Angesichts historisch niedriger ausländischer Direktinvestitionen sieht das arbeitgebernahe Institut IW Gefahren für den Wirtschaftsstandort Deutschland heraufziehen. Es verweist auf jüngst veröffentlichte Daten der Bundesbank, die für Januar bis Juni nur ein Volumen dieser für die Attraktivität des Wirtschaftsraums relevanten Investitionen von 3,5 Milliarden Euro ausweisen. «Noch nie seit fast 20 Jahren waren die Direktinvestitionszuflüsse aus dem Ausland in einem ersten Halbjahr so niedrig wie in diesem Jahr», sagte IW-Experte Jürgen Matthes am Dienstag. Wenn der Hauptgrund für die schlechten Zahlen der Zweifel an der Standortqualität sei, sei es nicht besonders wahrscheinlich, dass sich dies im zweiten Halbjahr ändern werde.

Zudem habe es bei vielen der geplanten Grossinvestitionen wie etwa dem geplanten Intel-Werk in Magdeburg noch nicht einmal einen erste Spatenstich gegeben. «Und wir wissen ja alle, wie lange sich Bauprojekte hinziehen», gibt der Leiter Themencluster Globale & Regionale Märkte beim Kölner IW zu bedenken. Derzeit planen laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck etwa zwei Dutzend Unternehmen hierzulande Grossinvestitionen mit einem gesamten Volumen von rund 80 Milliarden Euro - darunter etwa das geplante Werk des Chipherstellers Infineon in Dresden oder das Halbleiterwerk, das der US-Konzern Wolfspeed im Saarland bauen will.

Direktinvestitionen - im Fachjargon Foreign Direct Investment (FDI) genannt - sind grenzüberschreitende Vermögensanlagen in Unternehmen mit dem Ziel, die Geschäftstätigkeit langfristig zu beeinflussen. Dazu zählen vor allem Übernahmen, Neugründungen, Reinvestitionen von Gewinnen und Kredite zwischen verbundenen Unternehmen über Ländergrenzen hinweg. Bundeskanzler Olaf Scholz hat jüngst in seiner sogenannten «Ruck-Rede» im Bundestag klargemacht, dass ein neues Konjunkturprogramm trotz der lahmenden Wirtschaft für ihn nicht infrage komme. Er verwies darauf, dass die Bundesregierung in zahlreichen Bereichen Rekordsummen für Investitionen anbiete. Ökonom Matthes hinterfragt diese Sicht: «Wenn Bundeskanzler und Wirtschaftsminister die angebliche Standortattraktivität Deutschlands loben, dann kann sich das nicht auf das erste halbe Jahr 2023 beziehen.» Die FDI-Zahlen zeigten das Gegenteil: «Kaum noch jemand aus dem Ausland will hier noch investieren, die Standortbedingungen sind offenbar zu schlecht dafür.»

«Exorbitante Subventionen»

Der Kanzler sieht den Industrie-Standort Deutschland nach dem milliardenschweren Abkommen mit dem US-Chipkonzern Intel für das Werk in Sachsen-Anhalt hingegen vor einer grossen Zukunft. Intel investiert dort mehr als 30 Milliarden Euro. Die Bundesregierung ist bereit, die neue Fabrik mit 9,9 Milliarden Euro zu fördern, sollte Brüssel mit Blick auf die Subventionen grünes Licht geben. «Die Lobeshymnen der Regierung beziehen sich offenbar auf Investitionsankündigungen für die Zukunft», meint IW-Experte Matthes und fügt an: «Doch wenn dabei auch die hohen Investitionen ausländischer Halbleiterfirmen gefeiert werden, dann hat das weniger mit den vermeintlich so attraktiven Standortbedingungen zu tun als mit den exorbitanten Subventionen, die Deutschland diesen Unternehmen bietet.»

(Reuters)