Mandy Li gönnt sich hin und wieder eine Handtasche einer Luxusmarke. Die Angestellte einer Energiefirma in China hat ihr Einkaufsverhalten aber verändert, seit ihr staatlicher Arbeitgeber das Gehalt um zehn Prozent gekürzt hat und die Immobilien ihrer Familie die Hälfte ihres Wertes eingebüsst haben: Statt nagelneuer Taschen kauft sie nur noch gebrauchte. «Ich schränke die grossen Ausgaben ein», sagt die 28-jährige Li, während sie in Pekings erst vor wenigen Wochen eröffnetem Secondhand-Laden Super Zhuanzhuan nach Luxusartikeln stöbert. «Die Wirtschaft befindet sich definitiv im Abschwung», begründet sie ihr Ausweichen auf Gebrauchtes. «Das Vermögen meiner Familie ist durch die Immobilienkrise, mit der China seit 2021 zu kämpfen hat, stark geschrumpft.»
Die Deflationsgefahr in der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt nimmt zu. Gleichzeitig verändert sich das Verbraucherverhalten in einer Weise, die die Preise noch weiter abrutschen lassen könnte. Dies bereitet chinesischen Politikern Kopfzerbrechen, fürchten sie doch bei einem Preisverfall auf breiter Front verheerende Folgen für die Unternehmen.
Noch sinken die Verbraucherpreise nur minimal: Im Mai gaben sie um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat nach. Allerdings: In etlichen Bereichen, von Autos über E-Commerce bis hin zu Kaffee, toben Preiskämpfe. Ein Überangebot an Waren trifft auf eine schleppende Nachfrage der privaten Haushalte. «Die anhaltenden Überkapazitäten werden China sowohl in diesem als auch im nächsten Jahr in der Deflation halten», erwarten die Experten des Analysehauses Capital Economics.
Neue Unternehmen versuchen, sich direkt an Pfennigfuchser zu wenden. So bieten Restaurants ganze Frühstücksmenüs für drei Yuan - umgerechnet weniger als 0,40 Euro. Supermärkte wiederum laden zu Blitzverkäufen ein, mitunter viermal täglich. Dieser Trend beunruhigt jedoch viele Ökonomen. Die Preiskämpfe dürften viele Unternehmen nicht überleben, was zu steigender Arbeitslosigkeit führen und die Deflation weiter anheizen könnte.
Kräftiges Wachstum
Seit die Verbraucher infolge der Corona-Pandemie beim Preis zweimal hinschauen, hat sich der chinesische Markt für gebrauchte Luxusgüter fest etabliert - mit Wachstumsraten von teils mehr als 20 Prozent im Jahr, wie aus einem Branchenbericht der Beratungsfirma Zhiyan Consulting hervorgeht. Dieses Wachstum hat zu einem sprunghaften Anstieg der zum Verkauf angebotenen Artikel geführt. Das wiederum macht sich in der Höhe der angebotenen Rabatte bemerkbar.
Einige neue Geschäfte, darunter Super Zhuanzhuan, bieten Artikel mit Preisnachlässen von bis zu 90 Prozent des Originalpreises an. Zum Vergleich: Der Branchenstandard lag in den vergangenen Jahren bei 30 bis 40 Prozent. Preisnachlässe von 70 Prozent und mehr sind auch auf grossen Secondhand-Plattformen wie Xianyu, Feiyu, Ponhu und Plum inzwischen keine Seltenheit mehr. «In der aktuellen Wirtschaftslage beobachten wir, dass immer mehr Luxuskonsumenten auf den Secondhand-Markt ausweichen», sagt Lisa Zhang von Daxue Consulting, einem Marktforschungs- und Strategieunternehmen mit Schwerpunkt China. Die Verkäufer «geben mehr Rabatte, und das liegt an der grösseren Konkurrenz».
«Die meisten Luxusgeschäfte werden schliessen»
Bei Super Zhuanzhuan gibt es ein grünes Christie-Handtaschenmodell der New Yorker Luxusmarke Coach für 219 Yuan (27 Euro). Die Erstbesitzerin musste dafür noch 3260 Yuan (397 Euro) hinblättern. Eine ursprünglich 2200 Yuan teure G-Cube-Halskette von Givenchy ist gebraucht schon für 187 Yuan zu haben.
«Von Jahr zu Jahr steigt die Zahl der Verkäufer um etwa 20 Prozent, aber die Zahl der Käufer ist ziemlich stabil», sagt der Gründer eines Luxusgeschäfts, der anonym bleiben wollte. «Das Einkommen der Mittelschicht ist wirklich gesunken. Die Konjunktur ist der Hauptgrund, warum wir diese Trends beobachten.» In Grossstädten wie Shanghai und Peking gebe es genügend Käufer, aber in anderen Teilen Chinas eher nicht. «Ich gehe davon aus, dass die meisten Geschäfte, die in letzter Zeit eröffnet wurden, wieder schliessen werden», sagt er.
Die Universitätsprofessorin Riley Chang schaut sich bei Super Zhuanzhuan um - nicht, weil sie etwas Neues kaufen will. Vielmehr prüft sie, was sie aus ihrem Besitz und zu welchem Preis losschlagen könnte. Sie ist unzufrieden. «Ich war in mehreren grossen Secondhand-Luxusgeschäften in Peking und Shanghai, und sie alle versuchen, den Preis so niedrig wie möglich zu halten.»
(Reuters)