Der Abgang des Ems-Finanzchefs Olivier Flühler kam für Beobachter wie Analysten überraschend, da er das Unternehmen nach nur neun Monaten bereits wieder verlässt. Magdalena Martullo-Blocher, CEO von Ems, erklärt dies so: "Bei uns ist der Finanzchef auch stark im operativen Geschäft eingebunden. Es war ein sehr hektisches Jahr, entsprechend schwierig war der Start. Ich denke, die Vorstellungen haben gegenseitig nicht gepasst. Klar ist, dass wir wieder einen Finanzchef suchen, der uns operativ unterstützen kann." Dieses Unternehmerische ist ein zentraler Bestandteil der Strategie von Ems, insofern ist der Abgang dann vielleicht doch nicht so überraschend.   

Überraschend ist andererseits immer wieder, wie hoch der Gewinn vor Steuern und Zinsen (sogenannter EBIT) bei Ems ist. Zwar ist dieser im letzten Jahr von 28,4 auf 25 Prozent gesunken. Im Vergleich zu den grossen Chemiefirmen, welche 3 bis 5 Prozent erzielen, ist er immer noch eklatant hoch. Dieser Unterschied kommt durch die strategische Fokussierung und Spezialisierung. Während das Chemiegeschäft bei Grosskonzernen von grossen Volumina und vergleichsweise geringen Margen lebt, ist es bei Ems genau umgekehrt ist. Es sind kleinere Volumen mit deutlich höheren Margen. Ferner kommt jetzt hinzu, dass sich einige grosse Konkurrenten in den letzten drei Jahren aus dem Automobilzulieferermarkt zurückgezogen haben und nun auf andere Bereiche fokussieren. "Das gibt neue Möglichkeiten", erklärt Martullo-Blocher.

Reibungslose Lieferkette zentraler Erfolgsfaktor

Die Firma verkauft granulierte Hochleistungspolymere, welche je nach Anwendungen mit Glasfaser verstärkt werden. Diese Polymere sind durch permanente Verbesserungen und Innovationen genau auf die Kundenbedürfnisse optimiert. So gehen dem Bestellprozess viele Kundengespräche voraus, bevor im Werk auf verschiedenen Spritzgussmaschinen gepröbelt und getestet wird, bis das beste Resultat erreicht ist. Dank dieser Dienstleistung kann ein höherer Preis erzielt werden. Das Endprodukt steht dabei immer im Fokus, ob es sich nun um Autoteile, Skischuhe oder Bohrer für Slalomstangen handelt. Leichter, fester und langlebiger sind die Stichworte. 

Polyethylen-Granulen, wie sie für die Produktion von Folien und Spielzeug verwendet werden.

Polyethylen-Granulen, wie sie für die Produktion von Folien und Spielzeug verwendet werden.

Quelle: imago images/Panthermedia

Ein zweiter, eher unerwarteter Faktor ist die kurzfristige Natur der Umsatzgenerierung. "Ein nicht unerheblicher Teil der spezialisierten Polymere wird auf eine Frist von 4 bis 8 Wochen ausgeliefert", so Martullo-Blocher. Es ist eine gewisse Abkehr von "Just in Time", die Lieferketten passen sich nach der Corona-Pandemie an. Die bereits vergrösserte Hochregallagerkapazität am Firmenstandort wird nun noch einmal erweitert, damit eine reibungslose Lieferkette garantiert werden kann.  

Ein zentrales Thema sind Fragen rund um die Energie-Versorgungssicherheit. Bei Ems hat die Unternehmerin Martullo-Blocher vorgesorgt und die Firma bezieht die gesamte Energie aus dem eigenen Biomassekraftwerk und Wasserkraft. Dadurch gelang es der Firma, bereits jetzt eine negative CO2-Bilanz zu erreichen und schlägt damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Erstens ist die Energiesicherheit für die Produktion in Domat-Ems gewährleistet, andererseits hilft das dem Geschäft mit der europäischen Automobil-Wirtschaft. Alle grossen Autobauer in Europa haben sich diesem Ziel verschrieben, den CO2-Ausstoss in den nächsten 10 bis 15 Jahren auf null zu senken.

China überholt Autoland Deutschland

Rund 60 Prozent der Produkte werden für die Automobilindustrie entwickelt und hergestellt. Martullo-Blocher bezeichnet die Schweiz dabei als Insel der Glückseligen, auch wenn die Konjunktur verhalten sei. In der europäischen Industrie sehe es deutlich weniger rosig aus. "Die Verlagerungen und Schliessungen sind ein grosses Thema in Deutschland. Wir sehen hier ganz klar eine Verlagerung nach China und in die USA, weil dort die Energieversorgung bestens funktioniert." 

Deutschland war und ist einer der wichtigsten Märkte für Ems. Der Blick richtet das Unternehmen aber nun stärker auf China, das Deutschland als zweitgrössten Autohersteller ablösen dürfte. Am meisten Autos werden immer noch aus Japan exportiert. China sei aber im Export inzwischen die Nummer zwei, insbesondere bei Elektroautos. Ems stellt seit zwölf Jahren Produkte her, die in Elektroautos verbaut werden. Zu den Elektroautos meint die Ems-Chefin, dass "Europa sich von seiner starken Position bei den Benzinern und DIeselautos verabschiedet hat. Es fanden enorme Transformationen auch bei den Zulieferern statt. China hat Vorteile mit eigenen Rohstoffen für Batterien und heute einen zeitlichen Vorsprung. Europa fördert mit seinen Verboten von Verbrennungsmotoren eigentlich eine chinesische Technologie für Elektromotoren. Die eigene Entwicklung in Europa hat man so an die Wand gefahren." 

Kräftige Investitionen sollen Standort und Marge sichern

Ems stellt mehr als die Hälfte der Produkte in der Schweiz her, welche zum Teil am Verkaufsort nach Bedarf weiter zum fertigen Produkt veredelt werden. Produktionsstandort bleibt primär die Schweiz, wo nächste Woche zwei neue Produktstrassen für Polymere in Betrieb genommen werden. "Damit können wir unseren Energieverbrauch weiter reduzieren", so Martullo-Blocher. Die Schaffung von zahlreichen neuen Stellen ist dagegen für den Moment kein Thema. Das hängt auch damit zusammen, dass der Ausblick für das laufende Jahr verhalten positiv ist.

Eine Herausforderung zeichnet sich schon jetzt mit dem relativ verhaltenen Start in China ab. Gemäss Martullo-Blocher haben viele kleine und mittlere Firmen Mühe, an Finanzierungen heranzukommen. Das drücke auf die Geschwindigkeit, wie rasch die Firmen ihre Produktion in China hochfahren können. Ebenso müsse sich zeigen, wie es in Europa bei der Energie mit Blick auf den nächsten Winter weitergehe. 

Thomas Daniel Marti
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