Bei der Halbjahresbilanz von Nestlé rückt die Frage in den Mittelpunkt, ob der Nahrungsmittelkonzern seine Wachstumsversprechen trotz eines schwierigen Konsumumfelds einhalten kann. Bei der Profitabilität muss der Konzern wohl Abstriche machen. Der Halbjahresbericht gilt entsprechend als Belastungstest für den Ausblick. Insgesamt rechnen die Analysten aber mit einem soliden Ergebnis.

Konkret erwarten die acht Analysten, die zum AWP-Konsens beigetragen haben, einen Umsatz von 44,5 Milliarden Franken nach 45 Milliarden Franken im ersten Halbjahr 2024. Die EBIT-Marge dürfte von 17,4 Prozent auf 16 Prozent fallen und der Reingewinn wird auf 4,945 Milliarden Franken geschätzt - das sind 700 Millionen Franken weniger als im Vorjahressemester.

Das organische Wachstum dürfte laut der Mehrheit der Analysten im zweiten Quartal leicht über dem Vorquartal gelegen haben: 3 Prozent im Vergleich zu 2,8 Prozent im Vorjahresquartal. Getrieben wurde dies fast ausschliesslich von Preiserhöhungen insbesondere in den Sparten Kaffee mit Nespresso und Schokoladen-Süsswaren wie Kitkat. Die angekündigten Aufschläge dürften erstmals vollständig gewirkt haben. Fürs erste Halbjahr wird das organische Wachstum bei 2,9 Prozent geschätzt.

Das Volumenwachstum (RIG) blieb wohl marginal oder negativ, belastet durch eine schwache US-Konsumentennachfrage. Im Durchschnitt werden 0,2 Prozent erwartet, die Schätzungen reichen von minus 0,1 Prozent bis plus 0,4 Prozent. 

Hohe Unsicherheit in Nordamerika

Im ersten Quartal 2025 war Nestlé zum vierten Mal in Folge noch ein Mengenwachstum gelungen. Zuletzt war aber gerade im wichtigsten Markt, Nordamerika, der 35 Prozent des Umsatzes ausmacht, angesichts der US-Zollpolitik respektive deren Folgen und Unsicherheiten die Lust auf Schoggi und Kaffee gedämpft.

Im Fokus steht auch die Profitabilität, die wegen höherer Rohstoffpreise für Kaffee und Kakao, bewusst gestiegener Marketingkosten für die Nestlé-Kernmarken sowie negativer Währungseffekte unter Druck ist. Bei der bereinigten EBIT-Marge liegen die Schätzungen inzwischen am unteren Ende des von Nestlé ausgegebenen Jahreszieles von 16 Prozent oder mehr. 

Die meisten Analyse-Häuser rechnen aber damit, dass Nestlé den Jahresausblick bestätigt. Optimistisch sind die Analysten unter anderem wegen Fortschritten bei der Kosteneffizienz und der Umsetzung der Preisstrategie.

Für Impulse bei Anlegern könnte am Donnerstag auch Neuigkeiten über mögliche Partnerschaften im Wassergeschäft sorgen. Mit der Angelegenheit vertraute Personen erklärten zuletzt allerdings, dass man angesichts der offenen Fragen und Probleme in Frankreich um die Filterung von Mineralwasser bei den Gesprächen auf die Bremse getreten sei. 

Nestlé sucht für die seit Anfang Jahr in einer eigens geführten Geschäftseinheiten einen Partner, einen Komplettverkauf schloss CEO Laurent Freixe bislang aus. Das Wassergeschäft mit 3,2 Milliarden Franken Umsatz macht bei Nestle rund 3,5 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Die Zürcher Kantonalbank schätzt den Unternehmenswert der Sparte auf mindestens 5 Milliarden.

Ausblick: Fortsetzung der Verbesserungen und Einsparungen

Für 2025 stellte das Management im April für das Gesamtjahr weiter eine Verbesserung des organischen Umsatzwachstums gegenüber 2024 in Aussicht. Es soll «in einem normalen Geschäftsumfeld 4 Prozent plus» betragen. Die zugrunde liegende operative Ergebnismarge soll bei 16,0 Prozent oder höher liegen. Mittelfristig will Nestlé wieder zu Werten von über 17 Prozent zurückkehren.

Der Nahrungsmittelmulti will bis Ende 2027 Einsparungen von 2,5 Milliarden Franken realisieren. Um Geld für geplante Investitionen respektive mehr Marketing für die Wachstumstreiber freizuschaufeln, setzt das Management neben allgemeinen Effizienzsteigerungen beim Einkauf an. Der Grossteil der Kostenreduktionen soll dort rasch realisierbar sein.

Vorsichtige Investoren

Die Nestlé-Aktien sind seit Anfang Jahr unter dem Strich bislang um etwa 4 Prozent gestiegen, während der starke Gesamtmarkt gemessen am SMI fast genauso viel im Plus steht. Im Februar setzten die Papiere vorübergehend zu einem Höhenflug an. Sie zählten zu den Favoriten unter den Blue Chips. 

Kursverlauf der Nestlé-Aktien in Franken.

Profitiert hatte Nestlé kurzzeitig von neuem Optimismus nach einem guten Geschäftsgang und angesichts der Börsenturbulenzen rund um die Zoll-Politik von US-Präsident Donald Trump von einer Flucht der Anleger in sichere Anlagen. Seit Ende Mai geht es aber wieder kontinuierlich abwärts - im Gleichschritt mit der Konkurrenz wie Unilever und Danone -, und die Papiere nähern sich dem Stand von Anfang Jahr an. Im letzten Jahr gehörten sie mit einem Minus von rund 23 Prozent zu den schwächsten Blue Chips.

Das Investoren- und Analystensentiment gegenüber Nestlé ist deshalb weiterhin vorsichtig. Zwar raten elf Experten zum Kauf der Nestlé-Papiere, doch trotz niedriger Bewertung sind weiterhin zehn Analysten mit einem Halten und zwei mit einem Verkaufen deutlich vorsichtiger. Im Durchschnitt wird ein Kurs von gut 90 Franken angepeilt. Das entspricht einem Gewinnpotenzial von rund 15 Prozent.

(AWP/cash)