Dieses Interview ist Teil des Magazins «cash VALUE Fonds» 2014. Das Magazin kann als PDF heruntergeladen oder als ePaper gelesen werden.

cash: Frau Staub-Bisang, Hand aufs Herz, erlagen Sie niemals der Versuchung, einfach mal zu zocken und schnelle Gewinne zu machen?

Mirjam Staub-Bisang: Nein, überhaupt nicht. Zocken ist gar nicht mein Ding. Von meinem Naturell her bin ich kein Trader. Auch im Casino war ich schon mal. Das langweilte mich total.

Woher kommt denn Ihre Faszination für das nachhaltige Investieren?

Ich bin ein Kind des Kapitalismus. Ich wuchs in einer unternehmerisch denkenden Familie auf und wurde geprägt durch das Shareholder-Value-Denken. Dann kam ich zum World Economic Forum...

...wo Sie Young Global Leader sind.

Genau. Am WEF war ich umzingelt von Leuten, die mich fragten: "Welchen Beitrag leisten Sie für eine bessere Welt?" Das war ein wichtiger Gedankenanstoss. Zu dieser Zeit kamen auch meine Kinder zur Welt. Auch dies war ein Auslöser für mich, in anderen Zeiträumen zu denken. Früher plante ich maximal auf fünf Jahre hinaus, das Jahr 2050 hatte so für mich keine Bedeutung. Heute denke ich daran, dass meine jüngste Tochter dannzumal 40 Jahre alt sein wird, und ich frage mich: Wie sieht die Welt dann aus? Wir in der westlichen Welt verbrauchen zu viele Ressourcen. Das ist nicht nachhaltig. Nachhaltigkeit ist wie ein Virus, der einen befällt, je mehr man sich damit beschäftigt.

Wieso kam bei Firmen der Wandel vom Shareholder-Denken hin zur Nachhaltigkeit?

Unternehmensführer wie Peter Brabeck oder Paul Bulcke bei Nestlé oder Paul Polman bei Unilever haben erkannt, dass eine neue Generation von gut informierten Konsumenten heranwächst, die deutlich höhere Ansprüche an die nachhaltige Produktion von Konsumgütern stellt. Das Internet gibt diesen Konsumenten eine Stimme und sorgt für Transparenz: Schlechte Arbeitsbedingungen und Umweltschäden in Anbaugebieten von Rohstofflieferanten sind weitherum bekannt, Taten werden gefordert.

Welche Vorteile haben nachhaltig agierende Firmen?

Langfristig ist Shareholder-Value ohne Stakeholder-Value nicht erreichbar. Unternehmen, die neben ökonomischen auch soziale sowie ökologische und Governance-Kriterien in Strategie und Prozesse einbeziehen, sind langfristig bessere Unternehmen. Sie haben Risiken, insbesondere Reputations- und regulatorische Risiken, besser im Griff. Firmen mit einer loyalen Belegschaft können im Kampf um Talente besser bestehen. Und Unternehmen, die regulatorische Entwicklungen vorwegnehmen, ¬behalten ihre "license to operate". Man denke an verschärfte Umweltbestimmungen zum Beispiel für Rohstoffkonzerne. Entscheidend ist allerdings, dass nachhaltiges Denken ganz oben an der Konzernspitze vorgelebt und "durchgezogen" wird.

Nachhaltigkeit ist doch auch ein Modebegriff geworden, mit dem sich viel "verkaufen" lässt.

Das Konzept der Nachhaltigkeit wurde schon im 18. Jahrhundert entwickelt, als für den Betrieb der Silberminen in Sachsen die Waldbestände abgeholzt wurden. Dadurch kam der lokalen Bevölkerung die Lebensgrundlage abhanden. Erst dann kam die Einsicht, dass nur so viel Holz geschlagen werden sollte, wie nachwachsen kann. Der Begriff ist aber in der Tat ein wenig abgedroschen. Und klar ist auch: Nachhaltigkeit wird Mainstream. Die gros¬sen Firmen waren die ersten, die Nachhaltigkeitsberichte verfassten. Ich glaube, es wird noch etwa fünf Jahre dauern, bis das alle kotierten Firmen machen werden.

Der Sanitärhersteller Geberit ist für Sie ein Beispiel für Nachhaltigkeit.

Ja, in dieser Firma wird entlang der gesamten Wertschöpfungskette kontinuierlich daran gearbeitet, Ressourcen und Kosten zu sparen. So können die Produkte kostengünstiger produziert werden und sind ressourcenarm im Verbrauch. Geberit positioniert sich bewusst als Nachhaltigkeits-Leader und profitiert dadurch von Marktchancen, die sich für ressourceneffiziente Produkte ergeben. Dieses Unternehmen setzt Nachhaltigkeit als Business exemplarisch um.

