Meyer Burger hat auf Jahressicht seinen Börsenwert auf 2,3 Milliarden Franken mehr als verdoppelt. Allein für die letzten 3 Monate weisen die Aktien des Thuner Solarunternehmens ein Kursplus von mehr als 50 Prozent auf. Es scheint ganz so, als könnten steigende Zinsen und konjunkturelle Gegenwinde der Kauflust der Anlegerinnen und Anleger bei diesem Pennystock nichts anhaben.

Während an der Börse seit März 2020 Grün überwiegt, dominiert in der Buchhaltung seit gut zehn Jahren Rot. Das seit Mitte 2021 mit der strategischen Neuausrichtung ausschliesslich Solarzellen produzierende Unternehmen gehört gleichzeitig technisch zur europäischen Spitzenklasse, bemüht sich im Bereich der Nachhaltigkeit (ESG) und ist ein Lieblingstitel unter Fondsmanagern. Letzteres ist aber nicht wirklich erstaunlich, denn die Investitionsmöglichkeiten im Bereich der erneuerbaren Energien in Europa sind schlichtweg überblickbar.

Grundsätzlich herrscht für Solarmodulhersteller gegenwärtig auch wegen der Kombination aus Ukraine-Krieg und Klima-Bemühungen der Regierungen politischer Rückenwind vor. Und keiner bezweifelt, dass die Nachfrage sehr stark ist - die Produktion bei Meyer Burger ist bis ins zweite Quartal hinein ausverkauft. Marktforscher von Apricum erwarten, dass sich das weltweite jährliche Wachstum bis 2026 im Schnitt auf dem Niveau von 16,5 Prozent bewegt. Die für Meyer Burger wichtigen Schlüsselmärkte Deutschland und Schweiz haben zudem erst kürzlich eine Solaroffensive gestartet.

Meyer Burger hat mit Gunter Erfurt einen CEO, der mit dem Fokus auf lokale Lieferketten eine Vision hat und eine hohe Bereitschaft zu Investitionen zeigt. Es ist sicherlich wichtig, eine Vision in einem Markt zu haben, der hochkompetitiv ist und den chinesische Unternehmen 90 Prozent kontrollieren. Auch basiert die von Meyer Burger entwickelte Heterojunction-Solarzelle auf einer konkurrenzfähigen Technologie, mit der die Thuner der chinesischen Konkurrenz mit Premium-Qualität die Stirn bieten können.

Meyer Burger als grüner Wachstumswert

Trotzdem gibt es auch gute Gründe, warum der Höhenflug der letzten Monate mit viel Fantasie verbunden ist. Einerseits trieben wiederholt positive News den Titel an, andererseits versteht es Erfurt ausgezeichnet darin, Meyer Burger in den Medien präsent zu halten. Auch ist wohl schon vieles zukünftiges eingepreist: Beispielsweise, dass Meyer Burger im Zuge des "Green Deal Industrial Plan" von der EU Geld bekommt. 

Experten sind daher betreffend des weiteren Kurspotenzials gespalten. Laut Bloomberg-Daten sehen vier von sieben Analysten den Titel höher. Daniel König vom Broker Mirabaud Securities gehört zu den "Bullen" und bewertet die Aktie anhand des sensitiven Discounted Cash-Flow (DCF). Er empfiehlt den Titel mit einem Kursziel von 0,92 Franken zum Kauf.

Dabei verwendet er eine ewige Wachstumsrate von 3,5 Prozent. Die höheren Risiken - die noch nicht etablierte Rentabilität, die zu wenig grosse Breite im Verwaltungsrat und die dominante Konkurrenz chinesischer Anbieter - werden dank höheren gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten abgegolten.

Für König kann Meyer Burger denn auch nicht als klassische Value-Aktie mit einem tiefen Kurs-Buchwert-Verhältnis unter 1 oder mit einem bescheidenen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) betrachtet werden. "Der Fokus auf ein kurzfristiges KGV führt angesichts der sehr guten prognostizierten längerfristigen Wachstumsaussichten in die Irre", fügt der Analyst von Mirabaud Securities gegenüber cash.ch an. Meyer Burger sei schlussendlich ein grüner Wachstumswert.

«Die Aktien sind sehr hoch bewertet»

Vorsichtiger ist Eugen Perger vom Analysehaus Research Partners, der den Titel mit einem Kursziel von 0,4 Franken und einem "Halten"-Rating versehen hat. "Die Aktien sind sehr hoch bewertet. Es wird ein optimales Szenario vorweggenommen", sagt der Analyst auf Anfrage von cash.ch.

