cash.ch: In den letzten Monaten sind die Aktien von Meyer Burger entgegen dem positiven Trend am Gesamtmarkt kaum vom Fleck gekommen. Wie erklären Sie sich die aktuelle Kursschwäche an der Börse?

Gunter Erfurt: Meyer Burger hat in diesem Jahr nicht nur die beiden grossen Solar-ETF geschlagen, sondern auch den RENIXX (Renewable Energy Industrial Index, Red.). Für die Kursschwäche der letzten drei Monate ist die Ankündigung von Anfang März ausschlaggebend gewesen, dass sich die Produktionsmenge im Jahr 2023 auf etwa 800 Megawatt reduziert. Hinter dieser Gewinnwarnung stand die Bekanntgabe eines externen Faktors.

Welcher externe Faktor?

Komponenten, die deutlich zu spät geliefert wurden. Und die Wandelanleihe, die wir platziert haben, hat die Aktie auch nochmals unter Druck gesetzt.

Sind die Lieferprobleme immer noch eine Hemmschwelle für den Ausbau der Kapazitäten?

Nein, das ist nicht mehr so. Wenn man eine Modullinie aufbaut, dann enthält diese tausende Elektronikkomponenten. Der betroffene Lieferant hat uns 95 Prozent pünktlich geliefert, aber 5 Prozent nicht. Wenn man die 5 Prozent nicht hat, schaltet man die Linie nicht ein. So einfach ist das.

Wird es nochmals Verzögerungen geben?

Wir sind mit den Unternehmen, die dies betrifft, im engsten Austausch. Das Feedback ist, dass diese die Lieferkettenprobleme langsam unter Kontrolle haben. Wir gehen daher aus heutiger Sicht davon aus, dass der Ausbau in den USA wie geplant stattfinden kann.

Die Aktie ist immer wieder im Fokus der Shortseller. Was ist Ihre Botschaft an diese?

Wir erklären unser Unternehmen für alle gleich. In den letzten Jahren ist der Shortanteil grundsätzlich gesunken. Und ein Anteil des Shortselling kommt auch aus dem Delta-Hedging der Wandelanleihen. Doch jedes Unternehmen macht auch Fehler. Bei Meyer Burger waren vor allem externe Faktoren ausschlaggebend, die wir nicht beeinflussen konnten und krisenbedingt waren. Trotz allem hat Meyer Burger seit dem Restart - am 12. März 2020 - das Vertrauen vieler Aktionäre gewinnen können. Darauf sind wir stolz.

Als bedeutender Aktionär von Meyer Burger hat sich zuletzt Hedgefonds-Milliardär Israel Englander offenbart. Grösste Einzelaktionärin ist die Beteiligungsgesellschaft Sentis Capital Cell 3 PC von Peter Kondrashev. Inwiefern nehmen diese Einfluss auf die Geschäftspolitik von Meyer Burger?

Sie können ihrer Stimmkraft gemäss Einfluss nehmen, wie alle Aktionäre. 

Wo liegen denn aktuell noch die Risiken bei einem Investment in Meyer Burger?

Die strategische Umstellung auf die Solarmodulproduktion war alles andere als risikofrei und ist es in einigen Aspekten sicherlich noch. Aber es war und ist der richtige Weg.

Was meinen Sie konkret?

Es ist eine extrem hart umkämpfte Branche, die von Innovation lebt. Dort können wir gut mithalten. Ebenso wichtig sind die industriepolitischen Aspekte. Im Westen hat man die letzten zehn Jahre daran geglaubt, dass die chinesischen Unternehmen aus eigener Kraft so dominant geworden sind. Doch der Grund für diese Entwicklung liegt hauptsächlich in der politischen Ambition des Landes. 

China muss als Sündenbock herhalten?

Nein, im Gegenteil China agiert sehr überlegt. Westliche Unternehmen versorgen China bis heute mit Technologie. Wir machen es nicht mehr, andere aber schon. Wenn es auf der ganzen Welt keine Subventionen für die Photovoltaik gäbe, würde die Industrie trotzdem kompetitiv funktionieren und wir hätten wirklichen Wettbewerb. China subventioniert jedoch seit fünfzehn Jahren die Industrie massiv. Dies gibt den chinesischen Produzenten die Möglichkeiten, mit nicht WTO-konformen Niedrigstpreisen die Märkte zu fluten. Die USA ziehen jetzt industriepolitisch nach.

