Der Besuch der Militärparade zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren am Mittwoch bietet Kim Jong Un die seltene Gelegenheit, an der Seite der Präsidenten Chinas und Russlands zu stehen, indirekte Unterstützung für sein international geächtetes Atomwaffenprogramm zu erhalten und seinen diplomatischen Einflusskreis zu erweitern.
Für Kim ist der Auftritt von hoher symbolischer Bedeutung. Er hat noch nie an einer internationalen Veranstaltung mit so vielen ausländischen Staats- und Regierungschefs teilgenommen. Experten und südkoreanische Regierungsvertreter werten die Reise als einen seiner wichtigsten diplomatischen Schritte seit dem historischen Gipfeltreffen mit US-Präsident Donald Trump während dessen erster Amtszeit. Der Kreml teilte mit, der russische Präsident Wladimir Putin und Kim würden bei der Parade den chinesischen Präsidenten Xi Jinping flankieren. Auch von einem möglichen bilateralen Treffen Kims und Putins ist die Rede.
«Das hebt die Position Nordkoreas gewissermassen in die Liga der Grossen», sagte John Delury von der Asia Society. «Kim kann dieses Bild dann in seiner Heimat projizieren, so wie er es bei seinem Gipfel mit Donald Trump getan hat. Er kann sich wirklich als weltgewandter Staatsmann präsentieren.»
Neuausrichtung zwischen Peking und Moskau
Ein zentrales Ziel dürfte die Legitimierung seines Atomprogramms sein. Unmittelbar vor seiner Abreise nach China besuchte Kim nordkoreanische Produktionsstätten von Raketen. Damit habe Kim den Status seines Landes als Atommacht unterstreichen wollen, sagte Hong Min vom südkoreanischen Institut für Nationale Vereinigung. «Zudem wird die Legitimität Nordkoreas für den Besitz von Atomwaffen indirekt untermauert, indem er einer Militärparade beiwohnt und applaudiert, bei der Chinas fortschrittliche Atomwaffen gezeigt werden», so der Experte.
Geopolitisch dient die Reise der Neuausrichtung der Position Nordkoreas zwischen Russland und China. Im Jahr 2023 hatte Kim eine diplomatische Initiative mit Putin gestartet, die zu Gipfeltreffen, einem Beistandspakt und der Lieferung von Waffen sowie der Bereitstellung nordkoreanischer Soldaten für den russischen Krieg in der Ukraine führte. Dem südkoreanischen Geheimdienst NIS zufolge soll der Besuch in Peking nun die Beziehungen zu China wiederherstellen, die sich durch die intensive Pflege des Verhältnisses zu Russland zuletzt verschlechtert hatten. Zudem könne sich Kim so für den Fall absichern, dass der Krieg in der Ukraine abflaut und Russland weniger Hilfe benötigt. Zugleich sende er mit der zur Schau gestellten Unterstützung Chinas ein Signal an die USA.
«Nur Chancen und Vorteile»
Über die Beziehungen zu den Grossmächten hinaus eröffnet der Besuch weitere diplomatische Möglichkeiten. «Aus Kims Sicht bietet dieser Besuch nur Chancen und Vorteile», sagte Michael Madden, ein Nordkorea-Experte am Stimson Center in den USA. Es ist das erste Mal seit 1959, dass ein nordkoreanischer Staatschef an einem grossen, multilateralen Ereignis im Ausland teilnimmt. Kim habe die Chance, auch wenn nur informell, mit den Staats- und Regierungschefs vieler anderer Länder zusammenzutreffen. «Wie wir in der Vergangenheit gesehen haben, wirkt die Anwesenheit des nordkoreanischen Machthabers, abseits der Inszenierungen der Propagandamaschinerie, auf ausländische Politiker fast immer entwaffnend», erklärte Madden. «Viele, die Nordkorea bisher gemieden haben, könnten ihre Meinung ändern, wenn sie Kim treffen.»
Schliesslich könnte die Reise auch wirtschaftliche Motive haben. An der Veranstaltung nehmen die Staats- und Regierungschefs mehrerer Länder teil, die in der Vergangenheit Waffen von Nordkorea gekauft haben, darunter Russland, der Iran, Myanmar und Pakistan. «Ich glaube, dass der Verkauf von Waffen einer der Zwecke dieses Besuchs ist», sagte der Militärexperte Yang Uk vom südkoreanischen Asan-Institut in Seoul. Dies sei jedoch wahrscheinlich zweitrangig gegenüber der politischen Botschaft. Angesichts der weiterhin geltenden UN-Sanktionen gegen Nordkorea müssten Waffengeschäfte zudem im Verborgenen abgewickelt werden.
(Reuters)