Sorgen wegen möglicher Überkapazitäten hält Konzernchef Albert Baehny für unbegründet und befürchtet sogar Kapazitätsengpässe. Bei einer wirksamen neuen Arznei gegen Alzheimer etwa drohe Knappheit. «Wenn sich Alzheimer-Therapien zu einem Blockbuster entwickeln, werden die Kapazitäten auf dem Markt noch knapper,» sagte Baehny in einem am Freitag veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters. «Die Pharmafirmen werden sich zwischen gewissen Therapien entscheiden müssen. Die verfügbaren Kapazitäten auf dem Markt werden den Bedarf nicht decken können.»
Nach Ansicht von Baehny wird der Bedarf an zukünftigen Produktionsmitteln für die Arzneimittelherstellung unterschätzt. Die Menschen würden älter und es gebe immer mehr innovative und komplexe Arzneien. In Produktionsanlagen investiert werde aber vor allem von Auftragsentwicklern und -Herstellern, sogenannten Contract Development and Manufacturing Organizations (CDMO). Die Pharmafirmen dagegen konzentrieren sich zunehmend auf Forschung und Entwicklung sowie die Vermarktung von Therapien. «Outsourcing beschleunigt sich», erklärte Baehny. Kunden müssten Kapazitäten Jahre im Voraus reservieren. Der Bau einer Anlage mit sechs Bioreaktoren zu je 20'000 Litern dauere drei bis vier Jahre, und für die Zertifizierung sei ein weiteres Jahr nötig. «Diese Realität wird unterschätzt», sagte der Lonza-Chef.
Ziele sehr solide - künftiger CEO muss Vorgaben umsetzen
Die Geschäftsaussichten für Lonza seien grundsätzlich intakt und die neuen mittelfristigen Zielvorgaben seien «sehr solide», betonte Verwaltungsratspräsident Baehny, der das Unternehmen nach dem abrupten Abgang von Konzernchef Pierre-Alain Ruffieux im September interimistisch auch operativ führt. «Unsere Mid-Term Guidance ist ein bisschen tiefer als vor einem Jahr, hat sich aber nicht dramatisch verändert.» Anleger und Analysten hatten auf die Revision des Geschäftsausblicks im Oktober harsch reagiert und die Aktien auf Talfahrt geschickt. Der einstige Börsenliebling, der die Investoren im Juli bereits einmal mit einer Gewinnwarnung aufgeschreckt hatte, hat dieses Jahr bislang gut ein Fünftel an Wert verloren und ist der grösste Verlierer unter den Schweizer Standardwerten.
Baehny räumte ein, dass der Markt zu wenig auf die Anpassung nach Auslaufen der Corona-Pandemie vorbereitet gewesen sein könnte. Er führt das unter anderem darauf zurück, dass Lonza das Volumen des Fertigungsauftrags für den Covid-Impfstoff von Moderna, den der US-Biotechnologiekonzern im September stornierte, nicht bekanntgeben konnte. «2023 werden wir mit Moderna - Umsatz und Termination Fees kombiniert - einen Umsatz von rund 450 bis 500 Millionen Franken generieren», sagte Baehny. «Diese Zahl geht 2024 leider auf null zurück.»
Lonza erwartet im kommenden Jahr eine Umsatzstagnation und eine bereinigte operative Gewinnmarge (Ebitda) lediglich im hohen 20-Prozent-Bereich. Für den Zeitrum 2024 bis 2028 stellt der Konzern durchschnittlich elf bis 13 Prozent Umsatzwachstum pro Jahr und eine bereinigten Ebitda-Marge zwischen 32 und 34 Prozent in Aussicht.
Die für Moderna gebauten Produktionslinien will Lonza zum Teil weiterhin für mRNA-spezifische Produkte und Projekte nutzen und zum Teil für andere Zwecke umfunktionieren. Dazu würde die bei der Vertragskündigung fällig gewordene Zahlung von Moderna eingesetzt. Grossübernahmen erteilte Baehny, der eine Konsolidierung in der stark fragmentierten CDMO-Branche erwartet, eine Absage. «Wir investieren vorwiegend in unser organisches Wachstum.» Ergänzende Zukäufe zum Erwerb von Technologien seien denkbar. Lonza habe ein breites Portfolio und wolle nicht in neue Geschäftsfelder, etwa in die Peptide-Herstellung, expandieren. «Wir investieren bereits fast zwei Milliarden Franken pro Jahr in unsere Kompetenzen und wir wollen dabei bleiben», sagte Baehny.
Bei der Suche nach einem neuen Chief Executive Officer (CEO) peilt Baehny bis Jahresende eine «Longlist» von zehn bis zwölf Kandidaten an - aus dem eigenen Haus und von ausserhalb. Der neue Mann oder die neue Frau an der Spitze müsse die neu ausgerufenen Finanzziele umsetzen, sagte Baehny. «Wir wollen einen Proven Leader, der sich in Rollen, Funktionen und Herausforderungen, die sowohl für die Firma als auch für die Industrie relevant sind, bewiesen hat.»
(Reuters)