Die Valoren von Nestlé, Roche und Novartis werden in Börsenkreisen gerne in denselben Topf geworfen. Auch wenn sich das Tagesgeschäft der beiden Pharmakonzerne aus Basel grundlegend von jenem des Nahrungsmittelmultis aus Vevey unterscheidet, gilt es bei allen drei Firmen als krisensicher. Dadurch sind die Schwergewichte aus Anlegersicht oft der ideale Zufluchtsort, wenn die konjunkturelle See - wie zuletzt - rauer wird. Das hilft dann jeweils auch dem Swiss Market Index (SMI), stellen die drei Grossunternehmen doch mehr als die Hälfte der Gesamtkapitalisierung.

Wer nun aber denkt, dass sich die drei Valoren im laufenden Jahr im Gleichschritt entwickelt haben, der irrt. Denn während die Novartis-Aktie als zweitbester SMI-Titel seit Januar auf ein Plus von gut 6 Prozent kommt, errechnet sich bei jener von Nestlé ein Minus von rund 14 Prozent. Damit liegt sie in etwa gleichauf mit dem SMI. Beim Genussschein von Roche beträgt das Minus sogar rund 20 Prozent. Dass sich an dieser Zwischenbilanz bis Ende Dezember noch gross etwas ändert, ist eher unwahrscheinlich.

Kein leichtes Erbe für den neuen Roche-Chef

Wichtiger als der Blick in den Rückspiegel ist allerdings der Blick nach vorn. Die Gewinner von gestern sind nämlich nicht zwangsläufig auch die Gewinner von morgen. Gerade in schwierigen Börsenphasen entscheiden nicht selten firmenspezifische Gegebenheiten über Erfolg und Misserfolg. Und da unterscheidet sich die Ausgangslage der die drei Unternehmen grundlegend.

Wenn Thomas Schinecker Mitte März den langjährigen Roche-Chef Severin Schwan ablöst, tritt er kein einfaches Erbe an. Dies nicht nur wegen Schwan selber. Noch immer nagen günstigere Nachahmerpräparate bei früheren Verkaufsschlagern wie Avastin, Rituxan oder Herceptin nach Ablauf des Patentschutzes an den Roche-Umsätzen. Umso mehr ist der künftige Firmenchef darauf angewiesen, dass sich "junge" Produkte wie etwa das MS-Mittel Ocrevus oder das Hämophiliemedikament Hemlibra gut verkaufen.

Noch bis vor wenigen Wochen rankten sich die Hoffnungen auch um Gantenerumab. Allerdings schnitt das Alzheimermittel in Studien nur unwesentlich besser als Placebo ab. Einige Analysten hatten sich mit Gantenerumab in der Spitze einen Jahresumsatz von bis zu 10 Milliarden Dollar erhofft. Das wiederum wäre bei einem für dieses Jahr erwarteten Gruppenumsatz von 67 Milliarden Franken mehr als bloss ein Apropos gewesen. Umso mehr fällt mit dem Alzheimermittel nicht nur ein wichtiger Hoffnungs-, sondern eben auch ein wichtiger künftiger Wachstumstreiber weg.

Hat Novartis die Wachstumsflaute überwunden?

Dass das Pharmageschäft von Roche in den ersten neun Monaten 2022 stagnierte, sagt eigentlich schon alles. Gleichzeitig gingen den Baslern im Diagnostikgeschäft pandemiebedingte Umsätze verloren. Wer sich anlässlich der Veröffentlichung der Neunmonatsumsatzzahlen eine Erhöhung der diesjährigen Finanzziele erhofft hatte, wurde jedenfalls enttäuscht. Zu allem Unglück hat sich mit Bill Anderson nun auch der bisherige Chef des Pharmageschäfts dazu entschlossen, das Unternehmen Ende Jahr zu verlassen.

Der Platzrivale Novartis scheint die Wachstumsflaute hingegen überwunden zu haben. Der Pharmakonzern geht für dieses Jahr von einem mittleren einstelligen Wachstum beim Umsatz sowie beim operativen Kerngewinn aus. Da sich wichtige Medikamente wie etwa das Herzmedikament Entresto, der Cholesterinsenker Leqvio oder das MS-Mittel Kesimpta zuletzt besser als gedacht verkauften, könnte sich das Wachstum im kommenden Jahr weiter beschleunigen. Bremsen könnte höchstens das ebenfalls bei Multipler Sklerose zur Anwendung kommende Gilenya. Dieses hat erst kürzlich den Patentschutz verloren. Ausserdem verkauft sich die einst teuer erworbene Gentherapie Zolgensma nicht ganz so gut wie erhofft.

