Es ist erst gut ein Jahr her, dass die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP nicht nur als "Fortschritts-Bündnis" angetreten ist, sondern auch einen neuen Stil des Umgangs der ungleichen Partner pflegen wollte. Doch nun schreiben sich Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner Briefe, die sehr formell mit "Sehr geehrter Kollege" beginnen. Und SPD-Chef Lars Klingbeil mahnt die kleineren Koalitionspartner sichtlich genervt ein ums andere Mal, sie mögen ihre Differenzen doch bitte nicht in der Öffentlichkeit austragen. "Die Krise zehrt an den Nerven", sagt der Berliner Politologe Gero Neugebauer.

Tatsächlich hatte die Ampel mit dem Ukraine-Krieg, der Energiekrise und der Inflation im ersten Jahr ihrer Amtszeit Herausforderungen vor sich, die sehr ungewöhnlich waren. Aber paradoxerweise hat dies vor allem das Spitzentrio Kanzler Olaf Scholz, den Grünen Habeck und FDP-Chef Lindner zusammengeschweisst. "Der Disziplinierungseffekt war gewaltig", sagt Neugebauer. Doch nun ist der Schock über die Krisen verflogen.

Scholz, Habeck und Lindner sind einerseits stolz über das Erreichte und sagen dies immer wieder. Andererseits drängen die Parteien hinter ihnen nun wieder auf eine stärkere parteipolitische Profilierung. Das ist sowohl für Habeck ein Problem, der das parteiinterne Rennen um die Grünen-Kanzlerkandidatur gegen Aussenministerin Annalena Baerbock gewinnen will - als auch für FDP-Chef Lindner nach einer erneut verlorenen Landtagswahl in Berlin.

Am deutlichsten wurde diese Rückkehr zur stärkeren parteipolitischen Profilierung zuletzt im Streit über die Planungsbeschleunigung, die eigentlich alle drei Partner wollen. Aber während Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) darunter alle Verkehrsprojekte fassen will, pocht Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) darauf, dass man etwa Projekte zum Ausbau von Autobahnen ausnimmt.

Wochenlang konnte Scholz (SPD) trotz intensiver Gespräche hinter den Kulissen den Streit nicht beenden. In der SPD, die an diesem Punkt bei der FDP steht, drängt man auf ein weiteres Machtwort des Kanzlers. Bis zur Regierungsklausur in Meseberg Anfang März soll das Thema nun endgültig abgeräumt werden.

Es geht um die Finanzen

Aber Profilierung funktioniert in der Politik eben sehr stark übers Geld - was die Hitzigkeit des Streits bei der Haushaltsaufstellung erklärt. Von einer "Kampfansage" Habecks spricht ein Haushälter der Ampel-Koalition, ein anderer von einer Verkennung der Tatsachen: Der Vizekanzler vermische politische Wünsche mit juristischen Vorgaben. Verfassung, Koalitionsvertrag, Gesetzgebung - in dieser Reihenfolge gebe es Festlegungen. Die Schuldenbremse im Grundgesetz, Verzicht auf Steuererhöhungen im Koalitionsvertrag: Damit sei der Rahmen für gesetzliche Beschlüsse über Ausgaben und Einnahmen abgesteckt.

Auf der anderen Seite ist der Argwohn mancher Grüner gross: Lindner hatte jüngst den Seeheimern einen Besuch abgestattet, dem pragmatischen Flügel der SPD-Bundestagsfraktion. "Vielen Dank - mit den @seeheimern war ich einer Meinung: Unsere sozialen und ökologischen Ziele erfordern eine starke wirtschaftliche Basis. Die festigen wir", twitterte Lindner danach.

Bei den Grünen wird Habecks Brief denn auch eher als Stoppschild gegenüber öffentlichen Festlegungen der Koalitionspartner gewertet - etwa für Mehrausgaben im Verteidigungsetat oder für ein Entlastungspaket im Frühjahr, das Lindner in Aussicht gestellt hat. Den Streit hätten der FDP-Chef und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit seiner Forderung nach zehn Milliarden Euro mehr für den Wehretat begonnen, so die Grünen-Lesart.

Im Gegenzug kündigt Habeck nun unverblümt die sogenannten Eckwerte auf, die den Rahmen für den Entwurf des Bundeshaushalts abstecken. Damit stellt er aber das komplizierte Verfahren infrage, das seit der Aufstellung des Etats 2012 die Rolle des Finanzministeriums als Kassenwart stärkt: Das Finanzministerium macht den Aufschlag für die Haushalts-Gespräche für die Fachressorts - unter der Vorgabe, dass der Gesamtetat die Schuldenbremse einhält.

Lindner gab die Leitlinie in einem Schreiben Anfang Januar vor: Es gelte die "Notwendigkeit, die fiskalische Expansion zurückzufahren". Sein Haushalts-Staatssekretär Werner Gatzer zog Mitte Januar die Ausgabengrenze für 2024 auf Grundlage des geltenden Finanzplans bis 2026 bei 423,7 Milliarden Euro. Seither ist zwar die Erwartung von Steuermehreinnahmen gestiegen - aber auch die an zusätzliche Belastungen. Das betrifft etwa die Wohngeldreform, das Inflationsausgleichsgesetz oder den erheblichen Anstieg der Zinsausgaben.

Ein Problem der Koalitionäre ist, dass sie im März zwar die Eckwerte für den Haushalt 2024 beschliessen wollen, aber der finanzielle Spielraum oder eben die Sparzwänge erst nach der Steuerschätzung im Mai klarer werden. Möglicherweise gibt es Spielraum, weil der "Doppel-Wumms"-Abwehrschirm gegen die hohen Energiepreise mit 200 Milliarden Euro gar nicht voll ausgeschöpft wird.

Was einige in der Ampel verärgert: Vorhaben wie die von Lindner forcierte Aktienrente liessen sich unter Umgehung der Schuldenbremse finanzieren. Die im Jahr 2023 gezahlten zehn Milliarden Euro für das "Generationenkapital" werden zwar aus Schulden aufgebracht, aber als finanzielle Transaktion nicht auf die Schuldenbremse angerechnet.

(Reuters)