Ist Novartis mit seinem Vergütungssystem ein schlechtes Beispiel für ein nachhaltig geführtes Unternehmen?

Novartis macht vieles gut auf der Produktions- und Pricing-Ebene, gerade auch in Schwellenländern. Aber aus Governance-Sicht bietet der "Vergütungsfall Vasella" natürlich Angriffsfläche, wobei man diese Vergütungspraktiken sicher nicht auf das ganze Unternehmen übertragen kann. Der Fall Novartis/Vasella zeigt, wie eine Firma durch ungenügende Governance erhebliche Reputationsschäden erleiden kann.

Ist Nachhaltigkeit bei institutionellen Investoren überhaupt gefragt?

Ja, ganz klar. Allerdings kommt so genanntes "Gutmenschentum" weniger gut an, denn bei institutionellen Investoren wie auch bei den meisten Privatanlegern hat die Rendite oberste Priorität. Das gilt vor allem für Pensionskassen, welche keine Renditeeinbussen eingehen wollen und können. Man muss diesen Anlegern also Produkte präsentieren, die Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen und eine überzeugende Rendite bringen. Dann rennt man offene Türen ein.

Wie verhält es sich mit der Performance von nachhaltigen Anlagen?

Die oft proklamierte Underperformance von nachhaltigen Anlagen ist nicht gegeben. Das beweisen zahlreiche Untersuchungen. Eine aktuelle Studie der Harvard Business School verglich die Unternehmen, welche Nachhaltigkeitskriterien in Strategie und Prozessen berücksichtigen, mit Firmen ohne solche Prinzipien über knapp 20 Jahre. Die Aktien der "guten" Unternehmen erzielten gegenüber denjenigen der "schlechten" Unternehmen eine deutliche Outperformance von knapp 50 Prozent.

Wie sollen Privatanleger via Fonds Nachhaltigkeit berücksichtigen?

Ich würde generell Themeninvestments empfehlen.

Also zum Beispiel Wasser?

Ja, allgemein Themen mit Ressourcen- und Energieeffizienz. Das sind Megatrends. Schauen Sie sich all die neuen Städte an, die gerade in China gebaut werden. Die haben alle ein Problem mit der Beschaffung von sauberem Wasser und reiner Luft.

Wie kam Ihre Firma eigentlich zum Thema Nachhaltigkeit?

Wir fingen mit nachhaltigen Immobilien an. Wir sind ein Vermögensverwalter und haben Anlageprodukte mit klaren Nachhaltigkeitsvorgaben. Wir sind dabei, einen Fonds mit dem Thema Ressourceneffizienz sowie einen mit Fokus auf nachhaltige Unternehmen im Energiesektor aufzulegen.

Wie beurteilen Sie das Anlageumfeld?

Wir hatten ein wahnsinnig gutes Aktienjahr 2013. Gerne vergisst man das Schuldenproblem, und die nächste Krise kommt sicher. Dennoch glaube ich an eine Fortsetzung der laufenden Aktienhausse. Es gibt ja kaum Alternativen. Ich empfehle, in nachhaltig gemanagte Unternehmen zu investieren, die hohe Cashflows generieren.

Legen Sie auch so Ihr Geld an?

Bei Einzelaktien schaue ich tatsächlich auf diese Kriterien. Andererseits halte ich schon lange Schwellenländer-Investments. Hier glaube ich vor allem an Asien. Daneben bin ich in Schweizer Immobilien investiert und insbesondere auch in sämtliche Anlageprodukte unserer Firma.

Sie haben ein Buch über nachhaltige Anlagen geschrieben. Welche Bücher lesen Sie privat?

Derzeit "Die Kunst des klugen Handelns" von Rolf Dobelli, denn Denkfehler lauern überall. Davor las ich ein Buch zum Feminismus. Es ging um die Frage: Was haben Frauen durch den Feminismus gewonnen und was verloren? Gewonnen haben wir politische Rechte, Selbstbestimmung und berufliche Möglichkeiten, dafür hilft einem heute kaum mehr jemand in den Mantel.


Mirjam Staub-Bisang (43) doktorierte an der Universität Zürich in Jurisprudenz. Es folgten die Ausbildung zur Rechtsanwältin und der MBA-Abschluss am INSEAD in Fontainebleau. Nach Positionen unter anderem bei Merrill Lynch und Commerzbank in London gründete sie mit ihrem Bruder Roman Staub 2005 die Firma Independent Capital Management mit Sitz in Zürich. Mirjam Staub-Bisang verfasste das Standardwerk "Nachhaltige Anlagen für institutionelle Investoren" (NZZ 2011). Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.