cash.ch: Herr von Ah, der Schweizer Aktienmarkt hatte im ersten Quartal den besten Jahresstart seit über 25 Jahren. Danach wurde es etwas holprig. Was erwarten Sie vom Rest des Jahres für Schweizer Aktien?

Roman von Ah: Angesichts der nicht vollständig gelösten Fragestellung des US-Zollthemas wäre ein Halten der derzeitigen Rendite von etwa 10 Prozent ein sehr gutes Resultat. Es ist derzeit schwierig, ein positives wirtschaftliches Szenario für nachhaltige Kurssteigerungen an den Aktienmärkten zu machen, da die Effekte dieses Handelskriegs noch nicht absehbar sind. Zudem dürften erste negative messbare Auswirkungen noch bevorstehen wie Lieferkettenstörungen oder der erneute Anstieg der Inflation und damit verbundene Zinserhöhungen.

Bedeutet dies einen erneuten Anstieg der Kursschwankungen?

Kursbewegungen in der Grössenordnung von 15 bis 20 Prozent entsprechen dem historischen Durchschnitt - sie sind also die Normalität. Nur Finanzkrisen oder damit vergleichbares führen zu noch schwereren Kurseinbrüchen. In der kurzen Frist dominiert zwar die Frage der Volatilität, doch längerfristig überwiegt die Fähigkeit von marktwirtschaftlich organisierten Systemen, Gewinne zu produzieren. Letztlich geht es beim Anlegen eigentlich darum, wie kann ich von Dividendenrendite und -wachstum profitieren. Für den Erfolg ist deshalb eine gewisse Disziplin an der Strategie, unabhängig von den Kursschwankungen, unabdingbar. Das ist nicht unterhaltsam, aber es funktioniert.

Die US-Aktienmärkte scheinen die Zollproblematik bereits wieder vergessen zu haben. Die Obligationenmärkte hingegen nicht. Wer hat Recht?

Beide. Die Zinsmärkte sehen die Inflationsproblematik der Zölle. In mehreren Runden dürften die Inflationsraten steigen. Dies führt wiederum zum Problem für die Zentralbanken. Die langfristigen Zinsen sind die wichtigsten im Markt, und dort ist eine gewisse Nervosität zu bemerken.

Und die Aktienmärkte?

In einem marktwirtschaftlichen Umfeld, auch wenn Unternehmen eine Zeit leiden, können die meisten Firmen ihre Probleme lösen. Nicht immer sofort, aber meistens in einer vernünftigen Frist. Sie machen dies entweder über die Einnahmenseite, durch Preiserhöhungen, oder über die Ausgaben via Entlassungen. Der Anstieg der Arbeitslosenrate ist für die Unternehmen ein weniger grosses Problem als für den Staat selbst, denn die Firmen delegieren quasi dieses Risiko an die Arbeitslosenversicherungen, also den Staat. Deshalb schliessen sich auch ein positiver Aktienmarkt und ein negativer Obligationenmarkt nicht gänzlich aus.

In Ihrem Fonds «Aktien Schweiz Select» wählen Sie die besten 40 bis 50 Schweizer Aktien. Wie identifizieren Sie diese Aktien?

Wir glauben nicht, dass man eine hohe Erfolgschance hat, die beste Aktie der nächsten 15 Jahre zu finden. Wir glauben hingegen, dass man eine Art «Super Portfolio» konstruieren kann. Um ein solches Portfolio zusammenzustellen, verwenden wir ein sogenanntes Multifaktorenmodell. Das hat sich im Markt über viele Jahre bewährt. Wir verwenden elf Faktoren, die Eigenschaften wie Wachstum, Bewertungen, Unternehmensqualitäten oder das Kursmomentum im Vergleich zum Markt abdecken. Je besser eine Aktie in diesen Bereichen abschneidet, umso höher die Gewichtung im Portfolio.

Sind gewisse Elemente wichtiger als andere?

Nein. Die Faktoren sind gleich und werden nur selten angepasst, je nachdem, was neues Research mit sich bringt. Damit haben wir eine gewisse Stabilität bei den Auswertungskriterien.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Nehmen wir die SMI-Schwergewichte Novartis, Roche und Nestlé: Im Moment hat Novartis eine maximale Bewertung von zwei, Roche eine von eins, Nestlé eine von null. Das Gewinnwachstum von Nestlé und Roche ist unterdurchschnittlich. Novartis erhält hingegen in diesem Bereich nahezu die Höchstnoten. Im zweiten Bereich, der Marktdynamik oder dem Kursmomentum, schneidet wiederum Roche am besten ab. Die Nestlé-Titel weisen zwar seit kurzem hohe Kursgewinne auf, doch mittelfristig ist die Entwicklung enttäuschend. Roche ist da etwas besser unterwegs. Alle schneiden dagegen gut bei den Bewertungskomponenten ab. Gemäss unserem Modell ist Novartis in diesem Bereich attraktiver als Roche oder Nestlé. Zur Substanz: Bei allen drei Unternehmen verzeichnen die Gewinne geringe Schwankungen und die «finanzielle Gesundheit» ist gut, jedoch lässt die Bilanzqualität etwas zu wünschen übrig. Das Allerwichtigste bei unserer Strategie ist unsere Datenorientierung. Ich habe kürzlich ein Interview mit dem Nestlé-Chef gelesen. Seine Argumente klingen gut: Wir fokussieren auf Kernkompetenzen, wir arbeiten weltweit in fast 200 Ländern und sind damit gut aufgestellt, wir bedienen jung bis alt. Doch erst wenn er das liefert, was er verspricht, wird das auch in den Daten ersichtlich sein. Dann verbessert sich die Rangierung in unserem Modell und wir werden Nestlé stärker im Portfolio gewichten.

