Im Dezember 2024 gelang es der Schweizerischen Nationalbank (SNB), mit einem Jumbo-Zinsschritt von 0,50 Prozentpunkten den Spekulationen um Negativzinsen und einer stärkeren Frankenaufwertung den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Diese Entspannung war allerdings nur von kurzer Dauer. Im März senkte die SNB den Leitzins erneut um 0,25 Prozentpunkte, und aufgrund der neuerlichen Frankenstärke und dem Zoll-Chaos seit dem «Liberation Day» Anfang April hat die Diskussion um negative Leitzinsen wieder deutlich an Fahrt aufgenommen.
Die von cash.ch befragten Ökonomen von J. Safra Sarasin, Nomura, Pictet Asset Management, Raiffeisen oder UBS erwarten mindestens eine Leitzinssenkung um 0,25 Prozentpunkte auf 0,00 Prozent an der geldpolitischen Lagebeurteilung der SNB am 19. Juni.
Wirklich einer Meinung, wie weit die SNB gehen wird, sind sich die Ökonomen aber nicht. Alexander Koch von der Raiffeisenbank schliesst einen Zinsschritt um 0,50 Prozent nicht aus. «Einige Beobachter erwarten, dass die SNB einen klaren Schnitt vollzieht und gleich ins Negative wechselt. Dies ist durchaus vorstellbar. Eine Notsituation für einen grossen Schritt besteht allerdings nicht.»
Nikolay Markov von Pictet Asset Management ist der dezidierten Meinung, die SNB sollte im Juni den Leitzins um 0,50 Prozent in den negativen Bereich drücken. Damit wäre für den Pictet-Ökonomen der Zinssenkungszyklus abgeschlossen. Seiner Berechnung zufolge signalisiert einerseits eine fünfprozentige Aufwertung des Frankens - so wie sie seit Anfang 2025 eingetreten ist - eine kritische Schwelle, welche eine zinsäquivalente Reaktion von 25 Basispunkten auslösen sollte.
Da sich die Schweiz mitten in den Handelsverhandlungen mit den USA befindet, sind andererseits Deviseninterventionen tabu. Die SNB möchte nicht für ein mögliches Scheitern der Handelsgespräche zwischen der Schweiz und den USA verantwortlich gemacht werden, falls diese plötzlich durch zu starke Devisenmarktinterventionen gefährdet werden.
«Unterm Strich bleibt der Nationalbank nur der Zinskanal. Er liegt nahe der Nullzinsgrenze, wo die Geldpolitik nicht sehr effektiv ist. Deshalb steuern wir auf einen Liquiditätsengpass zu. Effektiver wäre daher eine deutliche Zinssenkung, um die Deflationsdynamik aus dem Ausland nachhaltig zu brechen», erläutert Markov von Pictet.
Sinkt der Leitzins noch tiefer in den negativen Bereich?
Die Nomura-Ökonomin Josie Anderson sieht in ihrem Basisszenario vor, dass die SNB Negativzinsen von -0,25 Prozent erst im September 2025 einführt - anlässlich der dritten geldpolitischen Lagebeurteilung in diesem Jahr.
Eine weitere Zinssenkung bis Ende 2025 unter minus 0,25 Prozent ist für die Nomura-Ökonomin dabei durchaus denkbar. Bleibt der Franken wegen der geopolitischen und handelspolitischen Unsicherheiten stark, könnten wiederum niedrigere Importpreise eine noch stärkere Deflation auslösen. «Sollten Schweizer Exporteure zudem mit höheren US-Zöllen konfrontiert werden als erwartet - entweder weil es den Behörden nicht gelingt, den ‹gegenseitigen› Zollsatz von 31 Prozent zu senken, oder weil die USA Arzneimittelzölle erheben - dürfte dies unserer Ansicht nach das BIP-Wachstum beeinträchtigen, was eine weitere Lockerung der Leitzinsen nach sich ziehen könnte.»
Weiter in der Zukunft sieht UBS-Chefökonom Daniel Kalt allfällige Negativzinsen und meint: «Wir gehen nicht davon aus, dass die SNB ihre Zinsen in diesem Jahr in den negativen Bereich bringt, würden aber negative Zinsen in den kommenden Quartalen keineswegs ausschliessen.»
Wenn die SNB wieder Negativzinsen einführt, dann wahrscheinlich als Reaktion auf erneuten Franken-Aufwertungsdruck bei sehr tiefer Inflation oder Deflation und schwachem Wachstum, meint der UBS-Ökonom weiter. Es sei jedoch schwierig, das Wechselkursniveau zu bestimmen, bei dem die SNB einen negativen Leitzins für notwendig erachtet.
Derzeit erscheint der Euro gegenüber dem Schweizer Franken zwar unterbewertet, aber der US-Dollar ist überbewertet. Das verringert die Argumente für negative Zinssätze. «Damit die SNB ihren Leitzins wieder auf -0,75 Prozent senkt, müsste die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Zinssatz vermutlich zügig deutlich unter 2 Prozent bringen», so der UBS-Experte. Im Extremfall, wenn der EZB-Leitzins in die Nähe von null oder sogar in den negativen Bereich fallen sollte, wäre dann auch ein SNB-Leitzins unter -0,75 Prozent denkbar.
Ein Ökonom erwartet vorerst keinen Negativzins
Mit Karten Junius, Chefökonom von J. Safra Sarasin, sieht ein Ökonom vorerst keine Negativzinsen auf die Schweiz zukommen. «Die Märkte erwarten bis September eine Lockerung um 50 Basispunkte. Wir halten das für zu viel. Unserer Ansicht nach wird die SNB den Leitzins im Juni um 25 Basispunkte auf null senken und ihn danach unverändert beibehalten.»
Der inländische Inflationsdruck entspricht dem Zielkorridor der SNB, was die Dringlichkeit tieferer Zinssenkungen verringert, meint Junius, der in der Vergangenheit bei seinen Prognosen zu den Zinsentscheidungen oft richtig lag. Die aussenpolitischen Unsicherheiten seien nach wie vor sehr hoch, was kleine Schritte gegenüber grösseren begünstigt - da diese möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt rückgängig gemacht werden müssen. Wie die UBS schliesst Junius von J. Safra Sarasin weitere Lockerungen nicht aus.