Als Indonesien 2020 ein Exportverbot für Nickelerz aussprach, klagte die EU dagegen erfolgreich bei der Welthandelsorganisation (WTO). Aber dies blieb zum Schaden der europäischen Firmen folgenlos, weil Indonesien Einspruch einlegte - und die WTO-Schiedsgerichte wegen der Nicht-Besetzung der von den USA zu ernennenden Richterstellen seither keine Entscheidung mehr fällen konnten.

Weil sich solche Konflikte in den vergangenen Jahren häuften, zerbröselt der alte Traum einer weltumspannenden Handelsordnung, der durch umfassende Abkommen wie das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) genährt und mit der Schaffung der WTO in den 1990er-Jahren verstärkt wurde.

Immer mehr Freihandelsabkommen werden bilateral abgeschlossen. Und auf dem EU-Gipfel am Donnerstag wurden viele von einem Vorstoss von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Kanzler Friedrich Merz überrascht. Plötzlich steht die Perspektive einer Alternativ-Organisation zur 1994 gegründeten WTO im Raum.

«Die Kommissionspräsidentin hat von sich aus angesprochen, ob wir nicht als Europäer eine neue Art von Handelsorganisation auf den Weg bringen sollten, die das schrittweise ersetzt, was wir mit der WTO heute nicht mehr haben», sagte Merz nach dem EU-Gipfel. Er selbst habe bereits mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Keir Starmer darüber gesprochen.

Am Freitag versuchte die Bundesregierung, die in der Wirtschaft ausgelöste Verwirrung wieder einzufangen. Eine Regierungssprecherin und das Wirtschaftsministerium betonten, dass man an der WTO festhalten wolle, die aber reformiert werden müsse. Ein bestehendes multilaterales Regelwerk will man nicht so schnell aufgeben. Die entscheidende Frage ist also: Gibt es eine Reform innerhalb oder ausserhalb der Welthandelsorganisation?

Weg 1: Versuch der WTO-Reform

Seit Jahren beknien europäische Regierungen wechselnde US-Präsidenten, endlich wieder Richter für die Schiedsgerichtsbarkeit zu ernennen. «In der WTO werden die Spruchkörper schon seit langer Zeit nicht mehr nachbesetzt. Das hat in der Regierung Trump I angefangen, die Regierung Biden hat das fortgesetzt, die Regierung Trump II hat es auch nicht gemacht», kritisierte Merz in Brüssel.

Als Reaktion darauf wurde innerhalb der WTO das sogenannte Multi-Party Interim Appeal Arbitration Arrangement (MPIA) geschlossen, das eine alternative Schiedsgerichtsbarkeit einrichtete - ohne die USA. Mittlerweile haben sich nach Angaben der EU-Kommission 57 Länder der MPIA angeschlossen, die für 57,6 Prozent des Welthandels stehen. Dazu gehören die EU-Staaten, zuletzt trat Grossbritannien bei. Erst im Juni wurde das Auswahlverfahren der Richter reformiert. Es gibt also eine Alternative zur Streitschlichtung innerhalb der WTO, die etwa vom DIHK auch begrüsst wird.

Ob dies die finale Lösung sein kann, ist aber unklar. Denn die Zersplitterung des Handelssystems durch bilaterale Abkommen mit völlig unterschiedlichen Regeln greift um sich. US-Präsident Donald Trump forciert diesen Trend in seiner zweiten Amtszeit mit seiner Abneigung gegenüber multilateralen Abkommen und seinen unübersichtlichen Zoll-Vereinbarungen mit verschiedenen Ländern. In Brüssel betonte Merz, dass nicht einmal die Inhalte der auf dem G7-Gipfel unterzeichneten Zoll-Rahmenvereinbarung zwischen den USA und Grossbritannien bekannt seien.

Von der Leyen hatte zudem auf dem G7-Gipfel nach Teilnehmerangaben gesagt, dass die Aufnahme Chinas in die WTO 2001 ein weiteres Problem sei. Denn auch die WTO bekommt das Problem der von westlichen Staaten kritisierten hohen staatlichen Förderung chinesischer Unternehmen und der Überflutung der Weltmärkte mit subventionierten Waren sowie der teilweisen Marktabschottung in China selbst nicht in den Griff.

Weg 2: Reform ausserhalb der WTO

Die zunehmenden Zweifel, ob eine Reform der WTO möglich ist, führen zu Überlegungen, neue Mechanismen ausserhalb der Welthandelsorganisation zu schaffen. Merz erwähnte einen Ansatz in Brüssel, dass die EU ihre neuen Handelsverträge mit einem Streitschlichtungsmechanismus abschliessen sollte, der dann Grundlage für ein neues multilaterales System sein könnte.

Auch von der Leyen sagte, dass die «strukturierte Zusammenarbeit» mit asiatischen Ländern des «Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership» (CPTPP) eine Basis für den Beginn einer Neugestaltung der WTO sein könnte.

«Wir arbeiten eng mit gleichgesinnten Partnern, darunter auch CPTPP-Ländern, zusammen, um sinnvolle, regelbasierte Reformen voranzutreiben, die einen fairen und offenen Welthandel gewährleisten», teilte auch die EU-Kommission mit - was nicht gegen die WTO gerichtet sei. Aber natürlich geht es auch hierbei um ein System zur Beilegung von Streitigkeiten. Dem CPTPP gehören inzwischen zwölf Länder an: Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam - Grossbritannien trat Ende 2024 bei.

In der Wirtschaft wird dies mit gemischten Gefühlen gesehen: Der Ansatz, mit einer kleineren Gruppe funktionierender Demokratien - etwa über CPTPP - einen neuen Rahmen zu schaffen, habe durchaus strategische Vorteile, sagte der Präsident des Bundesverbandes Gross- und Aussenhandel (BGA), Dirk Jandura, der Nachrichtenagentur Reuters. Allerdings gebe es Risiken: So dürfe der Welthandel nicht in konkurrierende Handelsblöcke mit unterschiedlichen Regeln zerfallen. «Entscheidend ist, dass diese neue Organisation nur als Übergangslösung konzipiert werden darf, mit dem klaren Ziel, die WTO zu reformieren und nicht zu ersetzen.»

(Reuters)