Fast ein Viertel im Fonds «Aktien Schweiz Select» ist in Industrietiteln investiert. Was überzeugt Sie oder das Modell von diesen Unternehmen?

Viele dieser Firmen produzieren attraktive Cashflows, sie haben einen sehr umsichtigen Umgang mit Kosten und Erträgen und sie verfügen über Substanz. Nicht immer wurde dieser Umstand genügend gewürdigt, besonders bis vor kurzem wurden substanz-orientierte Firmen leicht vergessen. Es wird unglaublich viel Hoffnung in die künstliche Intelligenz und IT-Unternehmen gesteckt. Keine Frage, da wird auch einiges kommen. Dies muss aber erst durch Zahlen und Daten belegt werden. Viele dieser Wettbewerber haben typischerweise doppelt so hohe Bewertungen wie Industrietitel. Hohe Bewertungen kommen aber immer zurück. Und im Umkehrschluss sind es eben die anderen. Die mit den tieferen Bewertungen, ohne sexy Storys, die mit der soliden und verlässlichen Gewinnerwirtschaftung, die auch ihre Berechtigung haben. 

Der Vergleich zwischen Tech und Industrie ist nachvollziehbar. Weshalb werden im Fonds aber Versicherer Banken vorgezogen?

Die UBS leidet im Moment unter zwei Aspekten. Unter einem Riesenprojekt, und ich verstehe die Leute nicht, die glauben, man könne CS in sechs oder zwölf Monaten eingliedern, trotz sehr gutem Job, den die UBS zu machen scheint. Und unter dem Problem mit den Eigenkapitalvorschriften von einer Bank, welche die Schweiz - nimmt man die UBS und CS zusammen - zweimal in Bedrängnis gebracht hat. Jetzt wird zwar über die Höhe der Eigenkapitalanforderungen gestritten, doch die eigentliche Frage wird nicht gestellt: Können und wollen wir die Summe von UBS und CS zusammen noch einmal retten? Logischerweise sagen Verwaltungsrat und Management in gutem Treu und Glauben, dass dies nicht erneut passiert. Dennoch haben wir zwei Grossbanken gehabt, die innerhalb von weniger als 20 Jahren existenziell gefährdet waren und heute dasselbe Unternehmen bilden. Dazu gibt es ein schönes Buch: «The Bankers' New Clothes», also des Kaisers neue Kleider. Die Autoren argumentieren rigoros und ökonomisch mächtig: Das Einzige, was wirklich funktioniert, sind deutlich höhere Eigenkapitalunterlegungen. Und sie sprechen nicht über 5 oder 6 Prozent - sondern 20 bis 25 Prozent. 

Wäre das nicht ruinös?

Genau das ist das Gegenargument: «Viel zu teuer!». Doch dieses Argument ist etwas zu wenig gut formuliert. Denn bei einer Bank mit viel Kapital sinken auch die Kapitalkosten. Banken, die so träge und langweilig sind, wie gut geführte Versicherungen, findet man das vor: niedrige Renditen und niedrige Kapitalkosten. Ich befürchte jedoch, dass man sich letztendlich wieder auf einem Kapitalisierungsniveau einigt, das zwar etwas besser ist als die völlig überstrapazierten und viel zu tiefen heutigen Eigenkapitalsätze, aber weiterhin zu tief.

Roman von Ah ist Verwaltungsratsdelegierter, Geschäftsleiter und Gründungspartner von Swiss Rock Asset Management. Seit über 20 Jahren ist er Mitglied des Vorstandes der Schweizer Finanzanalystenvereinigung (SFAA) sowie Verwaltungsratspräsident des Ausbildungszentrums für Experten der Kapitalanlage (AZEK). Dort unterrichtet er über derivative Finanzinstrumente, Bonds, Portfolio- und Wealth Management. Darüber hinaus ist er Mitglied des Verwaltungsrates der Pensimo (Immobilien-) Fondsleitung. 

Luca_Niederkofler
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