Israel werde für eine unbestimmte Zeit die Sicherheit im Gazastreifen garantieren müssen, sagte Netanjahu dem US-Sender ABC. Man habe erlebt, was passiere, wenn dies nicht der Fall sei. In Gaza-Stadt spitzte sich die Lage unterdessen am Dienstag zu: Das israelische Militär gab den dort noch verbliebenen Zivilisten vier Stunden Zeit zur Flucht. Panzer seien in Position, um die Stadt einzunehmen, kündigte die Armee an.

Netanjahu lehnte in den TV-Interview eine Waffenruhe erneut ab, signalisierte aber Bereitschaft zu kürzeren Feuerpausen, um die Menschen im Gazastreifen mit dem Nötigsten zu versorgen. Eine Waffenruhe komme allenfalls in Frage, wenn die Hamas die verschleppten Geiseln freiliesse. «Was die taktischen kurzen Pausen angeht - eine Stunde hier, eine Stunde dort - die haben wir schon gehabt», fügte er aber hinzu. Man könne die Umstände prüfen, damit humanitäre Güter in den Gazastreifen gelangen oder einzelne Geiseln herauskommen könnten.

Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen sind bei dem israelischen Vergeltungsfeldzug für das Massaker vom 07. Oktober bislang mindestens 10.328 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet worden, darunter seien 4237 Kinder. Viele Verbündete Israels, darunter auch die USA, fordern eine Feuerpause, um humanitäre Hilfe leisten zu können. Netanjahu hatte dies bislang kategorisch abgelehnt. Vor einem Monat stürmten Hamas-Kämpfer israelisches Territorium und töteten rund 1400 Menschen, die meisten davon Zivilisten. Zudem wurden 240 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel führt seitdem einen Feldzug gegen die Hamas mit dem erklärten Ziel, die Organisation mit Hauptsitz in Gaza-Stadt zu vernichten.

«Zu Ihrer eigenen Sicherheit, nutzen Sie diese Gelegenheit und bewegen Sie sich Richtung Süden jenseits von Wadi Gaza», forderte das israelische Militär die Bewohner von Gaza-Stadt auf. Wadi ist ein Sumpfgebiet etwa in der Mitte des Küstenstreifens. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Innenministeriums in Gaza halten sich noch rund 900.000 Menschen im Norden des Streifens einschliesslich von Gaza-Stadt auf. Das israelische Militär veröffentlichte ein Video, auf dem Palästinenser mit weissen Fahne zu sehen sein sollen, die Richtung Süden ziehen. Die Hamas erklärte, die israelische Armee habe die Menschen dazu gezwungen. Im Gazastreifen lebten vor Beginn des Krieges etwa 2,3 Millionen Menschen.

Nach palästinensischen Angaben wurden bei israelischen Luftangriffen am Dienstagmorgen im Süden des Gazastreifens mindestens 23 Menschen getötet. Ziel seien die Städte Chan Junis und Rafah gewesen, wo der Grenzübergang zu Ägypten liegt, teilte die Gesundheitsbehörde mit. «Das ist die Tapferkeit des sogenannten Israels», sagte ein Mann, der aus den Trümmern seines Hauses in Chan Junis gerettet wurde. «Sie zeigen ihre Macht und Stärke gegen Zivilisten, Babys da drinnen, Kinder da drinnen und ältere Menschen.» In Chan Junis allein wurden den Angaben zufolge elf Menschen getötet.

Israel hatte seine Truppen und Siedler 2005 aus dem Gazastreifen abgezogen und das Gebiet den Palästinensern überlassen. Die Hamas übernahm zwei Jahre später die Kontrolle, nachdem sie die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) von Präsident Mahmud Abbas entmachtet hatte. Die PA regiert seitdem eingeschränkt im Westjordanland, das teilweise von Israel besetzt wird. Der israelische Abgeordnete Simcha Rothman von Netanjahus regierender Koalition stimmte dem Ministerpräsidenten in dessen Aussagen zu: «Nur die volle Kontrolle Israels und die komplette Demilitarisierung des Streifens wird die Sicherheit wieder herstellen», schrieb Rothman in Sozialen Medien.

Die USA als grösste Schutzmacht Israels sehen das allerdings skeptisch. «Das ist nicht gut für Israel, das ist nicht gut für das israelische Volk», sagte Präsidialamtssprecher John Kirby. US-Aussenminister Antony Blinken habe bei seinem jüngsten Besuch in der Region auch darüber gesprochen, wie Gaza künftig regiert werden könnte, führte Kirby allerdings im US-Sender CNN aus und betonte: «Was auch immer es sein wird, es kann nicht so sein wie am 06. Oktober, es kann nicht Hamas sein.»

(Reuters)