Es geht um Machtpolitik…

In China verdient mit ganz wenigen Ausnahmen kein Solarunternehmen Geld. Warum halten die Chinesen die Branche am Leben? Die Antwort ist uns seit dem 24. Februar 2022 klar, da die Analogien zum russischen Gas 100 Prozent identisch sind. Auch Russland hat mit dem Erdgasverkauf nicht unbedingt Geld verdient, aber Macht gewonnen. Man hat Einfluss auf Europa genommen und das ist der gleiche Ansatz, den die Chinesen fahren.

Was macht der Westen falsch?

China ist der einzige wirkliche Besitzer der mit Abstand wichtigsten Energieerzeugungsproduktion der Zukunft. Genau diese Entwicklung hat der chinesische Staat vor fünfzehn Jahren als Chance erkannt und entsprechend gefördert. Im Westen reden wir stattdessen über Kernfusion und die Verlängerung von Kohlekraftwerken. Europa hat sich trotz seiner technologischen Führerschaft in der Solarindustrie vor zehn Jahren leider zurückgezogen. 

China bringt aber auch technologisch vieles auf dem Gebiet der Photovoltaik zustande...

China erbringt heute gewaltige Anstrengungen in der Photovoltaik-Forschung, sehr bemerkenswerte Ergebnisse kommen mittlerweile von chinesischen Unternehmen. Trotzdem stammen Trends immer noch aus Europa, zum Beispiel ist die sich heute verbreitende TopCon-Technologie nicht Made in China, sondern Made in Germany. Technologie kommt bis heute aus Europa - vor allem aus der Schweiz und aus Deutschland. In beiden Ländern wird die Industrie auf der Innovationsseite seit Jahrzehnten erfolgreich gefördert, jedoch fehlt die nachfolgende Industriepolitik. Genau in diese Lücke ist China erfolgreich gesprungen und holt das Beste für sich raus.

Es wird erwartet, dass China in den kommenden Jahren bei den Fortschritten im Solarbereich führend sein wird. Dieser Meinung ist zumindest Martin Green, Professor an der University of New South Wales in Sydney. Dieser wird als Vater der modernen Photovoltaik angesehen. Liegt er falsch?

Die Chinesen betreiben definitiv sehr gute Forschung. Innovativ starke Unternehmen aus Europa - nicht nur Meyer Burger - erreichen jedoch auch mit relativ kleinen Forschungsbudgets im Vergleich zu den chinesischen Giganten sehr viel. Bei Letzteren gibt es trotz riesigen Forschungsbudgets bislang jedoch keine wirklichen Sprünge. 

Malt Green schwarz?

Die Chinesen sind sehr aktiv beim Generieren von Solarzellenrekorden. Dort hat Green recht. Dies macht Meyer Burger nicht, da 'verschwenden' wir nicht unsere Forschungsgelder. Wir nehmen die guten Ideen aus den Forschungsinstituten und setzen die Industrialisierung um. Wir verdienen kein Geld mit nur einer einzigen Zelle, die einen Wirkungsgrad von 26 Prozent erreicht. Wesentlich ist die Industrialisierung und kommerzielle Nutzung, da liegt unser Fokus.

Wohin geht die technologische Entwicklung bei Meyer Burger?

Wir bewegen uns in Kooperation mit dem CSEM in Neuenburg in eine zweite Generation Heterojunction-Zellen rein. Dort machen wir äusserst grosse Fortschritte.

Wann fällt der nächste technologische Meilenstein?

Wir treiben derzeit die Industrialisierung der IBC Module voran. Diese basieren ebenfalls auf der Heterojunction-Technologie - IBC steht für Interdigitated Back Contact. Die Verdrahtung ist bei diesen Modulen auf der Rückseite der Zelle angebracht, was eine bessere Ausnutzung des Sonnenlichts ermöglicht. In Kombination mit unserer SmartWireTechnologie ergeben sich wesentliche Vorteile in puncto Effizienz und Energieertrag. Mit einer kürzlich errichteten Pilotanlage am Standort Neuenburg tritt die Industrialisierung in die nächste Phase.

Sehen Sie sich zukünftig mit der Heterojunction-Technologie nicht als Nischenplayer?

Mit der Technologie ein Nischenplayer zu sein ist sogar ein Vorteil. Denn so kann man sich differenzieren. Bei der Photovoltaik wandert der Grossteil der Kosten in das Material, insbesondere den Wafer. Der Wafer, den wir bei unserem Ansatz verwenden, ist derselbe wie bei allen anderen. Wir haben nur ein paar Besonderheiten in der Solarzelle und im Solarmodul, die unsere Leistung und Langlebigkeit höher bringen.

