Der Ölpreis für die Nordseesorte Brent könne dann binnen kurzer Zeit auf 120 Dollar pro Barrel (159 Liter) klettern, schrieben die Ökonomen Robin Winkler und Marc Schattenberg von Deutsche Bank Research in einer am Montag veröffentlichten Kundennotiz. In Deutschland und der Euro-Zone würde ein Anstieg dieser Grössenordnung die Einfuhrkosten um etwa ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes erhöhen. Das lasse auch die Inflationsrate kurzfristig um etwa einen Prozentpunkt steigen. «Die derzeitige Konjunkturerholung würde abbrechen», warnen die beiden Experten.

Auch die Ökonomen der ING-Bank rechnen bei einer erfolgreichen Blockade damit, dass der Brent-Preis kurzfristig bis auf 120 Dollar steigen wird. «Bei einer längeren Blockade (bis Ende 2025) würden die Preise wahrscheinlich über 150 Dollar je Barrel steigen und neue Rekordhöhen erreichen», sagte ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Höhere Ölpreise dürften zwar die Förderung in den USA ankurbeln. «Aber es wird einige Zeit dauern, bis dieses zusätzliche Angebot auf den Markt kommt», fügte Brzeski hinzu.

Angesichts zunehmender Versorgungsängste verteuerte sich Brent zu Wochenbeginn kurzzeitig um 5,7 Prozent auf 81,40 Dollar. Zuletzt lag der Preis bei knapp 77 Dollar. Die USA griffen am Wochenende iranische Atomanlagen an. Teheran könnte als Reaktion die Strasse von Hormus blockieren: Durch die Meerenge entlang der Südküste des Irans werden etwa 19 Millionen Barrel Öl täglich transportiert. Mehr als 80 Prozent davon landen in Asien, so die ING-Analyse. «Daher würde der Iran darauf achten, China nicht zu verärgern, indem er die Ölströme unterbricht», sagte Chefökonom Brzeski. «Ausserdem fliesst iranisches Öl auch durch die Strasse von Hormus.»

Globale Staflation oder gar Rezession?

Für Volkswirtschaften in Europa und Asien bedeutet ein Ölpreisschock einen stärkeren konjunkturellen Gegenwind als für die USA, die seit einem Jahrzehnt mehr Öl exportieren als importieren. «Doch auch in den USA würde die Inflation in diesem Risikoszenario wieder spürbar anziehen», betonten Winkler und Schattenberg von Deutsche Bank Research.

Die Auswirkungen eines höheren Ölpreises auf die Weltwirtschaft dürften davon abhängen, wie lange der Rohstoff so teuer bleibt. «Sollten die Preise nur für einige Tage oder auch ein paar Wochen auf dem erhöhten Niveau bleiben und sich der Markt dann beruhigen, wäre die Weltwirtschaft vermutlich ausreichend resilient und würde in der Lage sein, mit dem derzeit moderaten Wachstum fortzufahren», sagte der Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, Cyrus de la Rubia. «Hält der Energiepreisschock jedoch ein halbes Jahr oder länger an, ist mit einer globalen Stagflation oder gar Rezession zu rechnen.»

Ein Energiepreisschock dürfte die Zentralbanken vor erhebliche Herausforderungen stellen. Selbst wenn dieses Ereignis die USA und die Euro-Zone in eine Rezession führen würde, dürften die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen nur geringfügig senken, «aus Furcht davor, dass sie an Glaubwürdigkeit beim Kampf gegen die Inflation verlieren», sagte de la Rubia. ING-Chefvolkswirt Brzeski fügte mit Blick auf die EZB hinzu: «Eine Zinssenkung im Juli ist nun eindeutig vom Tisch».

(Reuters)