«Keine Panik», so lautet das Credo von Anders Boenaes. Der Däne ist bei Deutschlands grösster Container-Reederei Hapag-Lloyd für das Management des Liniennetzes zuständig - und hat die Flotte von mehr als 300 Schiffen auch durch die jüngsten Turbulenzen gesteuert, die die US-Zollpolitik in der Handelsschifffahrt ausgelöst hat.
Das Hin und Her von angedrohten, verhängten und ausgesetzten Zöllen hat zu extremen Nachfrageschwankungen vor allem auf den für Hapag wichtigen US-Routen geführt. Konzernchef Rolf Habben Jansen sagte kürzlich: «Unser Problem ist natürlich, dass die Schiffe leider nicht elastisch sind.» Deshalb muss Manager Boenaes andere Wege finden, damit Güter pünktlich ans Ziel kommen und Frachter möglichst ausgelastet auf der besten Route fahren.
«Die vergangenen sechs Monate würde ich als eine Fortsetzung des organisierten Chaos bezeichnen, das wir zum Teil auch in der Corona-Zeit gesehen haben», sagt Boenaes, der vor fünf Jahren beim Hamburger Traditionskonzern anheuerte und zuvor 27 Jahre bei Maersk, dem dänischen Kooperationspartner von Hapag, arbeitete.
Dabei sei die aktuelle Lage der Branche bei weitem nicht so dramatisch wie während der Pandemie, betont der Experte für globale Linienschifffahrt und strategische Netzwerkgestaltung. Aber durch Covid habe man gelernt, im täglichen Betrieb flexibler zu sein.
«Es geht nicht darum, bestimmte Notfallpläne für jedes vorstellbare oder auch unvorstellbare Szenario zu haben.» Vielmehr gelte es, den Bedarf zu ermitteln und die Planung pragmatisch anzupassen. So könne ein Schiff mit Kapazität für 10.000 Standardcontainer (TEU), das eigentlich nach Los Angeles fahren sollte, auf einer anderen Strecke eingesetzt werden und ein kleineres, vielleicht mit 8000 oder nur 6000 TEU die L.A.-Fahrt übernehmen. «In den meisten Fällen lohnen sich die grösseren Schiffe anderswo.»
«Navigieren im Nebel der Ungewissheit»
Es herrschen raue Zeiten in der Schifffahrt, über die rund 90 Prozent des Welthandels abgewickelt werden. Die Branche kenne zwar Volatilität wie aus der Pandemie-Zeit, erklärt der Verband Deutscher Reeder (VDR). «Doch das heutige Umfeld ist von einer besonderen Unberechenbarkeit geprägt», sagt VDR-Sprecher Carsten Duif und verweist auch auf drohende US-Hafengebühren. Die Unternehmen müssten handeln, bevor die Regeln genau bekannt seien. «Das ist Navigieren im Nebel der Ungewissheit.» Mit Blick auf die US-Zollpolitik von Präsident Donald Trump spricht der Verband von einem beispiellosen Mass an Unbeständigkeit.
«Diese Dynamik erschwert die langfristige Flotten- und Kapazitätsplanung erheblich», sagt VDR-Sprecher Duif. «Zwar ist die Schifffahrt grundsätzlich flexibel, doch das permanente Reagieren auf politische Ankündigungen führt zu erheblichen Ineffizienzen.»
Es komme zu schwankender Auslastung vor allem im China-USA-Verkehr, zu Leerfahrten oder umgekehrt zu vorübergehend knappem Schiffsraum, wenn Kunden den Warentransport vorziehen, um drohenden Zöllen zuvorzukommen. Reedereien müssten Schiffe kurzfristig umleiten, Routen ändern oder Dienste aussetzen. Solche Anpassungen erforderten enge Abstimmungen mit Kunden, Hafenbehörden und Crews - oft unter hohem Zeitdruck.
Perlen auf einer Kette
Hapag-Manager Boenaes beschreibt die Liniendienste wie Perlen auf einer Kette: So werde eine Strecke jede Woche von einem Schiff derselben Grösse und unter normalen Umständen mit ungefähr derselben Ladung derselben Kunden an Bord befahren. Wenn die Nachfrage einbreche, sei die klassische Reaktion, ein Schiff ausfallen zu lassen, sagt der Experte, dessen offizieller Titel Senior Managing Director Network ist.
Doch das komme für Hapag-Lloyd nicht infrage, weil Pünktlichkeit und Fahrplantreue die obersten Ziele der schon länger geplanten Gemini-Kooperation sind, die der deutsche Konzern mit Maersk Anfang Februar - wenige Tage nach Amtsantritt Trumps - gestartet hat. Beide Unternehmen waren also gerade dabei, ihre Netzwerke umzukrempeln, als ihre Kunden von der Realität der US-Zollpolitik aufgeschreckt wurden.
Bei den US-China-Buchungen gab es nach der Verhängung von Sonderzöllen vor allem gegen die Volksrepublik Rückgänge von bis zu 30 Prozent, wie Hapag-Chef Habben Jansen Mitte Mai sagte.
Damals war es gerade zur nächsten Wendung im Drama gekommen: Die US-Zölle auf Waren «Made in China» wurden für 90 Tage wieder heruntergeschraubt. Kunden rannten Hapag-Lloyd die Türen ein. Boenaes erzählt, dass in dieser Achterbahnfahrt der Zollsätze binnen kürzester Zeit ganze Liniendienste umgestellt wurden, nur um wenige Wochen später die Änderungen wieder rückgängig zu machen. Das sei schon - auch nach den Massstäben der Schifffahrt - eine Herausforderung gewesen.
Suezkanal-Umleitung ist schon «business as usual»
Die von Trump im Zollstreit zugestandenen 90 Tage Schonfrist für China enden im August, für die EU Anfang Juli. Darüber zu spekulieren, was dann passiert, hält Boenaes für Zeitverschwendung. Ebenso wie darüber, wann der Suezkanal wieder befahren werden kann.
Der wird von Reedereien aus Sicherheitsgründen gemieden, seitdem mit der Hamas verbündete Huthi-Rebellen aus dem Jemen Handelsschiffe im Roten Meer angreifen. «Suez ist leider schon 'business as usual' geworden, weil wir seit 18 Monaten um das Kap der Guten Hoffnung herumfahren.»
Die Umwege über die Südspitze von Afrika lassen die Kosten steigen, das Gerangel um freie Stellplätze auf den Schiffen aber zugunsten der Reedereien auch die Frachtpreise. Das Risiko, dass im Zuge des Konflikts zwischen Israel und dem Iran bald auch keine Durchfahrt mehr durch die für die Schifffahrt nicht minder wichtige Strasse von Hormus am Eingang zum Persischen Golf möglich sein könnte, ist Branchenexperten zufolge mit der Waffenruhe wieder gesunken.
Sollte es doch dazu kommen, wäre dies für Boenaes kein «business as usual», wie er sagt. Aber man sei viel besser darin geworden, mit solchen Ungewissheiten umzugehen. Und letztlich gilt ja die Devise: «Keine Panik».
(Reuters)