André Wyss ist ein Urgestein der Pharmabranche. 1984 begann er die Lehre als Chemikant bei Sandoz, heute ein Teilkonzern von Novartis. Er blieb dem Pharmariesen über 30 Jahre lang treu und übernahm im Mai 2014 gar den Chefposten bei Novartis Schweiz. Eine wahre Bilderbuchkarriere: vom Lehrling zum Konzernleitungsmitglied.
Im März 2018 warf der bekennende FC Basel-Fan aber überraschend den Bettel hin. Der stärkere Fokus auf das Thema Digitalisierung unter dem neuen Novartis-CEO Vasant Narasimhan soll Wyss nicht zugesagt haben, begründete die "Basler Zeitung" damals seinen Abgang.
Ab Oktober wird Wyss nun eine neue Herausforderung in Dietlikon ZH annehmen: Er wird neuer Implenia-CEO. Das überrascht. Weniger, weil es sich um ein Zürcher Unternehmen handelt, sondern vielmehr, weil Wyss überhaupt keine Erfahrung in der Baubranche besitzt.
"André Wyss verfügt über grosse Erfahrung in komplexen Geschäftsmodellen und Projekten. Bei Novartis leitete er auch bedeutende Bau- und Infrastrukturprojekte". So versuchte Implenia-VR-Präsident Hans-Ulrich Meister die Wahl von Wyss zu begründen.
Implenia-Aktie im freien Fall
Die Anleger zeigen sich skeptisch: Am 4. Juli - dem Tag der Bekanntgabe des neuen CEO - zeigte der Kurs um über 3 Prozent nach unten. Eine interne Nachfolgelösung für den aktuellen CEO Anton Affentranger hätten die Anleger wohl lieber gesehen.
Noch vielmehr liegen den Implenia-Aktionären aber die vergangene Woche präsentierten Halbjahreszahlen auf dem Magen: Zwar war das Umsatzwachstum ordentlich, doch blieb die Margenentwicklung in der Schweiz und die Profitabilität im Segment International unter den Schätzungen. Enttäuschend ist vor allem das Geschäft in Norwegen, wo sich der Turnaround verzögert und in diesem Jahr kein positives Ergebnis erwartet wird. Die Prognose vom Betriebsgewinn (EBIT) wurde für das Gesamtjahr von 140 auf 130 Millionen Franken gesenkt.
Die Reaktion der Anleger darauf war überaus heftig, innerhalb von fünf Handelstagen fiel die Aktie um 20 Prozent von 77,4 auf 61,5 Franken. In der Kurs-Grafik ist dieser freie Fall deutlich sichtbar:
Kursentwicklung Implenia-Aktie seit 52 Wochen, Quelle: cash.ch
Das sind schlechte Vorgaben für Neueinsteiger Wyss. Was wird er bei Implenia bewirken können? "Häufig kommt es bei Management-Wechseln zu einer Befreiung von Altlasten", sagt Vontobel-Analyst Bernd Pomrehn auf cash-Anfrage. Konkret könnten etwa mit Abschreibern Rechtsstreitigkeiten mit der Stadt Zürich und in Norwegen beigelegt werden, was jedoch das Ergebnis nochmals belasten würde. "Der Markt nimmt solche Aktionen meist negativ auf, da Risiken in der Bilanz auftauchen können, die man noch nicht auf der Rechnung hatte."
Der Rechtsstreit mit der Stadt Zürich läuft schon seit 2010. Damals stellte die Stadt am Letzigrund-Station erhebliche Baumängel fest. Die für den Bau verantwortliche Implenia bestritt diese Vorwürfe. Ob der Baukonzern für die Behebung der Mängel aufkommen muss, ist noch immer unklar. Implenia droht hier aber ein Abschreiber in der Höhe von 12 Millionen Franken, was immerhin 15 Prozent eines Jahresgewinns ausmachen würde.
Norwegen als Sorgenkind von Implenia
Doch die grösste Herausforderung für den neuen CEO wird Norwegen sein: "Es kam dort in den letzten Jahren zu vielen Managementwechseln, es muss Ruhe in die Organisation gebracht werden", so Pomrehn. Ausserdem müsse auch die Profitabilität in Deutschland verbessert werden.
Ob Wyss die richtigen Hebel in Bewegung setzt, wird sich frühstens bei der Präsentation der Jahreszahlen 2018 am 26. Februar 2019 zeigen. Die vom noch für kurze Zeit amtierenden CEO Anton Affentrager eingeschlagene Internationalisierungsstrategie ist aber nicht per se falsch, sondern sollte von Wyss - mit einigen Feinjustierungen - weiter verfolgt werden.
Die meisten Analysten sehen bei Implenia nun wieder Luft nach oben. So empfehlen etwa Kepler Cheuvreux und Research Partners zum Kauf, mit einem Kursziel von 80 Franken respektive 90 Franken.
Einzig Vontobel hält die Aktie auf "Reduce". Der für die Empfehlung verantwortliche Pomrehn sieht Implenia trotz starker Korrektur mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis bei 15 noch immer nicht günstig bewertet. Auch das Risiko von möglichen Abschreibern spielt bei der Beurteilung mit. Ausserdem sei die Dividendenrendite von 3 Prozent relativ gering. Die skandinavische Konkurrenz in der Baubranche weise höhere Renditen von zwischen 4 bis 5 Prozent auf.