Als Marc Rich 100 Millionen Dollar brauchte, um iranisches Öl zu kaufen und den später weltweit grössten Rohstoffhändler Glencore zu gründen, wandte er sich an die französische Bank Paribas. Als eine Gruppe von Händlern Bargeld benötigte, um Vitol zu übernehmen und es zum grössten Ölhändler zu machen, gingen sie zur niederländischen Bank ABN.

Nun wird dieser Trend zurückgedreht. Nach einer Reihe von Zusammenbrüchen und Skandalen, die den Banken Verluste in Milliardenhöhe eingebracht hat, prüft fast jedes Institut seine Präsenz in der Branche. BNP Paribas überdenkt sein Engagement und wird möglicherweise eine spezialisierte Sparte schliessen, hatte Bloomberg in diesem Monat berichtet. Auch die Rabobank Group stellt das Geschäftssegment auf den Prüfstand. ABN Amro Bank hat bereits angekündigt, dass sie sich aus der Rohstoff-Handelsfinanzierung zurückziehen wird.

"Keine bedeutende Rolle mehr spielen"

Bisher waren die Rohstoffhändler es gewohnt, Lieferungen von Öl, Metallen oder Agrarprodukten im Wert von zig Milliarden Dollar mit spottbilligen Bankkreditlinien zu bezahlen. Aber nun könnte der Kurswechsel der europäischen Banken ein Moment der Wahrheit sein und steigende Kosten und die Notwendigkeit nach sich ziehen, sich nach neuen Finanzierungsformen umzusehen. Diese neue Entwicklung könnte kleinere Unternehmen aus der Branche herausdrängen.

"Die Rohstofffinanzierung, wie wir sie heute kennen, wird in fünf bis zehn Jahren keine bedeutende Rolle mehr spielen", erwartet Walter Vollebregt, ehemaliger Leiter der Handelsfinanzierung für Metalle und Mineralien bei der Rabobank, und nun Branchenberater. "Die Handelsunternehmen sind kaum bereit für das, was kommen wird."

Um 29 Prozent gesunken

Das Beratungsunternehmen Coalition Development schätzt, dass die Einnahmen des Bankensektors aus der Rohstoffhandelsfinanzierung im ersten Halbjahr dieses Jahres um 29 Prozent gesunken sind. "In den letzten fünf oder sechs Jahren kam für die grossen europäischen Rohstoffbanken mit den Rückstellungen unter dem Strich nichts oder ein Negativbetrag heraus", sagte Vollebregt.

"Es war nicht hilfreich, dass sie im Niedrigzinsumfeld gezwungen waren, den Service für weniger Gebühren anzubieten. Auch versuchten alle, die niedrigeren Erträge über mehr Volumen wettzumachen. Um das Volumen zu erhöhen, muss man sich leider auf den Handel mit Gegenparteien niedrigerer Qualität einlassen", sagt Ernesto Leon-Gambetta, ehemaliger Leiter der Abteilung Soft Commodities bei der Noble Group.

Strenge Bankvorschriften

Die jüngsten Verluste sind nicht das einzige Problem. Immer strengere Bankvorschriften - einschliesslich Basel 4 - machen das Rohstoffhandelsfinanzierungsgeschäft weniger attraktiv, sagt Jean-Francois Lambert, Berater und ehemaliger Handelsfinanzierungsbanker. "Jede Bank muss ihr Portfolio neu bewerten", sagte er. "Der Herdeneffekt wird erheblich sein."

Die in den Niederlanden ansässige ING Groep ist mit einem Engagement von etwas mehr als 20 Milliarden Euro Ende Juni einer der Branchenführer. Sie bleibt in der Rohstoffhandelsfinanzierung aktiv, ist jedoch bei der Kreditvergabe an den Sektor vorsichtiger.

Unter den französischen Banken verschärft Société Générale ebenfalls die Risikokontrollen und hat ihr Büro in Singapur geschlossen. Auch die Natixis hat ihr Engagement in der Handelsfinanzierung für Energie und natürliche Ressourcen reduziert, sagte Finanzchefin Nathalie Bricker.

"Banken sind eindeutig viel selektiver, wie sie es wohl immer schon hätten sein sollen", sagte Steve Kalmin, Finanzvorstand von Glencore, in diesem Monat. "Es gibt eine Kontraktion, es gibt eine Flucht in die Qualität."

Druck auf Händler

Die Reduzierungen wirken sich bereits auf einige kleinere und mittelgrosse Rohstoffhändler aus. Ein Manager für Rohstoffhandelsfinanzierung sagte, dass die Nutzung seiner Kreditlinien durch seine Kunden, die normalerweise bei rund 35 Prozent liegt, sich seit Juni fast verdoppelt habe.

"Dies wird im Grossen und Ganzen alle Tier-2- und Tier-3-Marktteilnehmer betreffen", sagt Lambert. "Sie werden mit einer Situation konfrontiert sein, in der es zunehmend schwieriger wird, Kredite aufzunehmen, wenn sie nicht die perfekte Bilanz, die perfekten Systeme und die perfekte Unternehmensführung haben."

Führungskräfte mehrerer mittelständischer Handelshäuser sagten, sie wollten die Zahl ihrer Kreditgeber erhöhen, während andere zusätzliche Gebühren zahlen, um zugesagte Kreditlinien von ihren Banken zu sichern. Einige überlegen sogar, ob sie ohne Bankfinanzierung überleben könnten.

Schweizer Banken immer noch interessiert

Zwar sind einige Schweizer Banken immer noch daran interessiert, ihre Präsenz in der Branche auszubauen. Aber insgesamt versuchen nur wenige, die Lücke zu schliessen, die der Rückzug hinterlässt. Dies deutet darauf hin, dass Händler teurere Nichtbankenfinanzierungen in Anspruch nehmen oder einfach weniger handeln müssen.

Selbst die Giganten der Branche erkennen, dass die Kosten steigen werden. Unternehmen wie Trafigura und Mercuria, zwei der fünf grössten Ölhändler der Welt, haben Kreditgebern bei jüngsten Handelsgeschäften "Covid-19-Prämien" angeboten, wodurch der von ihnen gezahlte Zinssatz effektiv steigt.

Wachstumsgrenze erreicht

Die meisten Führungskräfte in grösseren Handelshäusern sind derzeit bezüglich der Lage entspannt und argumentieren, dass ihre Zugangsmöglichkeiten zu den breiteren Anleihe- und Aktienmärkten ihnen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Akteuren verschaffen sollte.

Jedoch erscheint nach fünf Jahren, in denen das Ölhandelsvolumen bei den drei grössten Händlern um 70 Prozent gestiegen ist, ein weiteres Wachstum unrealistisch. Ein Grund ist der Coronavirus-bedingte Nachfrageeinbruch, ein weiterer ist der Rückzug der Banken.

Aber die entspannte Haltung der Händler kann rasch schwinden, wenn der Ölpreis deutlich steigt. Niedrige Preise bedeuten, dass jede Ladung weniger wert ist, und das hat den Finanzierungsbedarf gemindert, als die Banken sich zurückgezogen haben. Wenn die Preise steigen, nimmt auch der Finanzierungsbedarf der Händler zu. "Wenn der Ölpreis plötzlich von 45 auf 80 Dollar steigt, haben wir mit Sicherheit ein Problem für alle", sagte Lambert.

(Bloomberg)