Alcon bekommt die Unabhängigkeit von Novartis gut; gilt das auch für Sandoz? (Quelle: www.cash.ch)

Auch sonst verspricht 2023 ein spannendes Jahr für Novartis zu werden, will sich Firmenchef Vas Narasimhan kommenden Herbst von Sandoz trennen. Nach dem Vorbild von Alcon soll auch Sandoz abgespaltet und die Aktien des Tochterunternehmens an die Aktionärinnen und Aktionäre ausgeschüttet werden. Vorschusslorbeeren von der Börse gab es bisweilen kaum, hatten sich nicht eben wenige Analysten doch eigentlich eher einen gewinnbringenden Verkauf von Sandoz ins Ausland erhofft.

Nestlé mit klaren Vorstellungen von der Zukunft

Der Aktie eine wichtige Stütze dürfte das milliardenschwere Aktienrückkaufprogramm über eine zweite Handelslinie bleiben. Für knapp 7 der ursprünglich vorgesehenen 15 Milliarden Dollar können die Basler noch immer eigene Aktien zurückkaufen. Diese Mittel stammen aus dem Verkauf der Roche-Beteiligung an den Rivalen. Dieser vernichtete die erworbenen Inhaberaktien damals, was zu einer Gewinnverdichtung führte.

Ein vergleichbares Aktienrückkaufprogramm hat auch Nestlé am Laufen. Am diesjährigen Investorentag bestätigte Firmenchef Mark Schneider die Absicht, bis Ende 2024 für insgesamt 20 Milliarden Franken eigene Aktien erwerben zu wollen. Schneider soll kommenden Frühling übrigens in den Verwaltungsrat von Roche gewählt werden.

Titel KGV 2023* Dividendenrendite 2022
Roche 15,6 3,1 Prozent
Novartis 14,6 3,6 Prozent
Nestlé 21,6 2,5 Prozent

* Schätzungen für das Kurs-Gewinn-Verhältnis von Morgan Stanley und Goldman Sachs

Die neuen Mittelfristziele zeigen die Ambitionen des Nahrungsmittelmultis aus Vevey. Angestrebt wird ein organisches Umsatzwachstum im mittleren einstelligen Prozentbereich. Der Gewinn je Aktie soll jährlich sogar zwischen 6 und 10 Prozent gesteigert werden. Zum Vergleich: Für 2022 geht das Unternehmen von einem organischen Umsatzwachstum zwischen 8 und 8,5 Prozent bei einer operativen Marge von um die 17 Prozent an.

Wie aus Analystenkreisen verlautet, könnte sich das breit abgestützte und allseits bekannte Markenportfolio für Nestlé im Fall eines Wirtschaftsabschwungs von Vorteil sein. Ausserdem war es den Westschweizern in den vergangenen knapp zwei Jahren möglich, steigende Herstellkosten über Preiserhöhungen an die Kundschaft weiterzugeben. Andere Anbieter bekundeten da deutlich mehr Mühe.

Nestlé-Aktie mit den meisten Kaufempfehlungen

Die Qualitäten von Nestlé spiegeln sich jedoch bereits in der Bewertung wieder. So weist die Aktie auf den nächstjährigen Gewinnerwartungen der Analysten einen Aufschlag von rund 25 Prozent gegenüber vergleichbaren Nahrungsmittelherstellern auf. Auch die Dividendenrendite in Höhe von 2,5 Prozent reisst niemanden vom Hocker, obwohl die milliardenschweren Aktienrückkäufe eigentlich aufgerechnet werden müssten.

Für Experten von Analysehäusern und Banken steht jedoch fest, dass die Nestlé-Aktie im nächsten Jahr die Nase vorn haben dürfte. Kaum ein Analyst, der das Schwergewicht momentan nicht zum Einstieg anpreist. Das höchste Kursziel für die Aktie hat mit 140 Franken (derzeit: 110 Franken) Vontobel ausstehend. Die Zürcher Bank zählt die Nestlé-Aktie denn auch zu den nächstjährigen Favoriten für den Schweizer Aktienmarkt – gemeinsam mit dem Genussschein von Roche und 13 weiteren Titeln (cash berichtete). Aussen vor bleibt die Novartis-Aktie.