Die staatliche Ermittlungskomitee sprach am Samstag von mindestens 115 Toten, im Staatsfernsehen war wenig später bereits von 143 Toten die Rede. Der Kreml vermeldete die Festnahme von elf Personen im Zusammenhang mit dem tödlichsten Anschlag in Russland seit 20 Jahren. Darunter seien auch die vier mutmasslichen Attentäter.

Diese waren nach Angaben des Inlandsgeheimdienstes FSB auf dem Weg zur ukrainischen Grenze, als sie gefasst worden seien. Auf der ukrainischen Seite hätten sie über Kontakte verfügt. Belege für eine Verbindung in die Ukraine, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren Krieg führt, wurden jedoch zunächst nicht präsentiert. Die radikale Miliz Islamischer Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich.

Aussenministeriumssprecherin Maria Sacharowa verurteilte den Anschlag als terroristischen Angriff. «Wir wissen jetzt, in welchem Land diese verdammten Bastarde sich vor ihrer Verfolgung verstecken wollten: in der Ukraine», erklärte sie über den Kurznachrichtendienst Telegram.

Die Regierung in Kiew hatte bereits kurz nach dem Anschlag am Freitagabend erklärt, sie habe mit der Angelegenheit nichts zu tun. Ein Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes bekräftigte dies am Samstag. Die russischen Angaben über Kontakte in der Ukraine seien ein Lüge. «Die Ukraine war natürlich nicht in diesen Terrorangriff involviert.»

Am Freitagabend hatten Täter in Tarnkleidung mit automatischen Waffen das Feuer auf Besucher der Crocus City Hall am Rande von Moskau eröffnet, wie das für Schwerverbrechen zuständige Ermittlungskomitee mitteilte. Einige Opfer seien durch Schüsse umgekommen, andere durch einen Grossbrand, der in dem Gebäudekomplex ausgebrochen sei.

Medienberichten zufolge legten die Angreifer das Feuer mit Benzinkanistern, die sie in Rucksäcken transportiert hätten. Menschen flohen in Panik. Laut einem Bericht des Nachrichtenportals Basa, das über gute Kontakte zu den Strafverfolgungsbehörden verfügt, wurden allein 28 Leichen in einem Toiletten-Raum entdeckt und 14 auf einer Treppe. «Viele Mütter wurden mit ihren Kindern in den Armen gefunden.»

In Moskau bildeten sich am Samstagmorgen lange Schlangen von Menschen, die Blut spenden wollten. Mehr als 120 Menschen wurden bei dem Angriff nach Angaben der Gesundheitsbehörden verletzt. Das Ermittlungskomitee erklärte, dass die Totenzahl voraussichtlich weiter steigen werde. Es setzte sie bei 115 an. Kurz darauf war vonseiten des staatlichen TV-Senders RT bereits von 143 Toten die Rede - allerdings ohne Nennung von Quellen.

USA will Russland gewarnt haben

FSB-Chef Alexander Bortnikow informierte Präsident Wladimir Putin dem Kreml zufolge über die Festnahmen, und dass darunter «vier Terroristen» seien. Man sei dabei, ihre Komplizen zu identifizieren. Nach Angaben des russischen Parlamentsabgeordneten Alexander Chinschtein flohen die Angreifer in einem Renault, der von der Polizei in der Region Brjansk etwa 340 Kilometer südwestlich von Moskau Freitagabend entdeckt wurde.

Nach einer Verfolgungsjagd seien zwei Personen festgenommen worden. Die anderen beiden seien zu Fuss in einen Wald geflohen. Sie wurden aber offenbar später auch festgenommen. Chinschtein zufolge wurden in dem Auto eine Pistole, ein Waffenmagazin, und tadschikische Pässe gefunden. Tadschikistan ist ein überwiegend von Muslimen bewohnter Staat in Zentralasien, der einst zur Sowjetunion gehörte.

Ungeachtet der Beteuerungen aus Kiew, in den Anschlag nicht verwickelt zu sein, forderte der einflussreiche russische Parlamentarier Andrej Kartapolow eine deutliche und konkrete Reaktion auf dem Schlachtfeld, sollte sich das Gegenteil herausstellen. Russland startete seinen Krieg gegen die Ukraine im Februar 2022. Zuletzt waren vermehrt auch Angriffe von ukrainischem Gebiet aus auf russisches Territorium gemeldet worden.

In Washington sagte ein US-Regierungsvertreter, die USA hätten Russland in den vergangenen Wochen vor einem Anschlag in Moskau gewarnt. Details nannte er nicht, bestätigte aber, dass sich die IS-Miliz zu dem Angriff bekannt habe. Vor zwei Wochen hatte der FSB nach eigenen Angaben einen Anschlag auf eine Moskauer Synagoge durch einen afghanischen IS-Ableger verhindert. Dieser habe sich auf Russland in den vergangenen zwei Jahren fixiert und oft auch Putin kritisiert, sagte der Terrorismus-Experte Colin Clarke von der Denkfabrik Soufan Center.

Der IS war bekanntgeworden, als er in weiten Teilen des Irak und Syriens ein Kalifat ausgerufen hatte. Er hat auch in anderen Ländern, darunter auch in Europa, zahlreiche Anschläge für sich reklamiert. Russland hatte sich 2015 in den syrischen Bürgerkrieg eingeschaltet, um Präsident Baschar al-Assad gegen die Opposition und den IS zu unterstützen.

International löste der Angriff breite Bestürzung aus, auch im Westen, dessen Beziehungen zu Russland wegen des Ukraine-Konflikts so schlecht sind wie seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Zahlreiche Politiker drückten ihr Beileid aus.

(Reuters)