Die in Haag (SG) beheimatete VAT ist ein global führendes Unternehmen in der Entwicklung und der Produktion von Vakuumventilen, Mehrventilmodulen und Metallbälgen. Die mit Abstand wichtigste Kundengruppe sind Ausrüster der Halbleiterindustrie. Die VAT-Aktien wurden im April 2016 das erste Mal an der Schweizer Börse gehandelt. CEO ist seit März 2018 der Schotte Michael Allison.
cash.ch: Herr Allison, die ganze Welt redet über die anhaltende Chipkrise und deren Auswirkungen auf den Konsum. Wie ist die Situation an der Front?
Michael Allison: Wir waren bereits in der Vergangenheit eine zwar stetig wachsende Industrie, die in der breiten Öffentlichkeit aber wenig bekannt war. Heutzutage versteht jeder, was ein Silikonchip ist und wie stark diese den Alltag prägen - sei dies das Auto, die Heimelektronik, das Internet oder die Cloud. In der Pandemie ist der Digitalisierungsprozess fünf Jahre weitergekommen.
Wie erklärt dies die anhaltende Chipkrise?
Plötzlich arbeiteten die Menschen im Homeoffice und bestellten alles von zuhause aus. Dies verursacht einen enormen Anstieg in der Nutzung von Chips. Die Nachfrage zog so stark an, dass der Einbruch im Autosektor mehr als aufgewogen wurde. Als die Nachfrage aus dem Autosektor zurückkam, sagten die Chiphersteller: 'Sorry Leute, keine Chips für euch.' Diese Ausgangslage ist gut für die Halbleiterindustrie. Weil diese wegen der hohen Nachfrage noch mehr Fabriken bauen muss, ist dies auch gut für VAT.
Wie lange wird dieser Nachfrage-Boost anhalten?
Es ist eine fundamentale Veränderung der Wirtschaft. Jedermann sprach für viele Jahre von der Industrie 4.0, doch die Anpassungsgeschwindigkeit war ziemlich langsam. Covid hat diese Entwicklung beschleunigt. Für die nächsten drei bis vier Jahre wird die Nachfrage anwachsen.
Im Durchschnitt dauert ein Investitionszyklus in der Halbleiterbranche drei Jahre: Zwei Jahre Aufschwung und etwa ein Jahr Abschwung. Was unterscheidet den Aktuellen von früheren Investitionszyklen?
Wir betreten Neuland. Bei den Computern oder frühen Smartphones hatte es jeweils eine stark wachsende Nachfrage gegeben, die sich aber nach einer gewissen Zeit verlangsamte. Für die Chiphersteller war es schwierig, das Angebot auf die Nachfrage abzustimmen. Heutzutage gibt es mit der Künstliche Intelligenz, Autos, Industrie 4.0, Cloud, Computern und Smartphones viel mehr Anwendungsgebiete.
Doch wie gross ist die Gefahr, dass nach der Party ein Kater droht?
Chips gehen heute in so viele Industrie- und Konsumgüter, dass der Investitionszyklus geglättet wird. Wir sind bereits zwei Jahre im Zyklus und ich glaube nicht, dass er in der Zukunft stark einbrechen wird.
Aktuell steigen die Corona-Fallzahlen wieder rasant an. Und die neue Corona-Variante aus Südafrika sorgt für Schlagzeilen. Inwiefern stellt diese Entwicklung ein Risiko für VAT dar?
Das grösste Risiko für VAT ist dabei, dass es wieder zu Lockdowns und sogar Fabrikschliessungen kommen könnte und sich somit die angespannte Lage in der Zuliefererkette weiter verschärft.
Bereits jetzt melden viele Unternehmen Lieferkettenprobleme. Inwiefern ist VAT davon betroffen?
Das grösste Problem ist aktuell die Materialverfügbarkeit, nicht die Preisgestaltung. Auch wir haben Mühe, elektronische Komponenten zu erhalten. Rohmaterialien wie rostfreier Stahl machen Probleme. Und selbst die Beschaffung von Artikeln wie Kunststoff-Griffen ist herausfordernd. Doch die Hauptsache ist: Wir stellen aktuell keinen Engpass in unserer Industrie dar.
Für VAT sind die steigenden Preise kein Problem?
Es gibt auch Preissteigerungen. Einen Teil geben wir an unsere Kunden weiter. Da wir im Wettbewerb stehen, können wir dies aber nicht im vollen Umfang tun. Zudem liegt ein Schlüsselelement eines Marktführers darin, seine Kunden fair zu behandeln. Wenn die Kunden das Gefühl haben, dass sie unfair behandelt werden, finden sie Alternativen.
