Kondome kommen für viele Männer in Indien als Verhütungsmittel bisher nicht infrage. Doch Hersteller setzen darauf, dass das bevölkerungsreichste Land künftig ihr grösster Wachstumsmarkt wird. «Der indische Markt ist sehr attraktiv. Die Nutzungsrate von Kondomen ist dort immer noch gering», sagt Kazuhiro Kamio, Leiter des Auslandsvertriebs beim japanischen Hersteller Okamoto Industries. «Wenn die Nichtnutzer darüber aufgeklärt werden können, wie man Kondome benutzt, wäre das Volumen angesichts der Bevölkerungsgrösse gewaltig.»

Die Produzenten nutzen moderne Marketinginstrumente, um die riesige, junge und technikaffine Bevölkerung Indiens sowohl in den Städten als auch auf dem Land zu erreichen. Nach Daten der Beratungsfirma GrandView Research dürfte sich der Markt bis 2030 auf 1,7 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln. Das starke Wirtschaftswachstum, die Nutzung sozialer Medien und die sich verändernde Einstellung zum Sex verändern die Sichtweise der Hersteller auf das Land, in dem Gespräche über das Liebesleben bislang weitgehend tabu sind, Kondomwerbung im Fernsehen zur Hauptsendezeit verboten ist und die Menschen auf dem Land Verhütungsmitteln skeptisch gegenüberstehen.

«Wir glauben, dass Indien mit einer so grossen und sehr jungen Bevölkerung viele Möglichkeiten bietet», sagt Goh Miah Kiat, Vorstandschef des weltgrössten Kondomherstellers Karex. Marktführer in Indien ist bislang der heimische Anbieter Mankind Pharma. Der ging im Mai an die Börse, die Aktien sind seitdem im Höhenflug und haben fast ein Drittel an Wert zugelegt. Inzwischen ist das Unternehmen mehr als acht Milliarden Dollar wert. Mankind hat seine Online-Präsenz ausgebaut, um die städtische Bevölkerung besser anzusprechen, und in Werbung in der jeweiligen regionalen Sprache investiert, um mehr ländliche Verbraucher zu erreichen. Wie die Konkurrenz setzt Mankind verstärkt auf Influencer und die sozialen Medien.

Potenzial zum grössten Markt der Welt

In Indien verwenden nur fünf Prozent der sexuell aktiven Männer Kondome regelmässig als Verhütungsmittel, zwei Prozent kennen sich überhaupt nicht mit Kondomen aus, wie eine staatliche Umfrage aus dem Jahr 2020 ergab. Im Gegensatz dazu verwenden in den USA 19 Prozent der Männer bei jedem Geschlechtsverkehr Kondome, wie aus Daten des National Center for Health Statistics hervorgeht. «Der indische Markt hat das Potenzial, der grösste der Welt zu werden», sagt Arvind Singhal, von der Beratungsfirma Technopak Advisors. «Indien hat nicht nur die grösste Bevölkerungsbasis, sondern auch die grösste demografische Relevanz für solche Produkte.»

Karex strebt Partnerschaften mit lokalen Marken an, um seine Expansion voranzutreiben, während Okamoto, dessen Kondome in Indien online erhältlich sind, den Bekanntheitsgrad seiner Marke steigern und seine Produkte nun auch in die Ladenregale bringen will. Die britische Reckitt Benckiser hat neue Produkte unter ihrer Marke Durex auf den Markt gebracht und weitet ihr Marketing in ländlichen Regionen des Landes aus. Auch Church and Dwight, Eigentümer der US-Marke Trojan, plant nach Angaben einer mit den Plänen vertrauten Person den Markteintritt in Indien.

Dank der sozialen Medien können die Hersteller junge Menschen inzwischen gezielter ansprechen - «was in den Massenmedien nicht möglich war, vor allem wegen der Regeln bezüglich der Tageszeit, zu der Kondomwerbung gezeigt wird», sagt Marketingprofessorin Ashita Aggarwal vom S.P. Jain Institute of Management & Research. Der Absatz von Premiumkondomen ist infolge dieses veränderten Marketingansatzes in den vergangenen fünf Jahren jährlich um 21 Prozent gestiegen, wie Daten von HDFC Securities Institutional Equities zeigen.

Der Absatz legt aber auch im Zuge eines kulturellen Umbruchs in dem Land zu. Immer mehr Inder «verlieren den Glauben an die Institution der Ehe und wollen überhaupt nicht mehr heiraten, zumindest nicht vor Mitte 30», sagt Pranita Bhor von Grand View Research. «Dieser grosse kulturelle Wandel hat dazu geführt, dass Menschen in ihren späten 20ern vorehelichen Sex haben.»

(Reuters)