Auf der Münchner Sicherheitskonferenz ist es zu einem offenen Schlagabtausch zwischen den Supermächten USA und China gekommen. Chinas Top-Diplomat Wang Yi warf den USA am Samstag eine Schmutzkampagne und aggressives Verhalten gegen sein Land vor. US-Vizepräsidentin Kamala Harris warnte Peking davor, Russland bei seinem Krieg gegen die Ukraine mit Waffen zu unterstützen. Damit würde nur eine Aggression belohnt. Sie erneuerte den amerikanischen Führungsanspruch und erteilte isolationistischen Überlegungen eine Absage. "Es steht zuviel auf dem Spiel", sagte sie und bekräftigte die Beistandsverpflichtungen im transatlantischen Bündnis Nato.

Auch am zweiten Tag der Sicherheitskonferenz überschattete der russische Angriff auf die Ukraine die Beratungen. Harris warf Russland Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor und bekräftigte, dass man die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen werde. Ebenso wie zuvor Kanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Rishi Sunak versicherte sie der Ukraine, dass man diese weiter militärisch unterstützen werden. Russland dürfe nicht gewinnen, weil sich sonst andere autoritäre Staaten in der Welt ermutigt fühlen könnten, warnte Harris, die eine sehr grosse US-Delegation auf der Sicherheitskonferenz anführte.

Wang Yi warb dagegen für Friedensverhandlungen in der Ukraine und warf einigen - namentlich nicht genannten - Staaten vor, sie seien an einer friedlichen Lösung nicht interessiert. Er kündigte einen Vorschlag der chinesischen Führung an und forderte die Europäer auf, sich ebenfalls um eine Friedenslösung zu bemühen. Russland wollte er nicht verurteilen. Peking hat seit der russischen Invasion mehrfach die eigene Neutralität betont. Auf der Sicherheitskonferenz 2022 wenige Tage vor dem russischen Angriff hatte Wang Yi noch die ukrainische Souveränität und ihr Recht auf territoriale Unversehrtheit betont.

Wang Yi war früher Aussenminister und ist mittlerweile Direktor des Büros der Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas und damit der Top-Diplomat des Landes. Er hatte sich in München unter anderem mit Scholz und Aussenministerin Annalena Baerbock getroffen. Baerbock begrüsst grundsätzlich die Ankündigung Chinas, eine friedliche Lösung in der Ukraine herbeizuführen. "China ist als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat verpflichtet, seinen Einfluss für die Sicherung des Weltfriedens einzusetzen", sagte sie.

Wang Yi - Abschluss des Ballons ist Zeichen der Schwäche

Am Samstag wurde offensichtlich, dass die eigentliche Auseinandersetzung zwischen den USA und China geführt wird. Die US-Regierung wolle China unter Druck setzen und rufe andere Länder dazu auf, sich dem anzuschliessen, kritisierte Wang Yi. Er warf Washington unter anderem eine protektionistische Politik durch die Sanktionen gegen China im Halbleiter-Bereich und ein völlig überzogenes Agieren beim Abschuss eines chinesischen Ballons vor. Die Sanktionen seien selbstbezogen und eine ernsthafte Verletzung des freien Handels sowie der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Man habe Washington gesagt, dass es sich um einen Wetterballon gehandelt habe, der vom Weg abgekommen sei. Es gebe sehr viele solcher Ballons in der Welt. "All diese Ballons abzuschiessen, ist nicht möglich. Das zeigt auch keine amerikanische Stärke - im Gegenteil."

Neuer Streit um Taiwan

Zugleich pochte Wang Yi darauf, dass der Westen Taiwan nicht aufwerten dürfe. Jede Verletzung der Ein-China-Politik oder der Versuch, zwei Chinas zu schaffen, sei "eine grosse Verletzung" der territorialen Souveränität Chinas. Sein Land werde sich dagegen wehren. Peking betrachtet das demokratische Taiwan als abtrünnige Provinz.

Inmitten wachsender militärischer Spannungen und erstmals seit Ausbruch der Corona-Pandemie vor drei Jahren traf in Taiwan wieder eine Gruppe chinesischer Behördenvertreter zu einem Besuch ein. Die Delegation landete am Samstag in Taipeh, angeführt vom stellvertretenden Leiter der Shanghaier Niederlassung von Chinas Büro für Taiwan-Angelegenheiten.

Die "Financial Times" berichtete unter Berufung auf Insider, dass kommende Woche ranghohe Vertreter Taiwans in Washington erwartet würden, darunter Aussenminister Joseph Wu. Die Delegation werde sich unter anderem mit dem stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater der USA, Jon Finer, treffen. Die Gespräche sollen dem Bericht zufolge als privat eingeordnet werden, um eine Verärgerung Chinas zu vermeiden. (Mitarbeit: Alexander Ratz, Ben Blanchard, Rishabh Jaiswal; redigiert von Hans Busemann Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)