Meyer Burger verbleibt aber in einer Nische…

Ja, aus der chinesischen Perspektive stimmt dies sicherlich. Mit den 3,4 Gigawatt bis Ende 2023 könnte Meyer Burger potentiell über eine Milliarde Franken Umsatz machen. Diese Zahlen sind im Vergleich zur Vergangenheit deutlich ambitionierter. Und mit jedem verkauften Solarmodul skaliert sich das Geschäft. Wenn es uns gelänge, bis 2026 knapp 7 Gigawatt zu erreichen, wird das Unternehmen dann wohl über 2 Milliarden Franken Umsatz erzielen und noch mehr. So muss man die Reise betrachten.

Wer sich anlässlich der Veröffentlichung der Jahresergebnisse wertvolle Anhaltspunkte zum zukünftigen Geschäftsverlauf erhofft hat, wurde enttäuscht. Bekannt ist soweit bloss, dass Module mit einer Gesamtleistung von 800 Megawatt (zuvor 1 bis 1,2 Gigawatt) vom Band rollen sollen.  Warum gaben Sie nur qualitative und keine quantitativen Aussagen zum laufenden Jahr ab?

Wir sind tatsächlich in der Aussage zur Guidance zurückhaltend, weil die Rahmenbedingungen mit der hohen Volatilität im Markt und der starken Einflussnahme durch die chinesische Industriepolitik nicht einer einfachen Marktlogik entsprechen. Wir bleiben daher bei dieser vorsichtigen Haltung, gerade in der Phase des starken Ausbaus. Nächster Halt ist ja die Verdreifachung der Produktionsmenge. Und diese müssen sie auch noch zum Wert verkauft kriegen.

Was heisst das konkret?

Wir streben 2023 eine Produktionsmenge von 800 Megawatt an. Ich bin sehr positiv, dass uns dies gelingen wird. Wir haben auch gesagt, dass wir auf der EBITDA-Stufe positiv sein wollen.

Müssen sich die Investoren bezüglich der Marge zukünftig keine Sorgen machen?

Das wäre sicherlich ein sehr mutiges Statement. Wir haben vielmehr den absoluten Fokus darauf, dass wir in diesem Jahr die Profitabilität mindestens auf Stufe EBITDA erreichen. Das ist alles, was am Ende zählt. 

Sie sind bezüglich der Profitabilität auf gutem Weg?

Wir sind auf gutem Weg und arbeiten hart daran, dass uns dies trotz Verwerfungen im europäischen Markt gelingt.

Braucht es nochmals eine wesentliche Eigenkapitalaufnahme, um die Expansionsschritte zu finanzieren?

Wir haben mit der Kapitalerhöhung im letzten Jahr einen beachtlichen Cash-Betrag in das Unternehmen bekommen - 293 Millionen Franken waren Ende 2022 auf dem Konto. Meyer Burger hat dieses Jahr eine Anleihe erfolgreich platziert, was auf grosses Interesse gestossen ist. Wir sind kapitalmässig in einer starken Situation, so dass wir agieren können, wenn wir müssen.

Also droht den Aktionären keine Kapitalmassnahme mehr?

Ich werde mich nicht hinstellen und sagen, dass bei Meyer Burger nie mehr eine Kapitalmassnahme nötig sein wird, aber gegenwärtig sind wir gut für die nächsten Schritte aufgestellt.

Meyer Burger gilt als Wachstumswert: Inwiefern widerspiegelt sich dies an der Geschäftslage?

Was an namhaften Abnahme-Verträgen ins Haus gekommen ist, wurde alles kommuniziert. Meyer Burger sitzt auf Verträgen über die nächsten sechs Jahre von mindestens 5,35 Gigawatt für das Solarparkgeschäft. 

Das Versorgergeschäft bietet Planbarkeit…

In den USA hat sich eine neue Qualität des Verträge-Schliessens für unsere Branche entwickelt. Wenn Europa die strategische Notwendigkeit der Solarindustrie einmal erkannt hat, wird dies auch hier passieren. Dies bietet für unser Unternehmen eine in der Branche bislang ungewöhnliche Planungssicherheit.

Wie sieht es ausserhalb der Abnehmer für Solarpark-Module aus?

