Dann werde die Europäische Zentralbank wohl ausreichend Sicherheit haben, um über eine erste Zinssenkung zu entscheiden, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde am Mittwoch in Frankfurt auf der Konferenz «The ECB and its Watchers». Wie der Weg nach einer Kurswende gestaltet werden solle, sei offen. «Dies bedeutet, dass wir uns selbst nach der ersten Zinssenkung nicht vorab auf einen bestimmten Zinspfad festlegen können», sagte Lagarde.

«So verlockend das auch ist,» fügte sie hinzu. «Wenn wir ehrlich zu unserer Methodologie stehen und Disziplin bewahren, können wir das nicht.» Die Entscheidungen der EZB hingen auch künftig von der jeweiligen Datenlage ab und würden von Sitzung zu Sitzung getroffen, damit die Notenbank auf aktuelle Informationen reagieren könne. Zuletzt hatten mehrere EZB-Vertreter die Möglichkeit einer Abkehr von der Hochzinspolitik im Juni angedeutet.

Im Juni würden neben wichtigen Daten zur Lohnentwicklung auch neue Wirtschaftsprognosen der EZB-Volkswirte vorliegen, sagte Lagarde. «Diese Projektionen werden uns auch implizit einen besseren Einblick in die Entwicklung der zugrundeliegenden Inflation geben», sagte sie.

Die EZB werde dann auch die Stärke der wirtschaftlichen Erholung und die Entwicklung des Arbeitsmarkts besser einschätzen können - und damit die Auswirkungen auf Löhne, Gewinne und Produktivität. «Dann zeigt sich, ob der von uns im März erwartete Inflationspfad weiterhin Bestand hat», sagte sie. Zudem werde die Euro-Notenbank über ein längeres Zeitfenster verfügen, um zu beurteilen, ob die Inflationsdaten weitgehend mit den Projektionen der eigenen Volkswirte im Einklang stünden.

Sollten alle diese Faktoren entsprechend ausfallen, «können wir die Phase unseres geldpolitischen Zyklus einleiten, in der wir die Massnahmen weniger restriktiv gestalten», sagte Lagarde. Aktuell sei die Notenbank noch nicht zuversichtlich genug, dass sie sich nachhaltig auf ihr Inflationsziel zubewege. Die EZB strebt 2,0 Prozent Inflation als optimales Niveau für die Euro-Zone an.

Davon ist sie nicht mehr weit entfernt. Die Teuerungsrate in der 20-Länder-Gemeinschaft war zuletzt im Februar auf 2,6 Prozent nach 2,8 Prozent im Januar gesunken. Auch die Kernrate, in der die schwankungsreichen Preise für Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak ausgeklammert bleiben, sank zuletzt weiter. Im Februar ging sie auf 3,1 von zuvor 3,3 Prozent im Januar zurück. Diese Mass wird von der EZB genau verfolgt, da es den Währungshütern wichtige Hinweise zu den zugrundeliegenden Preistrends liefert.

Die EZB hält inzwischen seit September den am Finanzmarkt richtungsweisende Einlagensatz, den Geldhäuser für das Horten überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, bei 4,00 Prozent. Das ist das höchste Niveau seit dem Start der Währungsunion. Das nächste EZB-Zinstreffen ist am 11. April in Frankfurt geplant, das darauffolgende dann am 6. Juni ebenfalls in der Main-Metropole.

Aus den Kursen am Geldmarkt geht derzeit hervor, dass Investoren für den Juni mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent von einer Zinssenkung ausgehen. Bis zum Jahresende wird beim Einlagensatz mit mehreren Schritten nach unten auf ein Niveau von 3,00 bis 3,25 Prozent gerechnet.

(Reuters)