Die globalen Finanzmärkte, die bereits durch höhere Renditen in den letzten Wochen erschüttert wurden, sehen sich nach dem Überraschungsangriff der Hamas auf Israel einer neuen Dosis geopolitischer Unsicherheit ausgesetzt. Der Angriff der Hamas am Samstag und die anschliessende Kriegserklärung Israels dürften an den Aktienmärkten für sinkende Kurse sorgen, wenn sie am Montag eröffnen. Ein Richtungsweiser wird primär der Erdölpreis sein. Rohölhändler und Marktbeobachter erwarten einen deutlichen Anstieg des Preises für das schwarze Gold am Montag. 

Die mittelfristigen Risiken, dass der Erdölpreis über 100 Dollar pro Fass Rohöl steigen könnte, weist Erdöl-Analyst Javier Blas von Bloomberg nicht von der Hand. "Es wäre ein Fehler, die Wahrscheinlichkeit herunterzuspielen, dass die Welt mit längerfristig höheren Ölpreisen konfrontiert sein wird." Für den Ölmarkt hängt alles davon ab, wie Israel auf die Hamas reagiert, die den Angriff gestartet hat, und auf den Iran, der normalerweise die Fäden der palästinensischen Gruppe in der Hand hält.

Andrea Tueni, Leister Sales Trading bei Saxo Banque France, erklärte gegenüber Bloomberg, dass sich die Finanzmärkte über das Risiko Sorgen machen müssen, dass höhere Ölpreise die Renditen globaler Staatsanleihen in die Höhe treiben könnten. "Wenn sich der Konflikt in der gesamten Region ausweitet, könnte die Ölversorgung gefährdet sein."

Und falls der Eindruck entsteht, dass der Iran die Feindseligkeiten in Gaza und im Süden Israels angeheizt hat, werden die USA wahrscheinlich die Durchsetzung bestehender Sanktionen gegen Irans Ölexporte verschärfen. "All diese Faktoren würden wahrscheinlich kurzfristig die Ölpreise in die Höhe treiben und damit die Inflationsängste weltweit verstärken“, erläuterte Tueni. 

Ob es allerdings zu einem massiven Anstieg des Erdölpreises wie zum Beispiel zu Beginn des Irak-Krieges 1990 kommen wird, glaubt Blas nicht und verweist auf die 50 Jahre zurückliegende erste Ölkrise. Die Parallelen zwischen Oktober 2023 und Oktober 1973 sind dabei leicht zu ziehen: Ein Überraschungsangriff auf Israel und steigende Ölpreise.

Aber damit endet die Ähnlichkeit, schreibt der Erdöl-Analyst. Dies gleich aus mehreren Gründen. Einerseits sei dies ein Konflikt zwischen der Hamaz und Israel, während der Krieg, der die Erdölkrise in den 70er-Jahren auslöste, eine koordinierte Attacke der arabischen Länder gewesen sei. Ferner nehme die Nachfrage nach Erdöl-Produkten derzeit wegen der wirtschaftlichen Unsicherheiten ab. Blas führt ferner an, dass die US-Regierung auf die strategischen Petroleum-Reserven zurückgreifen könne und dies einen allfälligen Erdölpreisanstieg im Zaum halten dürfte. 

Der bekannte Geostratege Marco Papic weist in einem Tweet darauf hin, dass politische Krisen im Levant meist ein isoliertes Problem bleiben. "Selbst ein bedeutender konventioneller Krieg – wie der Libanonkrieg 2006 – hatte keinen Einfluss auf die Ölpreise. Der Makrokontext war weitaus leistungsfähiger", erklärt Papic. 

Mehr Volatilität an den Aktienmärkten

Die Auswirkungen dieser Krise dürften neben dem Erdölmarkt auch an den Aktien- und Devisenmärkten zu spüren sein. So brach in Tel Aviv der Börsenindex TA-35 am Sonntag um sieben Prozent ein, und der EGX30 in Kairo sackte um 5,4 Prozent ab. Grössere Verluste gab es auch in Riad, Doha und Kuwait City, wenn auch in deutlich geringerem Ausmass. 

Sicher scheint, dass die geopolitischen Verwerfungen in Fernost an den internationalen Aktienmärkten zu einer höheren Volatilität führen werden. Am Montag in der Eröffnung ist an der Schweizer Börse mit tieferen Kursen zu rechnen, wie die Reaktionen der Börsen im mittleren Osten zeigen. Wie hoch die Kursverluste an der hiesigen Börse ausfallen, dürfte auch von der Entwicklung im Konflikt über die kommende Nacht abhängen. 

Ein stärkerer Dollar und Franken erwartet

Krisen und Kriege führen mehrheitlich zu einer Höherbewertung des Dollars, da dieser in Kriegszeiten als sicherer Hafen gefragt ist. Dies gilt auch für den Schweizer Franken, allerdings hat die Schweizer Währung am internationalen Devisenmarkt wegen seiner Grösse ein wesentlich kleineres Gewicht als der amerikanische Dollar.

Ein nicht unerhebliches Risiko besteht nun darin, dass ein kräftig steigender Dollar die Schwellenländer in Schwierigkeiten bringt, da die lokalen Renditen wegen der Währungsschwäche gegenüber dem Greenback steigen. Dies dürfte entsprechend mittel- bis langfristig nicht ohne negative Auswirkungen an den amerikanischen und europäischen Finanzmärkten vorbeigehen. 

Thomas Daniel Marti
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