Vor den Bankomaten in Russland bilden sich lange Schlangen.  Die Menschen versuchen, an ihr Erspartes zu kommen, bevor der Rubel noch stärker fällt.

Nicht nur die russische Währung hat seit dem Angriff auf die Ukraine massiv an Wert verloren; auch der russische Pass hat sich entwertet. Dies zeigt das Beispiel Schweiz: Der Bundesrat hat das Visa-Abkommen mit Russland eingefroren.

Nur noch bestimmte Berufsgruppen dürfen weiterhin unkompliziert für einen Aufenthalt von neunzig Tagen einreisen. Das gilt für den ganzen Schengenraum, und die EU-Staaten haben ihre Vereinbarungen mit Russland ebenfalls suspendiert.

Ein beliebter Deal: Papiere gegen Geld

Die Reisefreiheit der Russinnen und Russen ist also eingeschränkt. Und dies trifft eine Bevölkerungsschicht, der bislang international viele Türen offen stand, den Reichen und Vermögenden. Sie gehörten zur besten Kundschaft der gut ein Dutzend EU-Staaten, die im Gegenzug für Geld und Investitionen Visa und Staatsbürgerschaften vergeben.

Golden-Visa-Programme: 14 EU-Staaten locken mit der Visa-Vergabe Investitionen an.

Rund ein Viertel aller Papiere dieser "Goldene Visa"-Programme gingen in den letzten Jahren an Russinnen und Russen (laut dieser Studie). Vor allem der zypriotische Pass war bei Personen aus Osteuropa beliebt.

Dieses schnelle Einlassticket zum EU-Raum wird Menschen aus Russland nun verwehrt. So können sie in Griechenland seit dieser Woche nicht mehr durch Investitionen an fünfjährige Aufenthaltsgenehmigungen gelangen, sie sind vom Programm ausgeschlossen. Malta fasst einen ähnlichen Beschluss. Grossbritannien, die zweite Heimat verschiedener russischer Oligarchen, hat gleich das komplette Programm gestoppt.

Statt warm mit einem "Welcome" werden Russlands Reiche in London frostig empfangen. Die Massnahme richte sich gegen "korrupte Eliten und Kleptoraten – auch aus Russland –, die unser Finanzsystem missbrauchen, unsere nationale Sicherheit gefährden", twitterte die britische Innenministerin Priti Patel.

«Derzeit verringern sich die Optionen täglich»

Viele Staaten erschweren russischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen nun die Einreise und der Aufenthalt. Das bestätigt Christian Kälin, Chairman von Henley & Partners, eine der weltweit führenden Firmen in der Vermittlung von Staatsbürgerschaften und Aufenthaltsbewilligungen: Die Optionen verringerten sich "täglich", so schreibt er in einem E-Mail.

Welche Optionen für ausländische Visa und Staatsbürgerschaften stehen russischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen im Moment noch offen?

Derzeit verringern sich die Optionen täglich, da verschiedene Staaten dazu übergegangen sind, russische Antragstellerinnen und Antragsteller vorläufig nicht mehr zu berücksichtigen – als Teil der immer umfassenderen Sanktionen, die gegenwärtig an verschiedenen Orten beschlossen werden. Das trifft natürlich leider vor allem ganz normale russische Familien und nicht die eigentlichen Zielpersonen der Sanktionen. Aber die Welt funktioniert nun einmal leider so. Jetzt werden einfach alle Russen pauschal bestraft, wenn eigentlich den meisten, gerade jetzt, geholfen werden sollte.

Stellen sich Probleme bei der Bezahlung?

Ja, das Umfeld ist für russische Kundinnen und Kunden sicher schwierig geworden. Wir wollen natürlich keinesfalls in irgendeiner Weise dazu beitragen, dass Sanktionen umgangen werden. Damit können auch wir viele Optionen nicht mehr anbieten.

Welche Art von Visa und Staatsbürgerschaften waren bei Russinnen und Russen besonders beliebt?

Vor allem europäische Aufenthaltsbewilligungen sowie karibische Staatsbürgerschaften. Wie Sie nun mit dem Konflikt in der Ukraine sehen, ist es für Menschen in Russland wichtig, einen Ausweg zu haben, falls die Situation in ihrem eigenen Land zu schwierig wird. Das merken viele erst, wenn wirklich ein Krieg ausbricht – und dann ist es meist zu spät, wie man das jetzt live miterleben kann.

Sind viele vermögende Russinnen und Russen nach Ihrem Wissen in die Schweiz gezogen – und ist darunter auch Kundschaft von Ihnen?

Wir hatten in der Schweiz immer eine gewisse Zahl an vermögenden russischen Personen mit Wohnsitz, genauso, wie es viele Menschen anderer Nationalitäten aus der ganzen Welt an den Genfersee, in die Innerschweiz, an den Zürichsee oder in die Berge zieht. Natürlich haben auch wir immer wieder einmal russische Kunden und Kundinnen, aber das sind einige unter vielen Personen anderer Nationalitäten. Die Schweiz mit ihrer grossen Stabilität und Sicherheit ist aus naheliegenden Gründen auch weiterhin – jetzt wohl noch mehr – ein attraktiver Ort für Wohnsitznahme.

Per Abkürzung zum Reisepass: Die Goldenen Visa

Der klassische Weg, um an Aufenthaltsgenehmigungen und Reisepässe zu gelangen, ist langwierig und bürokratisch. Doch es gibt eine sehr populäre Abkürzung: Viele Länder weltweit vergeben ihre Papiere für Geld oder bestimmte Investitionen und kommen so an teilweise beträchtliche Einnahmen.

Solche "Goldene-Visa-Programme" sind umstritten, aber sogar in der Europäischen Union weit verbreitet. Etwa die Hälfte der Mitgliedsländer hatte laut einer Studie der London School of Economics letztes Jahr derartige Programme. Über die Jahre kamen so Zehntausende Personen an eine Aufenthaltsgenehmigung für den Schengenraum. Besonders freizügig verteilten Malta, Bulgarien und Zypern die Dokumente. Fast die Hälfte der "Goldenen Visa" für Europa gingen an Chinesinnen und Chinesen, einen weiteren Viertel wurden an Russinnen und Russen vergeben.

Die goldenen Jahre für die Programme sind wohl zumindest in der EU vorbei. Auf Druck Brüssels haben verschiedene Länder ihre Programme heruntergefahren oder wenden sie nur noch zurückhaltend an.

Dieser Artikel erschien zuerst im Digitalangebot der "Handelszeitung" unter dem Titel: "Jetzt werden einfach alle Russen pauschal bestraft"