Gibt es auch andere Thematiken, die Ihnen operativ Probleme bereiten?
Es wird schwieriger, an Arbeitskräfte zu kommen. Dies gilt sowohl für Fabrikarbeiter als auch für Fachkräfte wie Ingenieure und Wissenschaftler. Gerade im Ingenieurbereich vollzieht sich ein regelrechter Kampf um Talente.
Die von VAT produzierten Vakuumventile sind zentral für die Herstellung von Chips oder Displays. Hat VAT genügend Kapazitäten, um der aktuell hohen Nachfrage gerecht zu werden?
Falls Sie mir letztes Jahr zur gleichen Zeit diese Frage gestellt hätten, wäre die Antwort gewesen: 'Absolut kein Problem'. Aktuell werden die Kapazitäten knapper. Diese reichen für einen Umsatz von 1,4 Milliarden Franken. Und Finanzanalysten gehen davon aus, dass VAT nächstes Jahr bereits gegen 1,1 Milliarden Franken erreichen wird.
Was bedeutet dies für Ihre Planung?
Wir haben bei der Kapazität noch Raum nach oben. Doch in einem schnell wachsenden Markt ist dies auch notwendig. Wir müssen jetzt Entscheidungen zum weiteren Kapazitätsausbau treffen. In der naheliegenden Zukunft werden wir über diese zusätzlichen Kapazitäten informieren.
Wie halten Sie VAT bei diesem rasanten Wachstum fit?
Wir investieren viel in die Entwicklung unserer Mitarbeitenden, um deren Fähigkeiten zu verbessern. VAT bleibt zudem sehr profitabel, da wir viel Energie in die Reduzierung der Kosten stecken. Wir treiben auch unsere Digitalisierungsagenda voran und investieren viel in Innovation. Letzteres ist auch der Hauptgrund, warum VAT Marktführer ist und die Position ständig ausbaut.
VAT gilt als weltweit führendes Unternehmen in der Entwicklung und der Produktion von Vakuumventilen, Mehrventilmodulen und Metallbälgen. Was unterscheidet sie von den Mitbewerbern?
Bei den Halbleitern kommen wir auf einen Marktanteil von 75 Prozent. Diese Stärke fusst auf diversen Faktoren und startet mit den Menschen. Die Schweiz hat eine lange Tradition im Maschinenbau und Innovation. Das hilft. Die Produkte von VAT sind zudem kosteneffizient, superzuverlässig und von hoher Qualität. Und VAT besitzt eine Vielzahl von Patenten, die unsere Ventiltechnologien schützen.
Mit den Quartalszahlen von Mitte Oktober haben Sie Mittelfristziele kommuniziert, denen zufolge bis zum Jahr 2025 ein Umsatz von 1,1 Milliarden Franken generiert werden soll. Warum diese eher zurückhaltende Prognose?
Vor einem Jahr dachten wir nicht, dass dies so vorsichtig wäre. Wenn man Fünfjahresziele definiert, will man typischerweise sichergehen, dass diese erreicht werden. Wir gingen davon aus, dass die Halbleiterindustrie 2025 80 Milliarden Dollar Investitionsausgaben tätigen wird. Bereits dieses Jahr sollte dieser Wert aber deutlich übertroffen werden.
Was bedeutet dies für ihre Umsatzprognose?
Warum wir nicht bereits dieses Jahr 1,1 Milliarden Franken erreichen, liegt unter anderem daran, dass wir viele neue Produkte in der Pipeline haben. Diese können jedoch nicht bereits dieses Jahr ausgeliefert werden. Dies wird erst 2023 oder 2024 der Fall sein. Obwohl die Investitionsvorhaben in der Halbleiterindustrie stark angezogen haben, bleibt das aktuelle Wachstum unter anderem wegen der Engpässe in den globalen Lieferketten etwas hinter dem vollen Potenzial zurück. Doch aus heutiger Sicht und mit der Annahme, dass sich die Investitionsprognosen der Halbleiterindustrie von mehr als 100 Milliarden Dollar bewahrheiten, werden wir 1,1 Milliarden Franken 2025 weit übertreffen. Wir werden im März über unsere neuen Mittelfristziele für die nächsten fünf Jahre kommunizieren.
Wo und in welchen Bereichen will VAT in der Zukunft schwerpunktmässig wachsen?
