Kuhställe sind in den Schweizer Alpen ein bekanntes Bild. Kuhställe, die grosse Container zum Schürfen von Kryptowährungen enthalten, wären indessen etwas Neues: Das Start-up Swiss Alps Mining will so dank Höhenlagen mit niedrigem Stromverbrauch den Alpenraum mit Kryptomininganlagen in leerstehenden Alphütten überziehen (cash berichtete). 

Rund 100 Millionen Franken sollten durch ein Initial Coin Offering, also die Ausgabe eines Tokens namens SAM, im Laufe des Sommers gewonnen werden. Investoren sollten diese neu geschaffene Kryptowährung beziehen, um dann am grossen Geschäft mit den alpinen Kryptominern beteiligt zu sein. Während des ICO, das im vergangenen Mai vorgestellt worden war, reduzierten Swiss Alps Energy allerdings das Ziel um die Hälfte. 

Per Ende Oktober kamen schliesslich 10,5 Millionen Dollar zusammen, wie die Website von Swiss Alps Mining zeigt. Das ist ein Zehntel des ursprünglich geplanten Betrages. Die zusammengekommene Summe sei zufriedenstellend und erlaube es, das Projekt dank neuer Technologien weiterzuentwickeln, sagt Gian-Carlo Collenberg, Geschäftsführer des Start-ups Swiss Alps Energy, im Gespräch mit cash.ch. Er sagt aber auch: "Der ICO-Boom ist langsam vorbei." 

Kryptokurse sind eingebrochen

Ins Stocken geraten ist offenbar auch das ICO der Schweizer Firma Cryptectum. Die Idee hier war, über die Kryptowährung – beziehungswiese einen so genannten Token "Tectum" - rund 80 Millionen Franken einzusammeln, die dann in Immobilien investiert werden sollten. Investoren hätten über den Token Zugang zu Liegenschaftserträgen erhalten sollen, die Investments sollten über die Ethereum-Blockchain verwaltet werden (cash berichtete).

Auf der Website Cryptectum kann man aber keine Tokens mehr zeichnen. Es besteht bloss noch die Möglichkeit, einen Newsletter zu abonnieren. Das Pre-ICO, bei dem Start-ups einen Mindestbetrag einnehmen wollen, wurde Ende Mai auf der Website angekündigt. Seitdem aber sind keine News mehr zu sehen. Es kam allem Anschein nach zu wenig Geld zusammen, um die Geschäftsidee überhaupt zu lancieren. 

Branchenkenner bestätigen, dass die Lancierung von ICOs viel schwieriger ist als noch vor einem Jahr. Darin besteht eine gewisse Logik, schaut man auf die Märkte: Nach der Begeisterung, welche die Welt der Kryptofinanzierung und der digitalen Währungen noch vor einem Jahr weiterherum auslöste, hat sich eine Ernüchterung eingestellt. Zumindest ausserhalb der Tech-Community ist die Vorsicht gegenüber Kryptowährungen grösser geworden, was sich ja alleine schon am Kursverfall von Bitcoin zeigt. Seit Anfang Jahr ist der Wert zum Franken um die Hälfte eingebrochen, seit dem Beginn des Herbsts ist die Kursentwicklung flach.

So viele ICOs wie noch nie

Allerdings: Die Kryptowelt besteht nicht nur aus Bitcoin, und der ICO-Markt ist nicht tot. Die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften schreibt in einer Studie, dass die auf Token basierende Finanzierungsweise die am schnellsten wachsende Kapitalbeschaffungsform darstellt. Bis Mitte November dieses Jahres wurden weltweit etwa 950 ICOs in Höhe von 21,7 Milliarden Dollar durchgeführt. Das ist deutlich mehr, als in sämtlichen Jahren davor zusammengerechnet.

Beim ein Jahr lang dauernden ICO Des Start-ups Block.One, das seinen Sitz offiziell auf den britischen Cayman-Inseln in der Karibik hat, kamen bis zum vergangenen Juni gut 4 Milliarden Dollar zusammen. Block.One arbeitet an EOS, einer Digitalwährung, die als zweite Innovationsstufe der Blockchain gilt und als Plattform für neue Kryptprojekte dienen soll. Hat EOS Erfolg, dann bekommt die Ethereum-Blockchain, wo heute drei Viertel aller ICOs durchgeführt werden, möglichweise ein Problem. Bei EOS bestehen extrem hohe Erwartungen an die Technologie, was den Erfolg des ICOs zu einem guten Stück erklärt. ICOs leben davon, dass sie den Investoren etwas versprechen: Manche Start-ups werben von Anfang an damit, dass ihrer zur Finanzierung ausgebenen Kryptowährung ein Realwert zugrunde liegt. 

"Grundsätzlich gilt, dass etwa ein Drittel aller angekündigten ICO-Projekte erfolgreich abgeschlossen werden", sagt Fabian Danko, Mitautor der ICO-Studie der ZHAW. Doch während in den vergangenen zwei Jahren praktisch sämtliche Projekte finanziert worden seien, würden die Investoren nun skeptischer, sagt Danko zu cash.ch. Ein Grund dafür ist aus Sicht des Experten, dass viele ICOs ihre Ideen kopieren und Produkte oder Dienstleistungen keine wirklichen Innovationen darstellen. Auf der anderen Seite fehle angesichts der gesunkenen Kurse von Bitcoin und Ethereum der Rückenwind von den Krypowährungsmärkten. "Diese Tendenz sieht man allerdings auch bei traditionellen Finanzanlagen immer wieder", sagt Danko.

Leitplanken sind notwendig

Mit traditionellen Finanzanlagen sind Finanzierungsmodelle über Kryptowährungen beziehungsweise Token nach wie vor nur sehr bedingt vergleichbar. Zwar hat in verschiedenen Ländern, so auch der Schweiz, der Regulator inzwischen eingegriffen. In der Schweiz werden Unternehmen einzeln überprüft, dazu hat die Finma bereits im Februar gewisse Rahmenbedingungen für eine ICO-Regulierung definiert. Der Schwerpunkt des regulatorischen Ansatzes liegt bisher allerdings auf der Bekämpfung der Geldwäscherei.

Bei ICOs hingegen stellen sich Themen wie Anlegerschutz und Grundlagen für ein höheres Investorenvertrauen anders dar als in der Welt traditioneller Finanzprodukte. Aber auch dies wandelt sich: "Die Investoren-Community unterstützt bevorzugt reifere Projekte mit einer klar formulierten Strategie sowie einem detaillierten Business Case. Eine Absichtserklärung und ein White Paper reichen für die Start-Ups nicht mehr aus", sagt Daniel Diemers, ICO-Experte beim Beratungsunternehmen PWC Strategy. Aber so können sich ICOs als Finanzierungsform dauerhaft etablieren, gewissermassen als Private-Equity-Investments in der Frühphase.

Wie bei der traditionellen Unternehmensfinanzierung müssen ICO mit einem Produkt und einem Zielmarkt überzeugen. ICO-Start-ups werden gemessen an den Teams und deren Erfahrungsschatz und Leistungsausweis beim Aufbau von Unternehmen. Aber wie traditionelle Firmengründer muss das Geschäftsmodell stimmen. So gesehen läuft eine Unternehmensgründung nicht grundlegend anders ab, wenn sie auf einem Token basiert. Und wie es sich schon seit einiger Zeit abzeichnet, werden Investoren vermehrt gewisse Sicherheiten bei ICOs fordern. Auch hier wird sich die Welt der digitalen Unternehmensfinanzierung mehr der traditionellen Kreditwelt angleichen. 

Mit redaktionaller Mitarbeit von Pascal Züger.