Unter einem optimalen Szenario versteht der Experte die sehr zügige Ausweitung der Produktion auf mehrere Tausend Megawatt Produktionsleistung bis 2028, Verkauf der gesamten Produktion zu akzeptablen Marktpreisen und einer EBITDA-Marge von über 30 Prozent. Zudem wird im Kurs keine wesentliche Eigenkapitalaufnahme mehr zur Finanzierung der künftigen Expansionsschritte impliziert.

Es ist viel Optimismus im Aktienkurs eingepreist. Und der Markt, in dem sich Meyer Burger bewähren muss, ist einem massiven Wettbewerb ausgesetzt und wird global von chinesischen Produzenten dominiert. Einige Marktbeobachter sagen daher, dass das Unternehmen keine Preissetzungsmacht verfügt, sondern die gestiegenen Preise für Solarzellen auf steigende Inputkosten zurückzuführen sind. Es fragt sich, ob Meyer Burger für ihre Produkte in einem solchen Szenario eine Prämie verlangen kann.

Konkurrenz durch TopCon-Technologie und Risiko einer weiteren Kapitalaufnahme

"Ich glaube, dass die Produktionsform von Meyer Burger mit der Heterojunction-Technologie eine höhere Effizienz auf eine längere Frist als die Konkurrenz aufweist", sagt hingegen König. Das Solarmodul sei teurer, weil es effizienter ist und sich dies schliesslich über die Laufzeit auszahlt. Der Analyst von Mirabaud Securities glaubt daher, dass sich Meyer Burger erfolgreich mit ihrem Nischenprodukt im Markt behaupten kann. 

Patrick Laager von der Credit Suisse ist jedoch der Meinung, dass die Technologie des Konkurrenten TopCon zum Mainstream werde. Gerade chinesische Unternehmen setzen massiv auf diese Technologie - aber auch Firmen in den USA. Dieser steigende Konkurrenzdruck ist ein Hauptgrund, dass der Analyst die Aktie bei einem Kursziel von 0,31 Franken mit einem "Underperform"-Rating versehen hat.

Perger sieht bei einem Investment in Meyer Burger das grösste Risiko in der Margenentwicklung. "Falls sich die Profitabilität verzögert, kann eine erneute Kapitalaufnahme für die Finanzierung der Investitionen in Arizona nicht ausgeschlossen werden", warnt der Analyst von Research Partners. Meyer Burger will schlussendlich die Hochleistungs-Solarmodulproduktion in Arizona auf 1,5 Gigawatt Kapazität anheben.

Meyer Burger steht unter Zugzwang

Ist Meyer Burger eine Zockeraktie? Es sind sicherlich viele Emotionen und eine grosszügige Fantasie in die Bewertung involviert. Und dass es mit dem Marktwert gestandene und erfolgreiche Unternehmen wie Burckhardt Compression übertrifft und mitunter ein aggressives Marketing betrieben wird, wirft Fragen auf. Meyer Burger muss wegen der gestiegenen Kosten für Investitionsgüter wohl auch mehr Gelder aufnehmen, um das Wachstum zu finanzieren. Und die Lieferfähigkeit entscheidender Komponenten bei Siemens könnte den Ausbau verzögern.

Bei der Präsentation der Jahresergebnisse am 23. März werden daher nicht die aktuellen Zahlen - es wird ein kräftiger Verlust erwartet - im Vordergrund stehen. Viel wichtiger ist, was Meyer Burger bezüglich des Break Even sagt und wie sich die Margen entwickelt haben. König und Perger erwarten, dass der Solarmodulbauer bereits im Geschäftsjahr 2023 einen Gewinn erzielen wird.

Die Luft für die Akte wird dünner. Liefert Meyer Burger nicht und löst sich die Kursfantasie auf, könnte es kräftig abwärts geben. Doch es gibt auch Grund für Optimismus: Wenn das Unternehmen mit einem Verbraucher wie RWE oder E.ON einen wichtigen Partner in Europa findet und wie geplant profitabel wird, dann steht dem langfristigen Erfolg wohl kaum noch etwas im Wege.

Anlegerinnen und Anleger, die ein erhöhtes Risiko scheuen, sollten wegen der vielen Unabwägbarkeiten Meyer Burger weiterhin links liegen lassen. Für Mutige könnte aber ein Investment bei einem Kursrücksetzer interessant werden.

ManuelBoeck
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