Im Bereich Hausdach hat der Markt in den letzten 20 Jahren nie so funktioniert, dass man im Jahr voraus Aufträge erhalten hat. In normalen Zeiten blickt man hier 10 bis 15 Wochen nach vorn, da die Grosshändler immer wieder ihre Lager auffüllen. Weil dies einen Nachteil des Hausdachsegments darstellt, setzen wir so stark auf die Versorger und deren Solarpark-Projekte. Im Firmengeschäft kann man gegebenenfalls ein oder zwei Jahre Visibilität bekommen.

Ist Meyer Burger schlussendlich ein klarer Gewinner des Kampfes gegen den Klimawandel?

In den USA trifft dies ganz klar zu. In Europa ist politisch noch nicht entschieden, ob man 100 Prozent von China abhängig sein will. Wir sind auf jeden Fall bereit, um mitzuhelfen. Wenn Europa nichts tut, wird unser Fokus stärker auf die USA ausgerichtet sein. Dort hat man es begriffen.

​​Inwiefern hat Meyer Burger in Europa überhaupt genügend starke Partner für das Wachstum?

Vor drei Jahren hat uns noch jemand als Power-Point-Company bezeichnet. Mittlerweile haben wir uns eine Stellung erarbeitet. Das strategische Interesse, um mit Meyer Burger zusammenzuarbeiten, wächst kontinuierlich - nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Die Partnerschaften mit den Grosshandelspartnern funktionieren in guten und in schlechten Zeiten. 

Wie sieht es bei den Versorgern aus?

Auf der Versorger-Seite sind die USA weiter. Aber auch in Europa gibt es dieses Interesse. Die benötigte Menge für die Energiewende in Europa wird bald 100 Gigawatt pro Jahr überschreiten. Die Produktion und Installation wird nur über eine gute Arbeitsteilung funktionieren. Daher haben wir ein grosses Interesse, mit starken Versorgern gut zusammenzuarbeiten.

Vermutlich würde sich ihre Lage sprunghaft verbessern, falls Meyer Burger eine Partnerschaft mit einem grossen europäischen Versorger eingehen würde. Sehen Sie dies auch so?

Das sehe ich prinzipiell auch so.

Das streben Sie aktiv an?

Es muss nicht unbedingt ein Versorger sein. Wir sind in interessanten Diskussionen mit vielen Unternehmen weltweit.

Welche Rolle spielen zukünftig Solardachziegel beim Wachstum?

Meyer Burger hat im vierten Quartal 2022 erste Projekte in diesem Bereich umgesetzt. Wir haben mittlerweile mit zwei Kunden Rahmenverträge abgeschlossen. Die produzierten Mengen werden im zweiten Halbjahr auf ein Niveau mit einigen hunderttausend Ziegeln hochgefahren. Gleichzeitig sind wir daran, die Vertriebskanäle weiterzuentwickeln.

Wie gross ist dieser Markt?

Der theoretisch adressierbare Markt liegt laut unseren Analysen bei jährlich 2 Gigawatt für den deutschsprachigen Raum. In Frankreich liegt dieser Wert bei 1,4 Gigawatt. Danach haben wir aufgehört zu zählen. Wir haben ein super tolles Produkt mit dem Abstand grössten Wirkungsgrad - 17 Prozent. Tesla hat beispielsweise nur 12 Prozent erreicht.

Was ist Ihre Vision für Meyer Burger?

Die Entscheidung, in dieses Geschäftsmodell einzutreten, war richtig. Wir sind nach zwei Jahren Produktion auf Kurs, so dass wir im nächsten Jahr mehr Kapazität in den USA haben werden, als in Europa. Wir streben an, dass Meyer Burger bei den Gigawatts so schnell wie möglich in die Zweistelligkeit kommt. Das geplante Wachstum muss aber in der Konsequenz wertsteigernd für unsere Aktionäre werden.

Sie sind sehr oft in den Medien. Ist dies eine bewusste Kommunikationsstrategie?

Meyer Burger ist bei der Wiederbelebung der europäischen Solarindustrie die Lokomotive, das macht uns für Medien interessant.

Gunter Erfurt ist seit April 2020 CEO und Mitglied der Geschäftsleitung der Meyer Burger Technology AG. Der promovierte Physiker ist seit über 20 Jahren in der Photovoltaikindustrie tätig und arbeitet mit im Vorstand des europäischen Branchenverbands Solar Power Europe, im Vorstand des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW), im Wissenschaftlichen Beirat des Instituts für Solarenergieforschung (ISFH) und im Kuratorium des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE.