Seit seinem Amtsantritt im Dezember 2021 verweist Bundeskanzler Olaf Scholz darauf, dass eins seiner Ziele die Fortsetzung der Ampel-Koalition mit Grünen und FDP über 2025 ist. Allerdings hat der SPD-Politiker fünf Baustellen, auf denen er bis dahin erfolgreich sein muss. Nach einem Jahr Amtszeit ergibt sich dabei eine zum Teil verblüffende Zwischenbilanz.

Die Partei

Eigentlich hatten auch viele Sozialdemokraten erwartet, dass die SPD eines der grössten Probleme für Scholz im Wahlkampf 2021 und dann nach dem Wahlsieg sein würde. Der frühere Hamburger Bürgermeister war im Rennen um den Parteivorsitz gescheitert, wurde dennoch Kanzlerkandidat. Scholz gilt in der SPD nicht als sonderlich beliebt und eigentlich als zu "konservativ". "Aber die SPD war überrascht, dass es Scholz gelungen ist, die Partei so hoch zu ziehen", sagt Politologe Gero Neugebauer. Und die erwartete Blockade-Haltung durch die starken Jusos in einer stark verjüngten SPD-Bundestagsfraktion blieb komplett aus - auch weil sozialdemokratische Herzens-Projekte wie Mindestlohn und Bürgergeld durchgesetzt wurden.

Dazu kommt laut Neugebauer ein extrem loyales Personal: Parteichef Lars Klingbeil gilt als Scholz-Mann, die linkere Co-Chefin Saskia Esken und Generalsekretär Kevin Kühnert federn interne Kritik ab - und beschäftigen die Partei. Und Fraktionschef Rolf Mützenich hat zwar sicherheitspolitisch andere Ansichten als der Kanzler, gibt aber laut Neugebauer "ganz den loyalen Parteisoldaten". Er rechnet damit, dass dies so bleiben wird - solange die Zustimmungs-Werte von Scholz über den schwachen Werten der SPD liegen.

Die Koalition

Ein Jahr nach Amtsantritt gilt die Ampel-Koalition als eine der grössten Baustellen. Es rumpelt kräftig, wie die jüngsten Rücktrittsforderungen von Grünen-Parlamentariern Richtung Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) und Abgesänge des FDP-Politiker Wolfgang Kubicki an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zeigen. Zwar funktioniert die persönliche Zusammenarbeit zwischen Scholz, Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) nach übereinstimmenden Angaben aus den drei Parteien trotz inhaltlicher Differenzen überraschend gut. Aber etwa in der Ukraine- oder China-Politik kommen die schärfsten Kritiker des Kanzlers aus Reihen der Grünen und der FDP. Das ständige Ausbalancieren im Trio ist und bleibt zeitraubende Daueraufgabe für den Kanzler. Am Mittwoch überreichte er allen Kabinettsmitgliedern jedenfalls eine Ampelmännchen-Schokolade - Geschmack: Zartbitter.

Das Land

Unverdrossen lobt Scholz die Arbeit der Ampel, die er als "Fortschritts-Bündnis" bezeichnet. Aber in Meinungsumfragen wird dies ganz anders gesehen. Laut einer Forsa-Umfrage von Anfang Dezember anlässlich ein Jahr Ampel sind nur 36 Prozent mit seiner Arbeit zufrieden, 63 Prozent aber nicht. Nur unter den SPD-Anhängern bekommt er mehrheitlich Zustimmung. Immerhin räumen 88 Prozent der Befragten ein, dass die Arbeit für diese Regierung angesichts der Krisen sehr viel schwieriger sei als für die Vorgänger-Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel. Ein besonderes Problem für Scholz: Neben dem Dauergezänk in der Ampel ist ausgerechnet "seine" SPD-Ministerriege umstritten - nach Lauterbach nun Lambrecht. Ihm nutzt derzeit, dass die Union zwar deutlich stärkste Partei in allen Umfragen ist, aber CDU-Chef Friedrich Merz keine bessere Regierungsführung zugetraut wird.

Der Kontinent

Die europäischen Familienfotos symbolisieren die Probleme von Scholz, in die Fussstapfen der 16 Jahre lang regierenden Merkel zu treten: Er stand auch beim EU-Westbalkan-Gipfel in Tirana Anfang Dezember aus protokollarischen Gründen versteckt in einer hinteren Reihe - und muss sich wie alle neuen EU-Regierungschefs erst noch "vorarbeiten". Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, mit dem er um eine Führungsrolle in der EU buhlt, strahlte dagegen in der ersten Reihe.

Mit seiner Europa-Rede in Prag wollte Scholz seinen Anspruch als Führungsfigur in der Europäischen Union klar machen. Aber der russische Angriff auf die Ukraine hat die Lage in der EU unübersichtlich gemacht. In Osteuropa gibt es Unzufriedenheit mit der deutschen, aber auch französischen Hilfe für die Ukraine. Mit den nationalkonservativen Regierungen in Polen und Ungarn drohen harte Konflikte. Vom "sozialdemokratischen Jahrzehnt" in der EU, von dem Scholz Ende vergangenen Jahres schwärmte, ist nicht viel geblieben. Und wiederholte Spannungen im deutsch-französischen Duo zeigen, wie schwierig eine Positionierung für den Kanzler in der EU-27 ist. Exponiert hat sich Scholz zumindest auf eine schnelle Annäherung der Westbalkan-Staaten an die EU - was aber noch zählbare Erfolge bringen muss.

Die Welt

Die deutsche G7-Präsidentschaft war wie ein Geschenk für den neuen Kanzler, der sich sofort auf internationaler Bühne als Gastgeber präsentieren konnte. Diese Rolle fällt ab 2023 weg. In der Aussenpolitik will Scholz gleichzeitig enge Beziehungen zu den USA pflegen, trotz der Konfrontation weiter mit Russlands Präsident Wladimir Putin sprechen, um neue Partner unter den Schwellenländern werben und eine neue Balance im Verhältnis zu China finden. "Scholz hat erkannt, dass er hier alte Sichtweisen der SPD aufgeben sollte", sagt der Politologe Uwe Jun von der Universität Trier. Gerade das Thema China hat aber gezeigt, dass jede Scholz-Positionierung sofort Rückwirkungen auf die Zusammenarbeit mit Grünen und FDP haben kann. 

(Reuters)