Wir bleiben stark fokussiert auf das Geschäft mit Ventilen und wollen unseren Marktanteil im Halbleiterbereich noch erhöhen. Doch wir wollen auch in anderen Segmenten wie Bildschirm oder Advanced Industrials wachsen. Letzteres umfasst vielfältige Anwendungen in der Forschung, etwa Life Sciences, sowie in Beschichtungsprozessen, der Herstellung von Batterien für Elektroautos und anderem.
Doch wo liegt der Schwerpunkt?
Es steht ausser Frage, dass das grösste Wachstum im Halbleiterbereich stattfinden wird. Dazu bieten wir neben unseren Vakuumventilen weitere Produkte wie Bewegungskomponenten an. Mit den aktuellen Mittelfristzielen wollen wir 2025 mindestens 150 Millionen Franken mit diesen zusätzlichen Produkten einlösen.
Was für eine Rolle spielt das Servicegeschäft in ihrer Strategie?
Das Schöne am Servicegeschäft ist die Stabilität. Dies, weil es bei den Kunden operativ finanziert und nicht den Investitionsausgaben zugerechnet wird. Als ich zu VAT kam, setzte ich das Ziel, dass das Servicegeschäft 20 Prozent des Umsatzes ausmachen soll. Dieses Jahr erreichen wir gut 19 Prozent.
Soll das Wachstum auch mit Akquisitionen geschehen?
VAT wuchs in der Vergangenheit nur organisch. Das ist der kosteneffektivste Weg. Zudem sind aktuell die Bewertungen der Unternehmen sehr hoch. Und mit jeder Übernahme besteht auch ein Risiko. Man muss daher sicher sein, eine Übernahme zu tätigen. Ansonsten macht man es lieber selbst. Doch jedes erfolgreiche Unternehmen hat anorganisches Wachstum. Auch VAT wird kleinere Übernahmen tätigen - Technologien, die 5 bis 30 Millionen Franken zusätzlichen Umsatz bringen. Doch im Momentan ist nichts Grosses geplant. Im Moment bin ich mit dem organischen Wachstum absorbiert.
Sie haben keine Zeit für Übernahmen?
Wichtig ist, dass das notwendige Wissen vorhanden ist. Diesbezüglich ist die VAT-Geschäftsleitung gut aufgestellt. Allein ich verfüge über die Erfahrung von vier Übernahmen. Aber es ist klar: Zukünftig werden wir eine Art von M&A durchführen.
VAT ist mit einem diesjährigen Kursanstieg von 110 Prozent der viertbeste Titel im Swiss Performance Index. Wie erklären Sie sich diese Kursentwicklung?
Im Halbleitermarkt ist eines Gewiss: Die Verwendung von Silikonchips wird sich in den nächsten fünf bis acht Jahren mehr als verdoppeln. Ungefähr 14 Prozent der Kosten eines Volkswagen Golf stammen von Silikonchips. Bei einem High-End-Auto, das halbautonom fahren kann, beläuft sich dieser Wert auf 20 Prozent. Wenn in fünf bis zehn Jahren vollautonome Autos auf dem Markt sind, werden 30 Prozent der Kosten von Silikonchips stammen. Dazu benötigt man eine massive Infrastruktur an Servern und Sensoren. Und diese Entwicklung vollzieht sich in jeder Industrie. Investoren wollen in ihren Portfolios Unternehmen haben, die Marktführer sind, starke Technologien haben, am richtigen Ort sind und den richtigen Kundenmix haben. VAT trifft dieses Profil komplett.
Wird VAT in der Zukunft noch mehr an die Aktionärinnen und Aktionäre ausschütten?
VAT hat eine starke Erfolgsbilanz darin, selbst in Schwächephasen Dividenden zu zahlen. Denn wir verfolgen die Politik, bis zu 100 Prozent des freien Cashflows an unsere Aktionäre auszuschütten. Sobald dieser zunimmt, wird auch die Dividende angehoben.
Michael Allison ist seit März 2018 CEO der VAT Group. Er kommt von Edwards/Atlas Copco, wo er Head der Semiconductor Division war. Davor war er bei Edwards Managing Director und Vice President der Global Sales und Serviceorganisation. Während 20 Jahren war er bei KLA Tencor in verschiedenen Senior Managementfunktionen tätig. Zudem ist er Mitglied des Verwaltungsrates von SEMI International. Allison verfügt über einen Abschluss Elektroingenieur der Universität Glasgow in Schottland.