"Wir rechnen 2023 mit bis zu 110 Millionen chinesischen Grenzübertritten, das wären zwei Drittel von 2019", sagte Wolfgang Georg Arlt, Chef vom China Outbound Tourism Research Institute (COTRI), am Donnerstag auf der internationalen Reisemesse ITB in Berlin. Olivier Ponti vom Marktforschungsinstitut ForwardKeys ist skeptischer: "Bis zur vollständigen Erholung ist es noch ein weiter Weg." Denn es gebe noch einige Hürden. So bremst Personalmangel bei den Airlines und der Genehmigungsaufwand für Flugrouten den Aufbau des Flugangebots. Chinesische Bürger warten lange auf Reisepässe. Deutschland und manche andere europäische Länder lassen sich Zeit bei der Ausstellung von Visa. Die Flüge seien außerdem noch teuer, erklärt Ray Chen, Manager des chinesischen Online-Reiseportals Trip.com.

Seit Ausbruch der Corona-Krise waren chinesische Touristen aus Europa fast verschwunden. Doch Anfang des Jahres hatte China letzte Maßnahmen der strengen Null-Covid-Politik außer Kraft gesetzt und die Grenzen wieder vollständig geöffnet. Nun hofft die Branche, dass es wieder losgeht. Das Niveau des internationalen Flugverkehrs habe aber beispielsweise in der zweiten Februarwoche bei nur neun Prozent des gleichen Zeitraums vor der Pandemie 2019 gelegen, sagte Simeon Shi von Fliggy, einem Reiseservice der chinesischen Alibaba-Gruppe.

Aus der deutschen Hauptstadt gebe es derzeit einen Flug pro Woche nach China, sagte Ralf Ostendorf von der Berliner Tourismusbehörde VisitBerlin. Vor der Pandemie habe es Verhandlungen über eine Ausweitung des Luftverkehr zwischen Deutschland und China gegeben, diese seien wegen der Coronakrise unterbrochen worden. "Wichtig ist, dass diese Verhandlungen wieder aufgenommen werden", sagte Ostendorf. Dies sei wegen politischer Spannungen vor dem Hintergrund des Krieges Russlands gegen die Ukraine nicht passiert. "Damit der Tourismus und die Wirtschaft wieder funktionieren können, sind diese Direktflüge für Berlin und Deutschland wichtig."

Trip.com rechnet mit einer raschen Ausweitung der internationalen Flüge aus China in den nächsten Monaten. Von derzeit 15 bis 20 Prozent des Vorkrisenniveaus werde die Kapazität bis Ende Juni auf 50 Prozent steigen. Die Leute wollten reisen, die Nachfrage sei hoch.

Mehr chinesische Touristen in Deutschland ab Ostern

Auch COTRI-Experte Arlt rechnet mit mehr chinesischen Touristen in Deutschland ab Ostern. Bis dann sollten die logistischen Hürden für eine Anreise erheblich niedriger sein. Dennoch müsste die Tourismusbranche sich auf veränderte Wünsche einstellen. "Während der Pandemie haben sich die Trends geändert", sagte Arlt. Das Interesse an kleineren Orten, an Natur oder an glamourösen Campingangeboten - das sogenannte Glamping - sei groß. Zudem sei es seit der Pandemie auch für Wohlhabende sozial akzeptiert, Urlaub im eigenen Land zu machen. "Europa muss jetzt mit dem heimischen Markt konkurrieren, das ist neu."

Die als sehr spendablen bekannten Besucher aus China bleiben dennoch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. "Die Rückkehr der chinesischen Touristen wird hier in Berlin, in allen europäischen Ländern und in der ganzen Welt zu spüren sein", sagte der Generalsekretär der Weltorganisation für Tourismus (UNWTO), Surab Pololikaschwili, auf der ITB. So hätten Urlauber aus der Volksrepublik im Vorkrisenjahr 2019 mehr als 250 Milliarden US-Dollar für internationale Reisen ausgegeben. Vor allem beim zollfreien Einkaufen zeigten sich Touristen aus China einer Studie des EHI Retails Institute zufolge besonders ausgabefreudig. So verzeichneten die deutschen Tax-Free-Läden 2018 knapp 95 Einkäufe pro 100 chinesischen Urlaubern, wobei diese durchschnittlich mehr als 500 Euro pro Person ausgaben.

Obwohl auch Chen davon ausgeht, dass chinesische Touristen inzwischen mehr vorhaben als Einkaufstouren im Ausland, rechnet er nicht mit einem geänderten Kaufverhalten. Wohlhabende kämen als Erste nach Europa - gerade sie hätten massenweise Geld gespart während der Pandemie. Buchungen von Vier- und Fünfsternehotels seien schon jetzt höher als vor der Corona-Pandemie. "Sie sind darauf aus, mehr für qualitativ hochwertige Produkte auszugeben."

(Reuters)