Der EU-Gipfel hat am Donnerstag in Brüssel über die Nutzung des eingefrorenen russischen Vermögens in der EU für die Ukraine diskutiert - aber eine Entscheidung auf Dezember vertagt. Die EU-Kommission soll nun so schnell wie möglich Optionen ausarbeiten. Nachfolgend die wichtigsten Punkte:
Um wie viel Geld geht es?
In der EU liegen Hunderte Milliarden Euro russischen Staatsvermögens, vor allem in Belgien bei dem Unternehmen Euroclear. Das Geld wurde nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 eingefroren. In der Debatte schwankt die genannte Höhe dieses Geldes zwischen 200 und 250 Milliarden Euro. Einig scheint man sich zu sein, dass mittlerweile etwa 185 Milliarden Euro in bar bei Euroclear liegen, weil die Laufzeit ihrer Anlageformen abgelaufen ist - der Betrag soll in den kommenden Monaten sogar steigen, weil dann weitere Geldanlagen auslaufen.
Bisher werden nur Erträge - etwa Zinszahlungen - aus den russischen Geldanlagen dafür verwendet, um einen 50 Milliarden-Euro-Kredit an die Ukraine zu finanzieren, aber nicht das Geld selbst. Von den 185 Milliarden Euro sollen deshalb 45 Milliarden dafür reserviert bleiben, diesen Kredit abzulösen - bleiben also 140 Milliarden Euro.
Warum beginnt die Debatte jetzt?
Deutschland hatte lange sehr reserviert auf Vorschläge zur Nutzung des eingefrorenen russischen Geldes für die Ukraine reagiert. Zum einen gab es Bedenken, dass der Finanzstandort EU leiden könnte, wenn ausländische Regierungen fürchten müssen, dass ihr Geld konfisziert wird. Zum anderen wollte man das Geld als Druckmittel auf die russische Regierung nutzen, wenn es um einen Friedensschluss und den Wiederaufbau der Ukraine geht.
Jetzt hat die Regierung ihre Position verändert - aus der Not heraus. Zum einen haben die USA unter Präsident Donald Trump ihre Hilfe für die Ukraine weitgehend gestoppt. Zum anderen haben die meisten grossen überschuldeten EU-Staaten keine Möglichkeit, höhere Militärhilfe für die Ukraine aus ihren nationalen Haushalten zu zahlen. Die Bundesregierung hat Sorge, dass Deutschland als der mittlerweile grösste Unterstützer der Ukraine ohne diesen Weg sehr viel mehr nationales Geld bereitstellen müsste. Russland soll zugleich gezeigt werden, dass die Europäer die Ukraine auch in den nächsten Jahren finanziell stützen.
Wie sollen die 140 Milliarden aktiviert werden?
Die EU-Kommission und die Bundesregierung haben ein kompliziertes Verfahren vorgeschlagen: Danach werden die liquiden Mittel genutzt, damit Euroclear Anleihen der EU-Kommission kauft und diese einlagert. Der Ukraine wiederum werden die 140 Milliarden Euro als zinslose Kredite gegeben. Diese soll das Land erst dann zurückzahlen, wenn Russland am Ende des Krieges - wie erhofft - Reparationen zahlt. Weil aber unklar ist, ob diese Rückzahlung möglich sein wird und weil auf jeden Fall eine Enteignung Russlands vermieden werden soll, sollen die 27 EU-Staaten die EU-Anleihen aus ihren nationalen Haushalten absichern. Das heisst, sie müssten einspringen, wenn die 140 Milliarden nicht zurückgezahlt würden.
Auf Deutschland käme eine Garantie in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Euro zu - weshalb wahrscheinlich auch der Bundestag seine Zustimmung geben müsste. Die Bundesregierung schlägt vor, dass diese nationalen Garantien 2028 mit dem neuen EU-Finanzrahmen in Garantien aus dem EU-Haushalt übergehen. Dort läge dann das Risiko eines Ausfalls.
Wofür sollen die 140 Milliarden Euro verwendet werden?
Die Bundesregierung besteht darauf, dass die 140 Milliarden Euro nur für das Militär ausgegeben werden sollen. Russland müsse begreifen, dass es den Krieg mit der Ukraine nicht einfach «aussitzen» oder auf einen Sieg hoffen könne, heisst es. Der militärische Finanzbedarf der Ukraine wird jährlich auf 50 bis 70 Milliarden Euro geschätzt. Mit dieser Hilfe könnte das Land also zwei, drei Jahre ohne Sorgen um eine Finanzierung des Militärs kämpfen.
Wo gibt es noch Widerstand bei der EU?
Belgiens Ministerpräsident Bart De Wever hat auf dem EU-Gipfel erneut Garantien gefordert, dass sein Land nicht alle Risiken trägt, weil Euroclear in Belgien sitzt. Alle EU-Mitglieder müssten ihren Beitrag leisten, falls das Geld zurückgezahlt werden müsse. Zudem müsse jedes Land, das russische Vermögenswerte eingefroren habe, im gleichen Tempo voranschreiten. «Wir sind die Einzigen, Euroclear ist das einzige Finanzinstitut, das die unerwarteten Gewinne an die Ukraine weitergibt», sagte De Wever. «Wir wissen, dass es in anderen Ländern, die sich dazu immer ausgeschwiegen haben, riesige Mengen an russischem Geld gibt.» Dabei geht es wie etwa in Japan aber um deutlich kleinere Milliardenbeträge, bei Deutschland um einige hundert Millionen.
Obwohl es Zeitdruck für die Finanzierung der Ukraine ab Mitte 2026 gibt, wird in EU-Kreisen mittlerweile eingeräumt, dass die juristischen Vorbereitungen des angepeilten 140-Milliarden-Kredits auch nach einer politischen Einigung der EU noch Monate dauern könnten.
Was machen die G7-Staaten?
Die Bundesregierung will das Thema auch im G7-Rahmen der westlichen grossen Industriestaaten besprechen, in dem auch der 50-Milliarden-Dollar-Kredit an die Ukraine verabredet worden war. Der Umfang des eingefrorenen russischen Staatsvermögens in Ländern wie den USA, Kanada, Grossbritannien oder Japan ist zwar deutlich geringer als der in der EU. Aber für die Euro-Zone würde eine Beteiligung dieser Länder das Risiko verringern, dass künftig weniger ausländisches Geld in Europa angelegt würde.
Was kann Russland tun?
Die russische Regierung hat Donnerstag erneut mit Gegenmassnahmen gegen Personen und Länder gedroht, sollte die EU die russischen Milliarden beschlagnahmen. Aber die Drohungen haben nur begrenzte Wirkung. Die Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zwischen Russland und der EU sind bereits drastisch zurückgefahren worden, sodass es dort kaum noch einen Hebel für Bestrafungen für Moskau gibt - was allerdings von EU-Land zu EU-Land unterschiedlich ist. Einreisesperren sind wirkungslos, weil kaum jemand Reisen nach Moskau plant oder dort Vermögen deponiert hat. Aber es gibt auch andere Drohungen: Der belgische Ministerpräsident De Wever sagte, dass der Chef des Unternehmens Euroclear mittlerweile rund um die Uhr unter Polizeischutz stehe.
(Reuters/cash)
