruktur in Schutt und Asche gelegt

Israels erklärtes Ziel des Einsatzes ist die Zerstörung der radikal-islamischen Hams, die im Gazastreifen das Sagen hat. Durch die massiven israelischen Angriffe aus der Luft, zu Boden und vom Meer aus wurden nach palästinensischen Angaben allerdings auch Tausende Zivilisten getötet. Ganze Stadtviertel und grosse Teile der Infrastruktur wurden in Schutt und Asche gelegt, es mangelt an Medikamenten, Lebensmitteln und Trinkwasser. Die grosse Mehrheit der 2,3 Millionen Bewohner des Palästinenser-Gebiets musste aufgrund der Angriffe Wohnungen und Häuser verlassen. Viele sahen sich bereits mehrfach gezwungen, ihren Aufenthaltsort zu wechseln.

Nach Einschätzung mehrerer UN-Behörden ist es de facto im Gazastreifen inzwischen nirgendwo mehr sicher. Israel weist dies zurück. Das Militär hat erklärt, es begrenze den Schaden für die Zivilbevölkerung, indem es sichere Gebiete auf Karten ausweise. Es gibt der Hamas die Schuld am Tod von Zivilisten und wirft ihr vor, diese als menschliche Schutzschilder zu missbrauchen. Die Islamisten weisen das zurück und werfen Israel vor, mittlerweile einen Krieg gegen die gesamte Bevölkerung zu führen.

Zahlreiche Staaten haben Israel aufgefordert, mehr für den Schutz von Zivilisten zu tun. Dazu zählen auch die USA, der wichtigste Verbündete Israels. Zugleich schliesst sich Washington aber auch Israels Argumentation an, dass eine Feuerpause derzeit vor allem der Hamas dienlich wäre, um neue Kraft zu schöpfen. Und so blockierten die USA im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am Freitag auch eine Resolution für eine neue humanitäre Waffenruhe. Der stellvertretende UN-Botschafter der USA, Robert Wood, sagte, der Entwurf sei ein überstürzter, unausgewogener Text, «der nichts mit der Realität zu tun hat und der vor Ort keine konkreten Fortschritte bringt». Eine Waffenruhe würde «nur die Saat für den nächsten Krieg pflanzen».

Da die USA über ein Vetorecht verfügen, half es auch nichts, das 13 der 15 Sicherheitsratsmitglieder für den Resolutionsentwurf stimmten, der von den Vereinigten Arabischen Emiraten eingebracht worden war. Grossbritannien, ebenfalls eine Vetomacht, enthielt sich. Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas übte schwere Kritik. Die USA machten sich durch ihre Blockade der Resolution zu einem Komplizen bei Kriegsverbrechen gegen Palästinenser, erklärte er.

(Reuters)