Denn die Rechtspartei liegt nach den jüngsten Erhebungen bei mehr als zehn Prozent. Sie könnte ihr bestes Ergebnis überhaupt in dem nördlichen Bundesland einfahren, in dem Wähler bisher traditionell radikalen Links- und Rechtsparteien nur wenige Stimmen gaben. Als Grund nennen die Demoskopen vor allem die Energiekrise, die den gesamten Wahlkampf in Niedersachsen bestimmt hat.
Die Spitzenkandidaten von SPD, CDU, Grüne und FDP machen jedenfalls nach eigenen Angaben an den Wahlständen die Erfahrung, dass sich die Menschen weniger für regionale Themen und Probleme interessieren, sondern vor allem für die Frage, wie sie angesichts explodierender Strom- und Gasrechnungen durch den Winter kommen. Die Meinungsforschungsinstitute von Forsa bis infratest dimap rechnen deshalb damit, dass die Wahl auch ein Votum der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit der Ampel-Koalition in Berlin wird. Es ist der letzte Stimmungstest auf Landesebene in diesem Jahr.
Ministerpräsident favorisiert rot-grün
Auch wenn die AfD stark abschneiden sollte - die Proteststimmen für die Partei werden in Niedersachsen wenig Auswirkung auf die Regierungsbildung haben, weil niemand mit der Rechtsaussen-Partei koalieren will. Laut Forsa-Chef Manfred Güllner kommen offenbar viele der AfD-Stimmen aus dem Bereich der Nicht-Wähler.
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) setzt darauf, nach der Wahl mit den Grünen regieren und die bisherige Koalition mit der CDU beenden zu können. Laut Umfragen gilt dies auch als die wahrscheinlichste Variante, weil die SPD konstant über 30 Prozent liegt und die Grünen zuletzt bei rund 16 Prozent. Wirkliche Begeisterung löst diese angestrebte Konstellation bei den Wähler aber offenbar nicht aus: Bei den Fragen nach den beliebtesten Regierungskonstellationen wird ein Bündnis aus SPD und Grüne zwar an erster Stelle genannt, aber nur relativ knapp vor einer Fortsetzung der bisherigen rot-schwarzen Koalition. Während die SPD in den letzten Tagen des Wahlkampfes auf einen Amtsinhaber-Bonus des in Umfragen beliebten Ministerpräsidenten setzt, gilt als Unsicherheitsfaktor für ein rot-grünes Bündnis, dass die Grünen in den vergangenen Tagen wie im Bundestrend deutlich an Zustimmung verloren haben.
Sollte es für Rot-Grün nicht reichen, die SPD aber stärkste Partei werden, hätte Weil die Option, das Bündnis mit CDU-Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann fortzusetzen - oder aber bei einem Wiedereinzug der FDP in den Landtag eine Ampel anzupeilen. Althusmann wiederum hat als Option, mit der SPD weiter zu regieren oder aber mit Grünen und FDP ein Jamaika-Bündnis zu bilden. Denn für eine Zweierkoalition mit der Ökopartei reichen die Stimmen der beiden Parteien laut Umfragen nicht aus. Zudem hat Grünen-Spitzenkandidatin Julia Hamburg klar gesagt, dass die SPD ihr bevorzugter Partner sei.
FDP muss kämpfen
Gerade weil dies die Koalitionsoptionen verändern könnte, gilt ein Teil der Aufmerksamkeit am Wahlabend der FDP - die nach Ansicht von Stefan Merz von infratest dimap am stärksten unter der Unzufriedenheit mit der Ampel in Berlin zu leiden hat. "Dieser Unmut trifft alle drei Ampel-Parteien, aber die Unzufriedenheit mit der Arbeit der FDP ist am grössten", sagt er zu Reuters. Konservativ orientierte Wähler würden daher eher die CDU stärken. Ob die FDP-Wähler das Festhalten von Finanzminister Christian Lindner und Spitzenkandidat Stefan Birkner an der Schuldenbremse belohnen oder eher kritisch sehen, ist unklar - denn gerade die kleinen Gewerbetreibenden, die als FDP-Wähler gelten, fordern derzeit lautstark staatliche Hilfen gegen die hohen Gas- und Strompreise. Sollten die Liberalen die Fünf-Prozent-Hürde nicht überspringen, gelten parteiinterne Debatten über den Kurs der Partei als sicher.
CDU und FDP haben versucht, die Wahl auch zu einem Votum über den weiteren Betrieb des Atomkraftwerks Lingen über Jahresende hinaus zu machen. Dahinter steckt das Kalkül, dass laut Forsa 72 Prozent der Niedersachsen gegen eine Abschaltung der noch laufenden drei Kernkraftwerke sind. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) versucht, einen Kompromiss zu finden, indem er die beiden Atommeiler in Süddeutschland bis April weiter laufen lassen möchte - das in Lingen aber wie von den Niedersachsen-Grünen gefordert abschalten will.
(Reuters)