Deutschland sollte laut der Industriestaatenorganisation OECD die Konjunkturschwäche mit weitreichenden Reformen bekämpfen. «Es ist an der Zeit, aus dem Krisenmodus herauszukommen und an langfristige Strukturreformen zu denken», betonte OECD-Expertin Isabell Koske am Dienstag. Diese Aufforderung richte sich an viele Industrieländer, sagte die Vizedirektorin der OECD-Wirtschaftsabteilung. Doch für Deutschland sieht die Organisation eine ganze Reihe offener Baustellen - von der Digitalisierung bis hin zum Fachkräftemangel.
Es gelte, Einwanderung zu erleichtern und die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen, älteren Menschen sowie gering qualifizierten Arbeitskräften zu verbessern, sagte Koske. Auch die gemeinsame Einkommensbesteuerung von Paaren solle reformiert werden, um Frauen zu einer Ausweitung der Arbeitszeit anzuregen, so die Empfehlung der OECD an die Adresse der Regierung in Berlin.
DIW-Konjunkturexperte Timm Bönke mahnte die Politik auf dem Online-Panel des OECD Berlin Centre, «ihre Hausaufgaben» zu machen. Es gebe einen grossen Investitionsstau - etwa bei der Erneuerung der teils maroden Infrastruktur. Zudem bestehe noch immer «ein ganz grosses Problem» bei der Digitalisierung, die nur im Schneckentempo vorangehe. Und Deutschland hänge auch bei seinen Zielen für Ganztagsschulen und Kindergärten hinterher.
Auf ein Wirtschaftswunder zu setzen, sei unter diesen Bedingungen utopisch: «Wir müssen unsere Arbeitskräfte besser und effizienter einsetzen. Und Digitalisierung kann ein Schlüssel sein», sagte der Co-Leiter des Bereichs Prognose und Konjunkturpolitik im DIW Berlin.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) prognostiziert, dass die deutsche Wirtschaftsleistung dieses Jahr abnimmt - und zwar um 0,2 Prozent. Alle anderen grossen Industriestaaten ausser Argentinien dürften demnach hingegen wachsen, auch das von Sanktionen des Westens belegte Russland. Der exportorientierte Industriestandort Deutschland leidet besonders unter den hohen Energiekosten und dem mauen weltwirtschaftlichen Umfeld. Zugleich wirken sich die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank hierzulande stärker dämpfend auf die Wirtschaft aus als in anderen grossen Ländern der Euro-Zone, wie die Bundesbank herausfand. Die Wirtschaftsleistung dürfte im dritten Quartal laut der deutschen Zentralbank etwas schrumpfen. Damit würde sich die Schwächephase verlängern: Ende 2022 und Anfang 2023 war das BIP bereits jeweils geschrumpft, ehe es im Frühjahr stagnierte.
(Reuters)